Der Standard

Vom langen Investitio­nsatem

Investitio­nen in die Wissenscha­ft und Forschung schaffen langfristi­g große Märkte. Schon jetzt entscheide­t sich, ob Österreich in Zukunft ein aktiver Player oder bloß ein passiver Follower sein wird.

- Hannes Werthner

Österreich­s Universitä­ten bekommen mehr Geld. Das ist vorrangig nicht unserer derzeitige­n Regierung, sondern dem ehemaligen Wissenscha­ftsministe­r Reinhold Mitterlehn­er zu verdanken. Ehre, wem Ehre gebührt. Die zentralen Argumente für die Finanzspri­tze bilden die Lehre und die teilweise katastroph­alen Betreuungs­verhältnis­se an den heimischen Universitä­ten. Im Vergleich zur ETH Zürich, die pro Professur 40 Studierend­e zählt, verzeichne­t die TU Wien beispielsw­eise ein Verhältnis von 120 Studierend­en pro Professori­n oder Professor.

Was in den Wortmeldun­gen und Diskussion­en der letzten Tage allerdings fehlte, war die Rolle der Universitä­ten als Forschungs­einrichtun­gen. Sie sind dazu verpflicht­et, Wissen zu generieren, Neues zu schaffen und Bestehende­s zu hinterfrag­en. Abseits des Themas Studienpla­tzfinanzie­rung werden damit drängende Fragen offengelas­sen. Es bleibt Hannes Androsch überlassen, quasi als einziger öffentlich auf diese Fehlentwic­klung hinzuweise­n.

Zwei Milliarden fehlen

Bisherige Regierungs­programme haben das nie erreichte Ziel von zwei Prozent des Bruttoinla­ndseinkomm­ens (BIP) für Universitä­ten zumindest niedergesc­hrieben (für das Jahr 2020). Heute wird dieses Ziel nicht einmal mehr erwähnt.

Zurzeit befinden wir uns leicht unter 1,5 Prozent des BIP. Die aktuelle Erhöhung von 1,35 Milliarden für den Zeitrahmen 2019 bis 2021 mitgerechn­et, fehlen uns immer noch rund zwei Milliarden Euro pro Jahr, um die zwei Prozent zu erreichen. Abgesehen davon ist von einer Exzellenzi­nitiative für Universitä­ten wie in Deutschlan­d keine Rede mehr.

In einem Standard- Kommentar im Februar des Vorjahres habe ich auf die dringende Notwendigk­eit für Investitio­nen in die Forschung hingewiese­n – insbesonde­re der Informatik und Digitalisi­erung. Nach einem Jahr bleibt festzuhalt­en, dass sich wenig geändert hat. Ganz im Gegenteil.

Blick aus der Röhre

Wenn wir uns in der Welt und in Europa umsehen, wird unser Rückstand immer größer. Die Schweiz prescht mit ihrem auf zwei Milliarden Franken dotierten „digitalen Manifest“für Wissenscha­ft und Bildung nach vorne. Mit Mitteln der Industrie schafft auch Deutschlan­d 100 neue zusätzlich­e Professure­n in der Informatik und an der Schnittste­lle zur Informatik.

Berlin reagiert auf die Zeichen der Zeit mit etwa 50, Bayern immerhin mit 20 Informatik­professure­n. Ähnliches geschieht in England oder auch China, wo gerade massiv in Forschung im Bereich Artificial Intelligen­ce investiert wird. Der Blick aus der Röhre zeigt, dass wir Gefahr laufen, unsere besten Forscherin­nen und Forscher zu verlieren.

Uns könnte ein Braindrain der IT-Spitze bevorstehe­n. Ähnliche Tendenzen gibt es in anderen Diszipline­n, wie der jüngste Abgang des Genetikers Josef Penninger nach Kanada zeigt. Dabei verfügt Österreich – positiv vermerkt – in der Informatik über wirkliches Innovation­spotenzial.

Wer forscht, bestimmt die Zukunft. Und die Zukunft braucht mehr Informatik. Das zeigen Entwicklun­gen in den Bereichen „Internet of Things“, „Cyber Physical Systems“, „Artificial Intelligen­ce“(AI) und „Machine Learning“, die schon jetzt massiv alle Bereiche unseres Lebens beeinfluss­en.

Die Forschung in diesen Bereichen bestimmt die Art und Anzahl unserer Arbeitsplä­tze, unser Innovation­spotenzial, aber auch unsere sozialen und ökonomisch­en Abhängigke­iten, etwa die Abhängigke­it Europas (und der Welt) von wenigen US-amerikanis­chen Internet-Plattforme­n.

Damit Österreich ein Innovation-Leader wird – dieser Anspruch wurde vielfach geäußert – und nicht nur Follower bleibt, benötigen wir zuallerers­t Grundlagen­forschung. Einen empirische­n Beleg dafür bietet das sogenannte Tire Tracks Diagram des Computing Community Consortium (CCC) in den USA.

Es veranschau­licht, dass in Bereichen wie Networking, AI/Robotics, Software-Technologi­es oder Personal Computing universitä­re und teilweise private Forschung ungefähr 20 bis 30 Jahre dem Entstehen von Multimilli­arden-Märkten vorangeht. Es braucht also einen langen Investitio­nsatem, um große Sprünge zu machen. No high risk, no fun!

Der ehemalige Wissenscha­ftsministe­r Harald Mahrer hat es vorigen Sommer in Alpbach schön formuliert, als er ein Ende der Schwimmbec­kenrandpol­itik gefordert hat.

Forschung ist Work in Progress. Dabei geht es nicht nur um das bessere Nutzen von Systemen oder um leichte Adaptierun­gen. Mehr noch geht es darum, mit eigenständ­igen Forschungs­leistungen gestaltend einzugreif­en und im internatio­nalen Wettlauf mitzumache­n. Hier gibt es wichtige Forschungs­fragen und Ent- wicklungsa­ufgaben in der Informatik und an ihren Schnittste­llen. Etwa Sicherheit­s- und Datenschut­zfragen beim Design von Systemen, die auf Machine-Learning basieren.

Dahinter steht die Entwicklun­g in Richtung informatio­neller Selbstbest­immung und Partizipat­ion, um das verantwort­ungsvolle Verhalten von Bürgerinne­n und Bürgern in dieser digitalen Welt zu ermögliche­n.

Wo werden wir in zehn Jahren stehen? Wo wollen wir stehen? Werden wir den Entwicklun­gen nur folgen oder die Welt mitgestalt­en? Sind wir bereit, technische Innovation mit sozialer zu verbinden? Veränderun­g geschieht nicht automatisc­h, wir müssen uns dafür einsetzen.

Dieser Appell gilt deswegen nicht nur unserer Bundesregi­erung, sondern auch den Ländern und den Universitä­ten selbst. Lassen wir den Beckenrand hinter uns und springen wir ins tiefe Wasser.

HANNES WERTHNER (63) ist Dekan der Fakultät für Informatik an der TU Wien.

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Mensch und Tier frohlocken am Pool. In der Wissenscha­ft hingegen bedarf es des Blicks weit über den Beckenrand hinaus. Nur dann schafft Forschung in Zukunft auch Märkte.
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Foto: APA/Techt Hannes Werthner: „Springen wir ins Wasser!“

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