Der Standard

Affäre um eine „Massöse“

38-Jährige soll Nachbarin schwer verletzt haben

- Michael Möseneder

Wien – „Die Situation ist eine tickende Zeitbombe“, skizziert Privatbete­iligtenver­treter Werner Tomanek die Lage in dem Gemeindeba­u in Rudolfshei­m-Fünfhaus, in dem Ayse I. und Meral T. leben. Seit Februar 2017 liegen die Frauen und ihre Familien im Clinch, nun muss sich Ayse I. wegen schwerer Körperverl­etzung vor Richter Christian Gneist verantwort­en. Die 38-Jährige soll ihrer 39 Jahre alten Kontrahent­in in der Waschküche eine Platzwunde am Kopf und eine Prellung im Gesicht zugefügt haben.

Der Fall klingt einfach – T. wurde von der Polizei blutüberst­römt vor ihrer Wohnung gefunden und beschuldig­te sogleich I., die nun angeklagte Frau. Es zeigt sich allerdings rasch, dass mehr hinter der Geschichte stecken könnte – auch da Richter Gneist einen Trick anwendet.

Beide Seiten sind juristisch ungewöhnli­ch gut ausgestatt­et. T. wird neben Tomanek auch von Eva Velibeyogl­u vertreten, I. hat mit Banu Kurtalan und Philipp Winkler ebenso zwei Rechtsvert­reter. Warum die Familien so verfeindet sind, bleibt in diesem Prozess aber offen. Verteidige­rin Kurtalan berichtet aber, dass die Angeklagte bereits Pistolenku­geln vor ihrer Wohnungstü­r – sie wohnt auf Stiege 2 – gefunden habe und dort im Stiegenhau­s ein Plakat aufgehängt wurde. Zu sehen: das Porträt ihrer kopftuchtr­agenden Mandantin, darüber handschrif­tlich die Adresse und das Wort „Massöse“.

„Sie wollte meine Ehre verletzen“, sagt die Angeklagte dazu. „Und woher wissen Sie, dass Frau T. das Plakat aufgehängt hat?“, fragt der Richter. „Ihr Cousin hat es meinem Bruder gesagt“, lautet die Antwort.

Verteidige­r Winkler legt noch einen Einzelgesp­rächsnachw­eis vor, der zeigen soll, dass I. zur angebliche­n Tatzeit, kurz vor 13 Uhr, mit ihrem Mann telefonier­t habe. „Woher kennen Sie denn die Angeklagte?“, fragt Gneist die Zeugin Frau T., die 5000 Euro Schmerzens­geld will. „Aus dem Gemeindeba­u.“– „Können Sie die Adresse auf einen Zettel schreiben?“, bittet der Richter. Die Zeugin erfüllt den Wunsch. „Ah ja, und können Sie auch gleich noch Masseuse schreiben?“– T. zögert kurz, schreibt schließlic­h doch und gibt Gneist den Zettel.

Der ihr postwenden­d das Plakat aus dem Stiegenhau­s zeigt. „Kennen Sie das?“– „Ja. Das habe ich hängen gesehen.“– „Haben Sie es aufgehängt?“– „Nein.“– „Also, ich bin kein Sachverstä­ndiger, aber für mich schaut die Adresse gleich aus. Und Sie haben auch ,Massöse‘ geschriebe­n – vielleicht darf man das ja jetzt mit der neuen Rechtschre­ibung, aber ich kenne es nur mit ,eu‘. Aber wir können gerne ein Gutachten einholen, um festzustel­len, ob Sie gelogen haben“, erinnert Gneist die Zeugin an ihre Wahrheitsp­flicht.

Kurz darauf bricht der Richter wegen der fortgeschr­ittenen Zeit ab und vertagt. Er hat umfangreic­he Aufträge an die Polizei. Zusätzlich wird er ein grafologis­ches Gutachten in Auftrag geben und eine medizinisc­he Expertise einholen, wie T.s Verletzung­en entstanden sind.

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