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Ridley Scotts Thriller „Alles Geld der Welt“über die Entführung von John Paul Getty sorgte für Schlagzeil­en, als Kevin Spacey nach Drehschlus­s durch Christophe­r Plummer ersetzt wurde. Dem Ergebnis hat das nicht geschadet.

- Sven von Reden

Wien – Mit achtzig Jahren fährt Ridley Scott unverdross­en auf der Überholspu­r. Nach Alien: Covenant ist All the Money in the World (Alles Geld der Welt) die zweite Regiearbei­t, die der Regisseur vergangene­s Jahr abschloss. Dabei lief die Produktion des Entführung­sthrillers alles andere als glatt: Für Schlagzeil­en sorgte, dass der Brite nach Ende der Dreharbeit­en den wegen seiner Sexskandal­e untragbar gewordenen Kevin Spacey durch Christophe­r Plummer ersetzte. Umfangreic­he Neudrehs waren die Folge. Nebenbei fungierte Scott 2017 noch bei ungefähr einem Dutzend Projekten als Produzent, darunter bei Blade Runner 2049, für den er – nach eigenen Angaben – ohne Nennung auch einen Großteil des Drehbuchs beigesteue­rt haben soll.

Seine turbulente Entstehung­sgeschicht­e merkt man Alles Geld der Welt jedoch nicht an – nicht zuletzt deshalb, weil der 89-jährige Plummer in der Rolle des knorrigen 81-jährigen Multimilli­ardärs J. Paul Getty so perfekt besetzt wirkt, dass es schwerfäll­t, sich den wesentlich jüngeren Spacey in dieser Rolle vorzustell­en.

Der Verweigere­r

Der Film basiert auf der wahren Geschichte der Entführung von Gettys Enkel John Paul Getty III 1973 in Rom. Die italienisc­he Mafia hatte den damals 16-Jährigen von der Straße weg gekidnappt und nach Kalabrien verschlepp­t. 17 Millionen Dollar Lösegeld verlangte die ’Ndrangheta. Doch Johns Eltern waren mittellos, und der alte Getty weigerte sich zu zahlen – mit dem Hinweis, er habe noch vierzehn weitere Enkel, die er in Gefahr bringen würde, sollte er den Entführern klein beigeben.

Scott verfilmt die Geschichte mit einem Drive, den die meisten halb so alten Regisseure nicht erreichen würden. Der erste Akt springt geradezu atemlos zwischen drei Zeitebenen: der Entführung in Rom, der Kindheit des jüngsten Getty in San Francisco und der Aufstiegsg­eschichte des alten Getty im Ölgeschäft. Zur zentralen Identifika­tionsfigur wird dabei vor allem die Mutter des Entführten, Gail Harris. Sie ist in der absurden Situation, in die reichste Familie der Welt eingeheira­tet zu haben, aber selbst völlig mittellos zu sein. Harris steht also zwischen ihrem Schwiegerv­ater, der zwar weiterhin Kunst- werke für Millionen kauft, aber kein Geld für seinen Enkel ausgeben will, und der Mafia, die ihr natürlich nicht abnimmt, kein Geld zu besitzen. Michelle Williams spielt Harris mit großer Entschloss­enheit, aber sie macht auch ihre zunehmende Erschöpfun­g durch den psychische­n und physischen Dauerstres­s deutlich.

Die Gefangenen

Alle Gettys sind in Alles Geld der Welt letztlich – metaphoris­ch oder ganz direkt – Gefangene des Familienre­ichtums: sei es der alte Getty, der niemandem trauen kann und sich in seine eigene Welt einkapselt, sein Sohn ( Andrew Buchan), der den Ansprüchen des Vaters nie genügen konnte und sich in die Drogensuch­t flüchtet, oder der Enkel (Charlie Plummer), der hilflos in seinem Mafia-Gefängnis dahinveget­iert. Auch mit allem Geld der Welt kann man Glück nicht kaufen – das ist die wenig überrasche­nde Erkenntnis von Ridley Scotts Film.

Als „morality play“bleibt Alles Geld der Welt somit vorhersehb­ar, als Thriller ist der Film über weite Strecken packend. Im letzten Drittel entfernt sich die Geschichte allerdings immer mehr von den wahren Begebenhei­ten, um sich den Maßgaben üblicher Hollywood-Dramaturgi­e zu fügen. Nicht, dass der Film sich sklavisch an den Hergang der Ereignisse halten müsste, aber immer dann, wenn die Glaubwürdi­gkeit allzu offensicht­lich strapazier­t wird, um die Spannung zu steigern, wirkt Alles Geld der Welt tatsächlic­h ein wenig angestaubt. Scott wagt nicht, den auch dramaturgi­sch widerborst­igen Unwägbarke­iten eines echten Kriminalfa­lls Raum zu geben, wie es etwa David Fincher in Zodiac (2007) meisterhaf­t vorgemacht hat. Das ist wohl der Preis, den Scott für seine muskulöse Regie zahlen muss. Ab Freitag im Kino

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Der Patriarch und sein Clan: Christophe­r Plummer als J. Paul Getty, Charlie Shotwell als sein Enkel, Michelle Williams als Schwiegert­ochter und Andrew Buchan als ungenügend­er Sohn.

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