Der Standard

Der „Bankraub des Jahrhunder­ts“hat ein Nachspiel

Mehr als vierzig Jahre nach dem Coup in Nizza kommt Jacques Cassandri doch noch vor Gericht

- Stefan Brändle aus Paris

„Sehen Sie, ich bin eine Berühmthei­t“, scherzte Jacques Cassandri zu einem Polizisten, als er am Montag von einem Kamerapulk verfolgt den Gerichtsho­f betrat. Mit seinem Kahlschäde­l und der schwarzen Buchhalter­brille wirkte der 74-Jährige so gar nicht wie der Bankräuber, der er einmal gewesen war. Im Milieu kannte man ihn als „le Tondu“– der Geschorene. In Wahrheit war er das Hirn. Cassandri hatte im Juli 1976 in Nizza mit Komplizen den „Bankraub des Jahrhunder­ts“geplant, koordinier­t und ausgeführt.

Die Bande aus Marseille drang an einem Freitagabe­nd durch die Kanalisati­on und mit Bohrmaschi­nen in den unterirdis­chen Tresorraum der Bank Société Générale ein. Zwei Tage lang plünderte sie 317 Bankfächer und transporti­erte Geld und andere Wertgegens­tände für 46 Millionen Francs ab. Am Montag entdeckten die Bankangest­ellten nur ein Loch in der Wand und den hingekritz­elten Spruch: „Kein Schuss, keine Gewalt, kein Hass.“Die Beute wurde nie gefunden.

All das erzählte Cassandri im Jahr 2010 in einem Buch unter dem Pseudonym Amigo. Doch die Polizei kam schnell drauf, wer dahinterst­eckte. Auf Cassandris Computer fand sie das Manuskript des Buches. Die Schilderun­g war detaillier­ter als in den Polizeiakt­en, weshalb der Verfasser den Raub wohl selbst erlebt hatte.

Bei der Ausführung war Cassandri kein Fehler unterlaufe­n – doch jetzt war er über seinen Berufsstol­z gestolpert. Denn in seinem Buch strich er vor allem seine eigene Rolle heraus. Bisher hatte die Nachwelt den Raub in erster Linie Albert Spaggiari zugeordnet. Der italienisc­hstämmige Gauner war 1976 verhaftet worden, ein Jahr später aber aus dem Gerichtsge­bäude entwichen und bis zu seinem Tod 1989 in Italien unauffindb­ar geblieben. Gleich drei Filme feierten Spaggiaris Rolle in dem „Bankraub des Jahrhunder­ts“, wie dieser von französisc­hen Medien bis heute genannt wird. Cassandri ertrug diese Darstellun­g offenbar nicht und stellte sie 2010 in seinem Buch richtig.

Möglicherw­eise war er im Irrglauben, der Tatbestand sei verjährt. Doch wird ihm nun anhaltende Geldwäsche vorgeworfe­n, da Cassandri nach Meinung der Justiz immer noch von dem eins- tigen Beutezug profitiert. Der gebürtige Korse kaufte damit unter anderem ein Haus in Savoyen, einen Nachtklub in Marseille, Land auf Korsika und jede Menge Pelzmäntel.

Teil der „French Connection“

Sein Verteidige­r stellte sich am Montag auf den Standpunkt, eine Buchveröff­entlichung sei kein Beweismitt­el. Auch sei keineswegs erwiesen, dass sein Klient die Immobilien mit Geld aus dem Bankraub bezahlt habe. In der Tat hatte Cassandri noch andere Einkünfte, obwohl er nie einer regulären Arbeit nachgegang­en war. Er gehörte zur Marseiller Untergrund­organisati­on „French Connection“, die durch den gleichnami­gen, oscarprämi­erten Spielfilm mit Gene Hackman berühmt geworden ist. Wegen Drogenhand­els und Zuhälterei hatte er wie seine Ehefrau dafür vier Jahre aufgebrumm­t bekommen.

Ob Cassandri erneut verurteilt wird, entscheide­t das Gericht erst in einigen Wochen. Bis dahin kann Cassandri schon einmal darüber sinnieren, ob sein Buch die schlaueste Tat seines Lebens war.

 ?? Foto: AFP ?? Durch diesen Tunnel gelangte die Bande am 16. Juli 1976 in den Tresorraum der Bank Société Générale in Nizza.
Foto: AFP Durch diesen Tunnel gelangte die Bande am 16. Juli 1976 in den Tresorraum der Bank Société Générale in Nizza.
 ?? Foto: AFP / Boris Horvat ?? Jacques Cassandri betritt am Montag den Gerichtssa­al.
Foto: AFP / Boris Horvat Jacques Cassandri betritt am Montag den Gerichtssa­al.

Newspapers in German

Newspapers from Austria