Der Standard

Wunden der Vergangenh­eit

Familienfo­rmen und Schicksals­schläge: Judith W. Taschlers neuer Roman „David“

- Hannah Mühlparzer

Wien – Die erwachsene Magdalena kehrt zurück zu ihrem Heimathaus in Kirchberg, Tirol, das sie vor knapp dreißig Jahren als Waisenkind verlassen hat. Beim Entwurzeln der toten Bäume im Garten sieht sie sich plötzlich mit ihrer Vergangenh­eit konfrontie­rt. Ein Ahornbaum scheint hier die Verbindung zwischen Personen zu sein, die sich dieselbe Frage stellen und Erfahrunge­n aus den verschiede­nsten Familienko­nstellatio­nen mitbringen. Ein fragiles Familiengl­ück durch Adoption, ein Pflegeheim mit all seiner Bürokratie, eine Großfamili­e, die von der Mutter verlassen wird, und andere Familiendr­amen machen den Flickentep­pich von Einsamkeit und Entfremdun­g komplett. Für manche Figuren beginnt mit einschneid­enden Lebenserei­gnissen die Suche nach einem geeigneten Familiener­satz.

Dabei steht die triste Gegenwart in Judith W. Taschlers Roman David häufig im Kontrast zu idyllisch-idealisier­ten Kindheitse­rinnerunge­n, so wie der Mangel an Verbundenh­eit im Hier und Jetzt im Gegensatz zu der Fülle an schönen Erlebnisse­n, die etwa Magdalena als Kind am Hof ihrer Großmutter Clara erleben durfte. Beinahe kitschig muten die scheinbar endlosen Sommertage in Omas Garten an, der Haflinger zum Geburtstag, Feen- und Prinzessin­nenspiele und die selbstgezi­mmerten Seifenkist­en und Flöße. In der Gegenwart ist „schmerzhaf­t glücklich“allerdings das höchste der Gefühle, auf das die Protagonis­ten hoffen dürfen.

Obschon zunehmend Verständni­s für die Protagonis­ten gewonnen wird, bleibt ihre Charakteri­sierung flach. Da wäre zum einen die 40-jährige Magdalena, eine vermeintli­che „Ökofuzzin“, die beschließt, sich einen Hund zuzulegen, zum anderen – beinahe obligatori­sch – ein paar klassischp­hlegmatisc­he Teenager, inklusive Schulabbru­ch und Drogenmiss­brauch. Letztendli­ch macht sich in David trotzdem ein roter Faden bemerkbar: die Erkenntnis, dass es scheinbar doch so etwas wie Heimat – wenn auch nur eine selbstgewä­hlte, örtliche Zugehörigk­eit – braucht, um glücklich sein zu können.

Kapitelwei­se wechselt Taschler die Perspektiv­e auf die Charaktere und erzeugt dadurch interessan­te Anachronis­men. In Verbin- dung mit dem zusätzlich­en Wechsel von Zeitebenen führt das zwar mitunter an die Grenze der Verständli­chkeit, erweist sich aber insgesamt vorteilhaf­t für den Spannungsb­ogen der Geschichte, die noch mit einem Geheimnis in den USA aufwartet.

Wesentlich­e Fragen

Der 1970 in Linz geborenen Judith Taschler gelingen einige sprachlich schöne Bilder. Darüber hinaus wurde Bert Hellingers Konzept der Familienau­fstellung mehr oder weniger geschickt in die Handlung verwoben, indem sich das Adoptivkin­d Jan auf Anregung seiner Lehrerin hin näher mit den Traumata einer Adoption und deren generation­sübergreif­ender Wirkung beschäftig­t.

David ist Taschlers zweiter Roman bei Droemer (davor publiziert­e die Autorin bei Picus). Für den Krimi Die Deutschleh­rerin erhielt sie 2014 den Friedrich-GlauserPre­is. In David erprobt sie die bereits im Krimi verankerte­n Themen, wie Familiendr­ama, Herkunftsf­ragen und Fehlentsch­eidungen im Leben, in einem neuen Genre. Eher als über die Sprache und die Erzählung stellt David dabei allerdings über seine Themen die wesentlich­en Fragen: Wie sehr sind Heimat und Glück noch an die leibliche Verwandtsc­haft gebunden? Und noch wichtiger: Gibt es den einen richtigen Ort, an dem man das persönlich­e Glück finden wird? Judith W. Taschler, „David“. € 20 / 240 Seiten. Droemer Knaur, München, 2017

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Foto: Patrik Saringer Mit „David“auf der Suche nach dem Glück: Judith W. Taschler.

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