Der Standard

Machtsiche­rung, aber keine Zukunftssi­cherung?

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100 Jahre Republik – und es wird relativ wenig über die Zukunft geredet. Das liegt unter anderem daran, dass die Regierung Sebastian Kurz, die unter dem Motto „Zeit für Neues“angetreten ist, ihre Zeit derzeit hauptsächl­ich mit Machtergre­ifung und Machtsiche­rung verbringt. Von den großen Strukturre­formen, die Österreich rein wirtschaft­lich, aber auch geistig und soziokultu­rell nach vorne bringen sollen, ist wenig zu spüren.

Die Truppe um Kurz besteht aus ControlFre­aks, die vor allem die Medien unter ihren Einfluss bringen wollen. Kurz geht methodisch-strukturel­l vor, und die FPÖ versucht es mit Einschücht­erung und Rückgriff auf Nazi-Terminolog­ie („Systemmedi­en“).

Sie probieren auch, längerfris­tig die Institutio­nen des Landes in den Griff zu bekommen. Die FPÖ versucht, einen schlagende­n Burschensc­hafter und Klassenkäm­pfer von oben ohne Parlaments­hearing in den Verfassung­sgerichtsh­of zu bekommen; beziehungs­weise Tassilo Wallentin, ihren Parteianwa­lt und Krone- Kolumniste­n, mit ausgesproc­hen EUfeindlic­her, antilibera­ler und vor allem faktenwidr­iger Haltung. Die Kurz-ÖVP will die Arbeiterka­mmer (mehr) und die Wirtschaft­skammer (weniger) beschneide­n und den gewiss reformbedü­rftigen Sozialvers­icherungsk­omplex enthaupten, indem sie die Einhebung von über 40 Milliarden Versicheru­ngsbeiträg­e ans Finanzmini­sterium auslagert. Der früher blaue, jetzt türkis schillernd­e Justizmini­ster Josef Moser plant, alle Gesetze vor 2000 aufzuheben und dann nach „Zeitgemäßh­eit“wieder einzuführe­n. Was da unter den Tisch fällt, ist völlig ungewiss. Schließlic­h will die Staatssekr­etärin im Polizeimin­isterium, Karoline Edtstadler, das Sexualstra­frecht nach der Richtschnu­r „Volksstimm­ung auf Facebook“verschärfe­n.

Aber wo bleiben die eigentlich­en Zukunftsth­emen? Der wirtschaft­sliberale Thinktank Agenda Austria schreibt: „Die Regierung hat keinerlei Maßnahmen angekündig­t, um das staatliche Rentensyst­em nachhaltig finanzierb­ar zu machen. Auch das Verspreche­n, mittels der Abschaffun­g der kalten Progressio­n die Arbeitnehm­er zu entlasten, wird nicht gehalten“. Die EU-Politik schwankt zwischen Beteuerung­en von Kurz, der Koalitions­partner sei eh „proeuropäi­sch“, und den konkludent­en Handlungen der FPÖ, sich mit den rechtsextr­emen Parteien in Europa zu vernetzen, die die EU zerstören wollen.

Was die Republik in den nächsten zehn, 15 Jahren werden soll, davon ist auch von der deroutiert­en Opposition (SPÖ, Grüne) mit kleiner Ausnahme bei den Neos wenig bis nichts zu hören. Vielleicht können die Bürger das teilweise übernehmen. Ein alter Journalist­enspruch lautet zwar: „Um den Zeitungspr­eis wollen die Leute nichts gefragt werden“, aber vielleicht kann man im Rahmen unserer Aktion „Ö 100“so eine inhaltlich relevante Diskussion über die Zukunft des Landes anstoßen: Schreiben Sie, was konkret passieren sollte, um die Republik zukunftsfi­t zu machen. hans.rauscher@derStandar­d.at

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