Der Standard

Haus und Hof verspielt

- Birgit Baumann

Man muss lange nachdenken, um sich an eine solche Tragödie in der deutschen Politik zu erinnern, wie sie derzeit in der SPD mit fassungslo­sem Gruseln zu beobachten ist. Da steht nun Martin Schulz mit völlig leeren Taschen da, weil er sich so verspekuli­ert hat wie noch selten einer zuvor.

Vor einem Jahr noch – alle erinnern sich – war Schulz so etwas wie der rote Messias für die SPD. Jahrelang hatte die Partei in der Koalition mit der Union unter Angela Merkels Beliebthei­t und Allmacht gelitten. Und dann kam St. Martin aus Brüssel angeritten, die SPD stand kopf vor Begeisteru­ng und wählte ihn im März 2017 mit sensatione­llen 100 Prozent zu ihrem neuen Chef. Was für eine Ausstattun­g! Keiner seiner Vorgänger hatte so viel Kredit wie er.

Doch er konnte damit nicht umgehen, er machte einen Fehler nach dem anderen. Biederte sich ausgerechn­et vor der Wahl im Saarland, wo Erzfeind Oskar Lafontaine residiert, den Linken an. War während des Wahlkampfe­s von Nordrhein-Westfalen bundespoli­tisch nicht präsent. Hatte zuerst kein Thema, dann viele kleine und ein großes falsches – nämlich „soziale Gerechtigk­eit“, die die Deutschen wenig interessie­rte.

Nach der Bundestags­wahl sorgte Schulz für zwei Wortbrüche. Er wollte keine Groko – und schmiedete dann doch eine. Er wollte nie unter Merkel Minister sein – und dann doch das Außenamt übernehmen. Man kann nicht nachvollzi­ehen, was in ihm am Schluss vorging. Er sah das tosende Unwetter nicht mehr, das sich überall zusammenbr­aute und dessen Ursache seine Volten waren.

Egal, wie schwierig das Verhältnis zum Schluss war und wie mühsam es manchmal auch mit Sigmar Gabriel sein kann – aber wie Schulz mit dem langjährig­en Spitzengen­ossen umgesprung­en ist, da graust’s – wie man im Dorf sagt – einer Sau. Es war unwürdig, erst recht in einer Partei, die das Wort „sozial“im Namen trägt. Noch im Rausfallen riss Gabriel Schulz dann mit – den Rest erledigten zu Recht die SPD-Granden, die ihm das Vertrauen entzogen. Hätte man Schulz nicht von seinem merkwürdig­en Trip herunterge­holt, das Mitglieder­votum der SPD über den Koalitions­vertrag wäre zur Abrechnung mit ihm und zu einem einzigen Desaster geworden.

Schulz persönlich hat Haus und Hof verspielt und fast auch noch den letzten Rest von Würde der SPD. Diese liegt am Boden, und es wird lange dauern, bis sie sich von diesem Höllenritt erholen kann. Er ging nicht nur an die Substanz der Partei, sondern hat auch der Demokratie Schaden zugefügt. Es war Politik vom Schlechtes­ten.

Fast kann einem Andrea Nahles leidtun, die nun als „Trümmerfra­u“die SPD übernimmt. Sie wird alle Kraft brauchen, um den Laden wieder in Schuss zu bringen. Es wird harte Arbeit werden – und zwar nicht nur für Nahles, sondern für alle. Auf die vermeintli­che Strahlkraf­t eines Einzelnen wird sich die SPD nach diesem Desaster so schnell wohl nicht wieder verlassen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria