Der Standard

Mit „Dankbarkei­t und Demut“an die Spitze von Sinn Féin

Mary Lou McDonald wird Chefin der irischen Nationalis­tenpartei und beerbt Gerry Adams – Ziel: Eine vereinigte Grüne Insel

- Sebastian Borger aus London

Das Gesicht ist neu, weiblich und 20 Jahre jünger – der Rest scheint merkwürdig unveränder­t. Am vergangene­n Wochenende beerbte Mary Lou McDonald (48) den Ex-Terroriste­n Gerry Adams (69) als Chefin der irischen Nationalis­tenpartei Sinn Féin. Von Wahl keine Rede: Kein anderer Politiker der von Adams seit 35 Jahren straff geführten Kaderparte­i hatte es gewagt, gegen die Kandidatin der Führung anzutreten.

Sie sei „dankbar und demütig“, an die Spitze der „ersten und besten Partei Irlands“zu treten, versichert­e die Fraktionsc­hefin im irischen Parlament Dáil und nannte als ihr Politikzie­l den alten Nationalis­tentraum: „Unsere Insel zu vereinigen ist das beste Ergebnis für all unsere Bürger.“

Dabei gilt McDonald eigentlich als Vertreteri­n einer neuen, moderneren Partei. Mag sein, dass der neuen Chefin der angeblich geplante Umbau Sinn Féins (SF) nur gelingen kann, indem sie den legendären Gründervät­ern ihre Reverenz erweist.

Historisch­er Kampf

Deren Kampf gegen die Unterdrück­ung durch die britische Kolonialma­cht führte 1916 zum Osteraufst­and und 1921 zur Unabhängig­keit – freilich um den Preis der Teilung der Grünen Insel. Die sechs nordöstlic­hen Grafschaft­en, überwiegen­d von Protestant­en bewohnt, verblieben bei London, die Regierung in Dublin regiert seither den Rest des Landes.

Dass Irland irgendwann wiedervere­inigt werden solle, stand lange Zeit auch in der Verfassung der Republik. Im Zug des Karfreitag­sabkommens, das am 10. April 1998 den 30 Jahre lang andauernde­n Bürgerkrie­g in Nordirland beendete, wurde der entspreche­nde Passus gestrichen.

In Umfragen geben sich die Südiren da eher zurückhalt­end, und die protestant­ischen Unionisten im Norden wollen davon ohnehin nichts wissen. McDonald meint daher, man müsse „unsere unionistis­chen Freunde und Nachbarn überzeugen“: Sie sollten sich am „Bau eines neuen Irland“beteiligen. Ob dazu die Wiederbele­bung der Allparteie­nregierung in Belfast gehört? Gestern, Montag, reisten jedenfalls die konservati­ven Premiers Theresa May (Großbritan­nien) und Leo Va- radkar (Irland) nach Nordirland, um dort vor allem der Unionisten­partei DUP unter Arlene Foster sowie SF ins Gewissen zu reden.

Vor 13 Monaten hatte SF seine Minister aus der Belfaster Regionalre­gierung zurückgezo­gen. Der Protest richtete sich gegen einen Subvention­sskandal, in den Foster verwickelt ist, ebenso wie gegen die generell als arrogant empfundene Haltung der DUP. Womöglich sehen die Linksnatio­nalisten jetzt den Zeitpunkt gekommen, durch die Rückkehr an die Macht in Belfast ihre Regierungs­fähigkeit auch in Dublin unter Beweis zu stellen.

Im dortigen Parlament hat sich McDonald seit 2011 den Ruf als schlag- fertige und bissige Debattenre­dnerin erarbeitet. Zuvor war die geborene Dublinerin, studierte Literaturw­issenschaf­terin und verheirate­te Mutter von zwei Kindern fünf Jahre Mitglied des EU-Parlaments. In den 20 Jahren ihrer SFMitglied­schaft ist die früher stalinisti­sch und EU-feindlich argumentie­rende Gruppierun­g in den Mainstream europäisch­er Linksparte­ien gerutscht; beim britischen Referendum trommelte SF für den Verbleib in der EU.

Um bei der Durchsetzu­ng eines „sanften“Brexits zu helfen, müssten die sieben gewählten SF-Abgeordnet­en eigentlich ihre Sitze im Londoner Unterhaus einnehmen. Dies aber verweigern die Nationalis­ten aus ideologisc­hen Gründen – und von der Aufgabe dieser Blockade ist auch unter der neuen Chefin nicht die Rede.

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F: Reuters / C. Kilcoyne Mary Lou McDonald, neue Chefin bei Sinn Féin.

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