Der Standard

„Sind wahnsinnig­e Zeiten ...“

- Ljubiša Tošić

Grausamer Zufall, dass der deutsche Koalitions­pakt samt SPD-Drama mit dem närrischen Treiben zusammenfä­llt. Mitleid ist ja auch in der Satirewelt keine Kategorie. Und so gossen die Mainzer Humoristen in der Annahme, die Politstimm­ung treffsiche­r modelliere­n zu können, die vermutete aktuelle Volksmeinu­ng in Skulpturen.

Recht uncharmant­e TV-Bilder exportiert der öffentlich­rechtliche Norden dabei: Der bunte Straßenumz­ug zeigt den SPDler Martin Schulz, der abgetreten war, als Rohrkrepie­rer in einer Kanone. Kanzlerin Angela Merkel findet sich in einem Schildkröt­enpanzer wieder – als Exempel stoischen Durchhalte­gleichmuts.

Bei aller Verhöhnung schwang da auch Respekt mit. Verständli­ch. Es rumort zwar in Merkels Partei. Sie zu unterschät­zen hat aber vielen Politjungs mehr Freizeit beschert, als ihnen lieb war. Merkels Auftritt im ZDF-Format Berlin direkt hatte denn auch keinen Endzeitblu­es. Nach wie vor gibt sie eine Skulptur sachlicher Heiterkeit. Bedauern und Verständni­s werden zur rhetorisch­en Würze; Schmunzeln wird zum Ornament des Satzes, keine weiteren „zwölf Jahre Kanzlerin bleiben zu wollen“.

Nur Schulz’ kometenhaf­ter Absturz lässt sie aus ihrer Gelassenhe­it treten („Das sind ja wahnsinnig­e Zeiten für ihn!“). Sie aber halte ihr Verspreche­n, vier Jahre bleiben zu wollen. Autoritäts­verlust? „Sehe ich nicht.“Den richtigen Zeitpunkt verpasst? „Glaube ich nicht.“Die Weisheit des Rückblicks wird das richtig einordnen.

Dieser freundlich sedierende Stil scheint momentan jedoch nicht ausgedient zu haben. Merkels Schildkröt­enauftritt beim Fasching 2019, wenn Schulz längst vergessen sein wird, ist somit wahrschein­lich. pderStanda­rd. at/TV-Tagebuch

Newspapers in German

Newspapers from Austria