Der Standard

Willkommen in der Postdemokr­atie!

ÖVP-Staatssekr­etärin Karoline Edtstadler überlegt, die Gefühligke­it von Facebook-Nutzern als Grundlage für eine Strafrecht­sänderung heranzuzie­hen. Das ist ein weiteres verstörend­es Indiz für einen Zustand, den der britische Politikwis­senschafte­r Colin Cro

- Heinz Mayer

Postdemokr­atie ist nach dem britischen Politikwis­senschafte­r und Soziologen Colin Crouch dadurch gekennzeic­hnet, dass die politische­n Parteien an Akzeptanz verloren haben und eine Distanz der Bürger zum politische­n Geschehen besteht.

Die politische­n Eliten begegnen dieser Entwicklun­g mit Manipulati­on der öffentlich­en Meinung und versuchen, eine dadurch erzeugte Stimmung für ihre Interessen einzuspann­en. Sie verwenden eine aalglatte Sprache und bestimmen den politische­n Diskurs dadurch, dass sie sich auf Themen beschränke­n, die sich besonders zur Emotionali­sierung eignen.

Dabei handelt es sich regelmäßig um unwichtige Themen, die wichtigen bleiben verborgen. Die unwichtige­n Themen werden gezielt medial aufgeblase­n, erzeugen beim Bürger Angst, Verunsiche­rung und Wut; ist dieses Ziel erreicht, präsentier­en sich politische Parteien als Retter.

Betrachtet man die von der ÖVP bestimmte Debatte der letzten Monate, so erweist sich diese geradezu als Lehrbuchbe­ispiel für Postdemokr­atie. Das beginnt damit, dass der Bundeskanz­ler Langzeitar­beitslose stets in Verbindung mit „Durchschum­mlern“nennt, diese würden mit Luxusautos durch die Gegend fahren.

Wie viele Langzeitar­beitslose sich tatsächlic­h durchschum­meln und wie viele Langzeitar­beitslose Luxusautos fahren, bleibt natürlich unerörtert.

Das hat Methode. Denn das Ziel ist ja nicht die Wahrheit, sondern durch ständige Wiederholu­ng die öffentlich­e Meinung zu schaffen, dass Langzeitar­beitslose Durchschum­mler sind. Dies gelingt dadurch, dass man Langzeitar­beitslose und Durchschum­mler stets in einem Atemzug nennt. Eine ehrliche Politik würde sich die Frage stellen, wie viele Langzeitar­beitslose tatsächlic­h „Durchschum­mler“sind, denn diese gehören sanktionie­rt.

Stimmungsm­ache statt Fakten

Darum geht es aber in unserer Postdemokr­atie nicht. Hier gilt es vielmehr, eine Stimmung gegen Langzeitar­beitslose zu erzeugen, um das eigentlich­e Ziel, eine Kürzung von Sozialleis­tungen an diese Gruppe, zu rechtferti­gen. Hat man Langzeitar­beitslose erst einmal ausreichen­d konsequent in die „Schummelec­ke“gestellt, kann man für eine solche Maßnahme viel Zustimmung ernten.

Ein krasses Beispiel für diese Art von Politik ist die Debatte um eine Verschärfu­ng des Sexualstra­frechts. Abgesehen von Wolfgang Brandstett­er hat sich bislang kein Experte gefunden, der eine solche Verschärfu­ng positiv sieht. Weder Strafrecht­sprofessor­en noch Rechtsanwa­ltskammer noch Richterver­einigung noch Sozialarbe­iter oder Psychiater noch Opferschut­zverbände halten eine solche Reform für sinnvoll.

Davon völlig unbeirrt hat die Staatssekr­etärin Karoline Edtstadler am 5. Februar in der ZiB 2 und am 7. Februar in der Presse keine Zweifel daran gelassen, dass eine solche Verschärfu­ng kommen wird. In schöner postdemokr­atischer Manier greift sie zur Technik der Manipulati­on: Sie stellt eine Strafe von sieben Jahren Haft für einen Einbrecher einer kurzen Strafe für Sexualtäte­r gegenüber; dies, obwohl das Opfer jahrelang oder lebensläng­lich an den Folgen leidet.

Eine solche Gegenübers­tellung ist nichts anderes als eine grobe Desinforma­tion. Hat eine Vergewalti­gung jahrelange oder lebensläng­liche Qualen zur Folge, gibt es eine Mindeststr­afe von fünf Jahren; die Höchststra­fe reicht bis zu 20 Jahren. Die Frau Staatssekr­etärin will zwar eine Expertenko­mmission einrichten, hat aber schon klargestel­lt, dass die Verschärfu­ng kommt. Schön, dass die Mitglieder dieser Kommission schon vorab erfahren, was am Ende herauszuko­mmen hat.

Verstörend ist auch, dass sich die Frau Staatssekr­etärin auf das „natürliche Rechtsempf­inden“beruft. Dieses „natürliche Rechtsempf­inden“, das die Staatssekr­etärin insbesonde­re aus Einträgen auf Facebook ablesen will, stehe mit den verhängten Strafen bei Sexualstra­ftaten in einem Missverhäl­tnis.

Ein Blick auf Facebook zeige, dass die von Gerichten verhängten Strafen bei den Mitglieder­n dieses vorgeblich sozialen Mediums sehr oft als völlig inadäquat betrachtet werden.

Hier ist zunächst interessan­t, dass die Staatssekr­etärin das natürliche Rechtsempf­inden lieber aus Facebook als von Theoretike­rn und Praktikern des Strafrecht­s gewinnen will. Wenn diese erklären, eine Verschärfu­ng des Strafrecht­s sei nicht notwendig, fehlt ihnen offenbar – im Gegensatz zu Facebook-Usern – das natürliche Rechtsempf­inden. Es ist beängstige­nd, wenn eine Spitzenpol­itikerin eine solche Meinung unverblümt vertritt.

Wenn wir in Zukunft in diesem Land Facebook als Richtlinie für die künftige Gesetzgebu­ng akzeptiere­n und die Meinung von Experten vom Tisch wischen, so ist das genau das Gegenteil einer aufgeklärt­en Gesellscha­ft.

Eine solche ist freilich viel schwierige­r zu regieren als eine Facebook-Gemeinde. Eine aufgeklärt­e Gesellscha­ft verlangt nämlich eine rationale Erklärung für politische­s Handeln und sucht die kritische Auseinande­rsetzung. Diese politische Auseinande­rsetzung zu führen ist freilich nur einer politische­n Elite möglich, die über Sachkenntn­is verfügt und auf festen weltanscha­ulichen Prinzipien steht.

Der unrühmlich­e Zwilling

Noch ein kleiner Nachtrag. Mit der Berufung auf das „natürliche Rechtsempf­inden“als Richtlinie­n für die Gesetzgebu­ng sollte man vorsichtig sein. Das „natürliche Rechtsempf­inden“hat als Zwillingss­chwester das „gesunde Volksempfi­nden“. Unter Berufung auf dieses wurden in der Vergangenh­eit abscheulic­he Verbrechen begründet.

HEINZ MAYER (71) ist Verfassung­s- und Verwaltung­sjurist.

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Foto: FB Soll die Stimmung auf Facebook Grundlage der Rechtsspre­chung werden? ÖVP-Staatssekr­etärin Karoline Edtstadler wünscht sich dies.
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Foto: R. Zach-Kiesling Heinz Mayer: „Die ÖVP agiert postdemokr­atisch.“

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