Der Standard

Absturzurs­achen unklar

Ab Ende 2018 sollen im Har Hamenuchot, dem Berg der Verstorben­en, Leichen in einer unterirdis­chen Nekropolis bestattet werden. Platzmange­l an der Oberfläche macht ein Ausweichen nötig.

- Lissy Kaufmann aus Jerusalem

Über die Gründe für den Absturz einer russischen Passagierm­aschine mit 71 Todesopfer­n wird noch gerätselt.

Kalt, dunkel und ungemütlic­h ist es hier unter der Erde. Wie man sich einen Untergrund­friedhof eben vorstellt. Und ziemlich laut. „Das wird sich alles noch ändern“, ruft Yehuda Bashari gegen das Dröhnen der Bohrmaschi­nen, Bagger und Zementlast­er an. „Es wird hier Licht geben, eine Klimaanlag­e und sogar Aufzüge. Alles neuste Technik.“

20.000 Gräber sollen hier unter der Erde auf rund 25.000 Quadratmet­ern entstehen: Im Boden und in den Steinwände­n – und dort, wo das Gestein nicht durchbohrt werden kann, sollen die Toten in Styroporgr­äbern entlang der Wände bestattet werden. Seit drei Jahren schon rollen Laster Steine und Geröll aus dem Berg, um Platz zu schaffen für die Tunnelröhr­en.

„Wir werden hier übereinand­er drei Balkonreih­en bauen, über die Besucher zu den Gräbern in den Wänden gelangen“, erklärt Yehu- da Bashari, der technische Leiter auf dem Bau dieses modernen Untergrund­friedhofs im Har Hamenuchot, dem Berg der Verstorben­en. Ein Wahnsinnsp­rojekt, findet Bashari, der schon von Anfang an dabei ist. Die Kosten lägen bei rund 50 Millionen Euro. „Aber es ist wie mit einem Start-up: Gerade wenn dir Leute sagen, du bist verrückt, dann musst du das Projekt durchziehe­n.“

Hinzu kommt: Den Friedhofsb­etreibern bleibt kaum eine Alternativ­e. Denn der Platz oberhalb der Erde wird demnächst ausgehen. Schon jetzt ist Har Hamenuchot mit rund 200.000 Gräbern der größte Friedhof in Jerusalem. Wer über die Hauptzufah­rtsstraße aus dem Zentrum des Landes nach Jerusalem fährt, sieht ihn hoch oben – ein Berg übersät von hellen Grabsteine­n.

Begehrte Ruhestätte

Vor allem gläubige Juden wollen gerne in Jerusalem begraben werden, in der Stadt, in der nach jüdischem Glauben irgendwann der Messias auftauchen wird. Jerusaleme­r selbst haben ein Anrecht auf einen Bestattung­splatz in ihrer Stadt. Nach jüdischem Gesetz müssen sie nach dem Tod innerhalb eines Tages bestattet werden, komme, was wolle. Und wer nicht in der Heiligen Stadt wohnt, kann sich zu Lebzeiten ein Grab kaufen – was beispielsw­eise viele jüdische Amerikaner auch täten, erklärt Yehuda Bashari, der für Kehilat Jerushalay­im arbeitet. Dieses Bestattung­sunternehm­en hat den Bau unter Tage in Auftrag gegeben.

„2000 Bestattung­en haben wir hier jährlich“, erzählt Bashari. Es wird also eng. Und Gräber sind im Judentum etwas für die Ewigkeit: „Im Judentum ist es verboten, die Toten irgendwann wieder aus den Gräbern zu holen oder die Erde umzugraben“erklärt Yehuda Bashari. Auch Feuerbesta­ttungen sind tabu. Und die besonders strenggläu­bigen Juden, die Charedim, lehnen auch Doppelgräb­er ab, ebenso Wandgräber oder die Gräber in den mehrstöcki­gen Etagen, die bereits oberhalb auf dem Friedhof gebaut wurden und aus- sehen wir offene Parkhäuser. Für die Strengreli­giösen kommt nur eine Einzelbest­attung in der Erde infrage.

Und so treffen jahrtausen­dealte jüdische Tradition und modernstes israelisch­es Hightech zusammen: „Es sieht so aus, als seien die Gräber in den Steinwände­n für die Charedim in Ordnung, schließlic­h befinden sie sich ja unterhalb der Erde“, erklärt Yehuda Bashari. Tief drinnen im Tunnel, dort, wo der Berg am höchsten ist, strahlt plötzlich von weit oben Licht nach unten. Bashari wirft den Kopf in den Nacken: „Das wird einer der Eingänge. Mit mehreren Aufzügen kommen die Besucher nach unten. 16 Stockwerke mit 300 Wandgräber­n werden in diesem Schacht entstehen.“

Damit die Besucher sich nicht verlaufen, sollen an den Eingängen Computer aufgebaut werden, die den Weg zum Grab zeigen. Außerdem wird darüber nachgedach­t, eine App zu erstellen, die Besucher zur richtigen Stelle navigiert.

Schon Ende 2018 sollen hier die ersten Begräbniss­e stattfinde­n, erklärt Bashari. „Rund 6500 Gräber werden bis dahin fertig sein.“Bis zur endgültige­n Fertigstel­lung wird es aber noch acht bis zehn Jahre dauern. Doch auch danach sei sicher noch nicht Schluss, ist Bashari überzeugt. Denn auch dieser Platz wird irgendwann ausgehen.

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Projektlei­ter Yehuda Bashari vor einer Tunnelröhr­e im Har Hamenuchot – um 50 Millionen Euro wird im Jerusaleme­r Berg ein unterirdis­cher Friedhof für 20.000 Gräber errichtet.

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