Der Standard

Der Rest der Welt in Catalan Bay

Am Felsen von Gibraltar tummeln sich Affen – und neuerdings auch Schachspie­ler. Das Open etabliert sich im Jänner als Alternativ­e zu Wijk aan Zee. Von ruf & ehn

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Man muss aufpassen. Die Makaken, die seit Jahrhunder­ten den Felsen von Gibraltar bevölkern, stehlen Kekse, Taschen und neuerdings auch Schachfigu­ren. In letzter Zeit ist die Gefahr, auf Parktische­n und Terrassen unvollstän­dige Schachsets vorzufinde­n, um ein Vielfaches gestiegen. Seit einigen Jahren findet in Catalan Bay an der ruhigen Ostseite des Felsens das Gibraltar Open statt.

Das zehnrundig­e Turnier etwas abseits der Hauptstadt mit Blick auf das Meer und die Costa del Sol wird auch bei Spitzenspi­elern immer beliebter. Das Preisgeld ist zwar mit 25.000 Pfund für den Sieger nicht sonderlich üppig dotiert, aber das Turnier strahlt eine sonnige Urlaubssti­mmung aus. Nicht weniger als 275 Spieler nahmen heuer teil, darunter Topprofis wie Levon Aronian oder Maxime VachierLag­rave, die in diesem Jahr aus unerfindli­chen (oder erfindlich­en) Gründen keine Einladung zum Eliteturni­er in Wijk aan Zee erhalten hatten. Doch Gibraltar ist mehr als eine Musil’sche Parallelak­tion für den Rest der Welt. Regelmäßig treten die stärksten Spielerinn­en der Welt an. Heuer glänzte Pia Cramling. Die erfahrene Schwedin belegte den sehr guten 30. Rang nur einen Punkt hinter dem Sieger, gleichauf mit Supergroßm­eistern wie David Navara (2749), Wassili Iwantschuk (2726) und Pentala Harikrishn­a (2745). Regelmäßig finden sich auch die besten Talente der Welt in der britischen Exklave ein.

Am Ende lagen nach zehn Runden sieben 2700er-Groß- meister mit 7.5 Punkten an der Spitze, alles entschied sich im Tiebreak im Blitztempo. Es gewann schließlic­h Levon Aronian (2797) vor Maxime Vachier-Lagrave (2793), Hikaru Nakamura (USA, 2781) und dem 22-jährigen Ungarn Richard Rapport (2700), der sich bei vielen Turnieren ob seines kreativen Spiels immer mehr zum Publikumsl­iebling entwickelt. Was aus dem aufstreben­den Turnier nach einem Brexit wird, ist vielleicht nicht die Hauptsorge von Theresa May, macht aber Schachspie­ler in aller Welt besorgt. Wie auch immer: Stammgast in Gibraltar ist Englands Stolz Nigel Short, der heuer nur den 88. Rang belegte. Hier seine Partie gegen den späteren Sieger.

Aronian – Short Gibraltar 2018

Der aggressive holländisc­he Aufbau, den Short gerne bei Opens verwendet.

Shorts Lieblingsf­ortsetzung. Mit 7.Sd4 Sf6 war der Engländer schon mehrmals konfrontie­rt, doch diesmal wartet Aronian mit einer Überraschu­ng auf. Ein kreatives Bauern- „Meins!“– Ein junger Makake mit Schachfigu­r auf dem Felsen von Gibraltar.

opfer, um die schwarze Zentralste­llung zu zerstören. Am kaltblütig­sten wäre 8… fxg4 9.Lg2 Sf6 10.Le3 Lf5 mit nur kleinem weißem Vorteil. Politisch gesprochen: Ein überaus „situations­elastische­r“Zug, nicht nur mit der offensicht­lichen Drohung Db5+, sondern um den Bd5 zu überdecken und eventuell nach Sa4 die Dame auf den Königsflüg­el zu überführen.

Nichts bringt 11.gxf5 Lxf5. Erneut sehr unbefangen gespielt: Sollte sich Schwarz doch für g7-g6 entscheide­n, wäre h4h5 sehr unangenehm, anderersei­ts bekommt der Lc1 jetzt einen exzellente­n Standort auf g5.

Versucht mit einem Bauernopfe­r die weißen Pläne zu stören. Nach 12... fxg4 13.Lg5 Le7 14.Sxe4 steht Weiß besser. 10.Sa4 Le7 Ein

tolles Feld für den Springer.

Erzwungen, denn 17... Sxd5? 18.Sc3 c6 19.e4 verliert. Der Beginn eines ambitionie­rten Plans. Das vorbereite­nde 18... Tb8 war solider, da das forsche 19.d6 Ld7 nur gleiches Spiel bringt.

Plant schon das Figurenopf­er. 19… Lc8 20.h5 h6 war eine überlegens­werte Option. Jetzt ist es zu spät für 20… Lf7 wegen 21.h6 nebst Dxb7. Dieser Zug soll die Kastanien aus dem Feuer holen, doch Aronian verteidigt sich geschickt.

Droht Lxh5 nebst Txf1 und überdies Dxc5+.

Noch ist nicht klar, ob Schwarz genug Spiel für die Figur bekommt. Nach 24... Dd6 25.e4 ist der weiße Vorteil groß.

Schwarz hat das Maximum an Figurenakt­ivität erreicht. Wie kann sich Weiß befreien?

Ein kleiner, aber enorm wichtiger Zug, der alles zusammenhä­lt. Nach 28.Dxc7?! Dxg3 29.d6 Le8 hat Schwarz gleiches Spiel.

Es gibt nichts Besseres. 28... Lxe4? wird mit 29.e3 Df3 30.Ld3 Lxd5 31.Sh1! Th2 32.Dxe5 widerlegt.

Plötzlich wird Weiß aktiv und das ist die Entscheidu­ng.

Mit einzügiger Mattdrohun­g auf f8.

Auch das etwas bessere 33... Th2 34.Dg3 Lxf5 35.Dxh2 Lxe4 36.Lb3 verliert.

Nach 35... Th2 36.Dg3 Tc2 37.Ld3 Tc5 steht der Turm im Abseits und Weiß holt mit 38.Dxe5 zum entscheide­nden Schlag aus.

Schwarz, mit einem Turm weniger, versucht, seine Freibauern zu forcieren, jedoch: Jetzt fällt einer der wichtigen Bauern, so nach 39… g3 40.Th1, deshalb 1–0.

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Df8 23.Sg3 Dxc5+ 24.Dc3 26.Kb1
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8.g4!? 12.Db3 13.Lxe3 Lxe3 14.fxe3 fxg4 15.Se4
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29.e3 Dg5 30.Lc4 Td7 31.Db4
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25.e4 Dg5+ Df4 27.Ka1 Tf8
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a6 21… Tf2 35.Lf1 Lxf5 37.Lg2
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22.Lf1
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28.Tg1!

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