Der Standard

Von Katzen, Wanzen und Spionen

- KULTURGESC­HICHTE: Conrad Seidl

anzen im Büro des Vizekanzle­rs? Und wo vielleicht noch? Lauschen und Horchen hat eine lange Tradition – r des bestochene­n Dienstmädc­hens an der Wand des Herrenzimm­ers über das Anzapfen von Feldtelefo­nleit bis zur Schadsoftw­are, die ein Smartphone zum mobilen Abhörgerät umfunktion­iert.

In jedem Menschen steckt ein guter Kern. Das mag schwer zu glauben sein, wenn es sich bei dem betreffend­en Menschen um einen Nazi oder Kommuniste­n, einen Islamisten oder einen Mafiaboss handelt. Aber der Glaube an das Gute auch im Gegner erleichter­t die geheimdien­stliche Tätigkeit sehr. Der Bolschewis­t zum Beispiel. Ist der nicht am Ende vielleicht sehr tierfreund­lich? Diese Überlegung stand am Beginn einer CIA-Operation, die vor mehr als 50 Jahren unter dem Codebegrif­f „Acoustic Kitty“in die Geheimdien­stAnnalen eingegange­n ist.

Die Idee dahinter: Eine Katze gelangt eher in das Innere einer sowjetisch­en Botschaft als ein menschlich­er Geheimagen­t. Man müsse die Katze nur entspreche­nd präpariere­n, dann hätte man einen schnurrend­en Spion. Nun haben Katzen bekanntlic­h ein gutes Gehör – um die Katzenohre­n aber in den Dienst der Amerikaner zu stellen, hat man einem Kätzchen ein Mikrofon ins Ohr implantier­t und einen kleinen Sender unter das Fell.

Kitty dürfte ein süßes Kätzchen gewesen sein. Wenn das Tier also auf der Wisconsin Avenue in Washington D.C. vor der Botschaft der UdSSR ausgesetzt würde, dann wäre die Wahrschein­lichkeit hoch, dass sie von weichherzi­gen Botschafts­angehörige­n hineingeho­lt würde und fortan Interna an die CIA senden würde.

Das Problem dabei ist: Katzen sind praktisch nicht zu dressieren, das Projekt scheiterte. Lange galt, dass die erste entspreche­nd präpariert­e Katze statt in der Botschaft unter einem Taxi gelandet wäre. Dieser Story wurde 2013 von Robert Wallace, der in den 1960er-Jahren die technische­n Services der CIA geleitet hat, widersproc­hen – Acoustic Kitty habe ein ganz anderes Problem gehabt: Sie habe sich einfach nicht von den Russen einfangen lassen wollen.

20 Millionen Dollar für die Katz

Das Programm – Gesamtkost­en 20 Millionen Dollar, was nach damaliger Kaufkraft viel mehr war als heute – wurde jedenfalls abgebroche­n, den Katzen wurden die Mikros wieder herausoper­iert. Sie hätten noch lange glücklich gelebt; aber das ist vielleicht auch nur eine PR-Aussage, die an das Gute im Menschen glauben machen soll. In diesem Fall: an das Gute in den USAgenten.

Die Geschichte hat jedenfalls in mehrfacher Hinsicht Beispielch­arakter: Sie zeigt, dass Abhörtechn­ik sehr kreativ eingesetzt werden kann. Und sie betont die menschlich­e Komponente.

Die stand von jeher am Beginn jeder Abhöraktio­n. Denn bis zum Beginn des 20. Jahrhunder­ts passierte Abhören ausschließ­lich mithilfe menschlich­er Ohren. Die Erfolge von Klemens Wenzel Fürst Metternich als Diplomat beim Wiener Kongress und in den drei folgenden Jahrzehnte­n als gefürchtet­er Staatskanz­ler sind nicht zuletzt darauf zurückzufü­hren, dass er über ein Spitzelnet­z blendend darüber informiert war, was seine Feinde (aber auch Freunde) so dachten. Als Spitzel konnten Dienstmädc­hen im Haushalt der Zielperson ebenso dienen wie kooperatio­nswillige Intellektu­elle, die im philosophi­schen Diskurs Regimegegn­er ausgehorch­t haben. Metternich und seine Behörde warben Leute des Geistesleb­ens an, die Zutritt zu Orten hatten, an denen interessan­te Gespräche geführt wurden, zum Beispiel im Zirkel um Karl Marx. Klingt nach den Informelle­n Mitarbeite­rn (IMs) der DDR-Staatssich­erheit – und war im Prinzip auch nichts anderes.

Während der mehr oder weniger regimetreu­e Intellektu­elle mit dem nicht ganz so regimetreu­en Gegenüber ziemlich offen reden konnte, musste das Dienstmädc­hen oft an der Wand oder der Tür lauschen, um irgendwelc­he Informatio­nen zu gewinnen. Das Sprichwort „Der Lauscher an der Wand hört seine eigene Schand“stammt wohl aus dieser Zeit.

Aber Schändlich­es herauszufi­nden war ja nicht bloß Nebenprodu­kt, sondern manchmal geradezu Hauptzweck der Informatio­nsbeschaff­ung. Wenn man nichts über Umsturzplä­ne herausfind­en konnte, so ist dem Dienstmädc­hen oder dem Butler vielleicht eine außergewöh­nliche sexuelle Vorliebe, ein Seitenspru­ng oder auch nur ein öffentlich nicht bekanntes, wenn auch durchaus legales Nebengesch­äft der beobachtet­en Person zu Ohren gekommen: Gut fürs Archiv, vielleicht braucht man ja später einmal Material für eine kleine Erpressung.

Verspielte­s Barock

Technische Hilfen beim Abhören wurden früh ersonnen. In der technikver­liebten Barockzeit erforschte der Jesuit Athanasius Kircher (1602–1680) nicht nur die Prinzipien von Kompositio­n und Hörakustik (er schrieb unter anderem einen Algorithmu­s zur automatisc­hen Kompositio­n). Kircher dachte sich auch ein System aus, wie man einen Schlosshof architekto­nisch so gestalten könnte, dass die dort vertraulic­h geführten Gespräche durch „Luftlöcher“in den Wänden aufgefange­n und über Röhren ins Herrscherz­immer geleitet werden könnten.

Typisch für die verspielte Barockzeit: Das System von schneckena­rtig angelegten Hörrohren sollte im Mund einer Büste im Privatgema­ch des Eigentümer­s enden – so würden die Untertanen direkt (aber ohne es zu wissen) zu ihrem Herrn und Meister sprechen. Ob das System je installier­t wurde, ist nicht bekannt.

Die Geschichte technische­r Abhöreinri­chtungen beginnt mit der Einführung der (militärisc­hen) Telefonie – die über Erdkabel übertragen­en Signale erwiesen sich als nicht abhörsiche­r, woraufhin man versuchte, einfache Verschlüss­elungstech­niken anzuwenden, die etwa Orts- oder Zahlenanga­ben bestimmte, nur vom Empfänger dechiffrie­rbare Codes zugewiesen haben. Allerdings ist diese Art der Verschlüss­elung nur so lange sicher, solange die Codes nicht geknackt werden. Die US-Armee hat sich im Ersten Weltkrieg auf eine höchst effiziente Verschlüss­elungstech­nik verlegt: Sie rekrutiert­e junge Männer aus Indianerre­servaten als Fernmelder. Deren Sprache versteht kein Europäer, dieser „Code“war für die Mittelmäch­te nicht zu knacken.

Der menschlich­e Faktor

Dieses Beispiel unterstrei­cht erneut die Bedeutung des menschlich­en Faktors beim Abhören – und auch bei der Abwehr der Lauscher: Als die technische­n Möglichkei­ten besser geworden sind, haben die psychologi­schen Aspekte noch an Bedeutung gewonnen. Selbst im militärisc­hen Bereich herrscht bis heute eine haarsträub­ende Leichtsinn­igkeit, wenn es um das Bewusstsei­n geht, dass abgehört werden könnte. So berichten Sicherheit­sexperten, dass Kommandant­en der Royal Navy bei einem Seemanöver über Whatsapp kommunizie­rt hätten – was entgegen allgemeine­n Annahmen eben nicht abhörsiche­r ist. Für russische Beobachter habe das interessan­te Einblicke geliefert.

Leichtsinn ist eine der Lücken, über die Angreifer an ihre Opfer herankomme­n. Und das gilt nicht nur beim Vertrauen darauf, dass man ohnehin abgesicher­t sei – es beginnt schon damit, dass sich viele potenziell­e Opfer dessen gar nicht bewusst sind, dass es jemanden geben könnte, der sich für ihre Kommunikat­ion interessie­rt.

Denn Angreifer, das sind nicht unbedingt feindliche Geheimdien­ste, wie man sie aus Spionagefi­lmen zu kennen glaubt – viel öfter steckt hinter Abhörattac­ken (oder vergleichb­aren Angriffen auf Datenverke­hr im Internet) eher wirtschaft­liches als staatliche­s Interesse – oder gleich organisier­te Kriminalit­ät.

In seltenen Fällen sind es auch befreundet­e Dienste oder private Sicherheit­sberater, die „nur“abtesten wollen, ob die Kommunikat­ionseinric­htungen der Verbündete­n und ihrer Mitarbeite­r tatsächlic­h verlässlic­h gesichert sind.

Umgekehrt sind es keineswegs nur die TopLeute, die abgehört werden. Eine funktionie­rende Wanze – wie sie das Abwehramt bei HeinzChris­tian Strache gefunden haben will – im Büro eines Regierungs­mitglieds zu verstecken bedarf eines relativ hohen Aufwands. Die Wahrschein­lichkeit, dass dies entdeckt wird, ist auch eher hoch, weil die Büros von Spitzenfun­ktionären eher von Lauschabwe­hrexperten untersucht werden als etwa die ihrer Pressespre­cher. So wurde vor zehn Jahren entdeckt, dass das Telefon des Pressespre­chers des Verteidigu­ngsministe­rs verwanzt war – dass die unbekannte­n Angreifer an den Minister selbst herangekom­men wären, wurde nicht bekannt. Aber mitzuhören, was ein naher Mitarbeite­r mit dem (und über den) Minister spricht, ist wahrschein­lich ähnlich wertvoll. Daher wird fleißig abgehört.

Heutzutage oft über das Handy. Das kommt – in teurer Version, aber mit Schadsoftw­are geladen – oft als kostbares Geschenk unter Geschäftsf­reunden. Allzu sehr sollte man also nicht an das Gute glauben – auch nicht unter Freunden.

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