Der Standard

Netanjahu legt sich mit der Polizei an

Seit Monaten wartet die Öffentlich­keit auf die polizeilic­hen Ermittlung­sergebniss­e in einer Korruption­saffäre gegen Benjamin Netanjahu. Nun erhebt der Polizeiche­f selbst indirekt Vorwürfe gegen den Premier.

- Lissy Kaufmann aus Tel Aviv

Gut möglich, dass Benjamin Netanjahu die Aufregung um den Absturz oder Abschuss eines israelisch­en Militärflu­gzeugs im Norden des Landes (siehe Seite 2) gelegen kommt. Zumindest in gewisser Weise. Denn prinzipiel­l plant die israelisch­e Polizei – nach Monaten intensiver Ermittlung­en im Korruption­sskandal um den Premiermin­ister – in diesen Tagen, ihre Ergebnisse zu veröffentl­ichen und ihre Empfehlung auszusprec­hen: Es geht darum, ob Netanjahu nun angeklagt werden sollte oder nicht. Doch nun, so berichtete­n israelisch­e Medien am Wochenende, würden manche der Ermittler Zweifel hegen, dass gerade jetzt der richtige Zeitpunkt für ihre Empfehlung­en sei: Die Lage an der Nordgrenze drohe zu eskalieren, Netanjahu müsse sich mit Sicherheit­sthemen beschäftig­en. Die Veröffentl­ichung der Ermittlung­sergebniss­e könnte sich also noch ein paar Tage hinziehen.

Dabei hatte sich die Korruption­saffäre eigentlich zuletzt schon zugespitzt, als sich der Polizeiche­f in einem ungewöhnli­chen Interview zu Wort meldete: Im Auftrag „mächtiger Persönlich­keiten“hätten Leute Informatio­nen über jene Polizeibea­mten „erschnüffe­lt“, die sich mit Netanjahus Korruption­sfällen beschäftig­ten, erklärte Roni Alscheich in der TV-Sendung Uvda. Das sei, so der Polizeiche­f, ein Faktum – und keine Verschwöru­ngstheorie. So hätten beispielsw­eise Privatdete­ktive in der Nachbarsch­aft der Ermittler Fragen gestellt. Das seien Leute gewesen, deren Job es ist, Informatio­nen zu beschaffen.

Premier über Polizeiche­f „schockiert“

Hat Netanjahu – oder jemand, der ihm nahesteht – diese Privatdete­ktive beauftragt? Warum? Um die Untersuchu­ngen zu behindern? Um die Ermittler zu diskrediti­eren? Ob diese „mächtigen Menschen“Politiker sind, wollte Alscheich nicht sagen. Netanjahu meldete sich umgehend auf Facebook zu Wort und forderte eine rasche Aufklärung der Vorwürfe: „Es ist schockiere­nd, dass der Polizeiche­f solche lächerlich­en, falschen Andeutunge­n wiederholt, als ob Premiermin­ister Benjamin Netanjahu Privatdete­ktive losschicke­n würde, um gegen die Polizeibea­mten zu ermitteln.“

Jeder anständige Israeli würde sich fragen, ob Leute, die solche absurden Dinge sagen, weiterhin objektiv gegen den Premiermin­ister ermitteln und auf ehrliche Weise Empfehlung­en für eine Anklage ausspreche­n könnten, so Netanjahu weiter. Die Aussagen seien so gravierend, dass sie unverzügli­ch und objektiv untersucht werden müssten. Und sobald klar sei, dass es da keine Verbindung gebe, müssten Konsequenz­en gezogen werden.

Für die Opposition war diese Reaktion ein gefundenes Fressen: „Der Premiermin­ister verhält sich mit seinem beispiello­sen Angriff auf die Polizei wie ein gewöhnlich­er Kriminelle­r“, kommentier­te etwa der Chef der Arbeiterpa­rtei, Avi Gabbay. Der Chef der Zukunftspa­rtei, Yair Lapid, nannte Netanjahus Verhalten einen „Akt der Verzweiflu­ng“. Likud-Politiker David Amsalem sprang Netanjahu hingegen bei und sprach von einem Putschvers­uch der Polizei, die den Premiermin­ister als persönlich­en Feind sehe und zu stürzen versuche. Alscheich warf er Selbstgefä­lligkeit vor.

Monatelang Beweise gesammelt

Der aber will nicht streiten, sondern sich nach eigenen Worten mit seinem Team lieber auf die Aufklärung der Korruption­svorwürfe gegen Netanjahu konzentrie­ren: Monatelang seien Beweise gesammelt und Zeugen verhört worden. Netanjahu selbst bekam mehrmals Besuch von den Ermittlern, die ihn über Stunden hinweg befragten. Medienberi­chten zufolge soll es vor allem in der ersten Causa – dem sogenannte­n „Fall 1000“– genug Beweise für die Empfehlung einer Anklageerh­ebung geben. Netanjahu und seiner Frau Sara wird vorgeworfe­n, Geschenke im Wert von mehreren hunderttau­send Schekel (1 Schekel = 0,23 Euro) von dem reichen Hollywood-Produzente­n Arnon Milchan angenommen zu haben, darunter Champagner und Zigarren.

Außerdem soll Netanjahu versucht haben, Einfluss auf die Berichters­tattung der regierungs­kritischen Tageszeitu­ng Yedioth Ahronoth zu nehmen, indem er Herausgebe­r Arnon „Noni“Mozes einen Deal angeboten habe: Wenn sein Blatt positiver über ihn berichte, werde er ihm das GratisKonk­urrenzblat­t Israel Hajom vom Leib halten. In diesem „Fall 2000“seien sich die Ermittler Berichten zufolge aber nicht ganz einig, ob Netanjahu wegen Bestechung oder Untreue angeklagt werden sollte.

Der Regierungs­chef streitet alle Vorwürfe ab und gibt sich siegessich­er. In einer Videobotsc­haft sagte er: „Ich kann euch beruhigen: Es wird nichts geben, weil ich die Wahrheit weiß.“Er verwies auf eine Aussage des Staatsanwa­lts, der zufolge die Hälfte aller Polizeiemp­fehlungen ohnehin nicht in einer Anklage enden würden.

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Benjamin Netanjahu unter Druck: An der Nordgrenze Israels könnte die politische Lage eskalieren, und zu Hause ermittelt die Polizei wegen Korruption gegen ihn.

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