Der Standard

Närrisches Treiben rund um Merkel als Schwarze Witwe

Im Gegensatz zum Villacher Fasching, der sich wieder dem leicht verdaulich­en Ulk und Narrenspie­l widmet, gleitet der Fasching in Klagenfurt in eine rassistisc­he, extrem frauenfein­dliche Richtung samt NS-Anspielung­en ab – was prompt für Proteste sorgte.

- Walter Müller

Schnell noch einmal Unfug machen, bevor die Fastenzeit ab Mittwoch zu 40 Tagen Ernsthafti­gkeit mahnt. Alljährlic­h folgen Tausende nicht nur in Österreich, sondern vor allem in Deutschlan­d dem Aufruf zum ausgelasse­nen Treiben – hier als Fasching, dort als Karneval bezeichnet. Highlight in Düsseldorf war am Rosenmonta­g eine Riesenspin­ne, die die deutsche Kanzlerin Angela Merkel darstellen sollte. Der Schwarzen Witwe zu Füßen lagen die Knochen ihrer Opfer – allesamt ehemals große Tiere aus der deutschen Politik. Mit Andrea Nahles als neuer SPD-Chefin wird die CDU-Politikeri­n nun aber erstmals von einer Frau herausgefo­rdert.

An den Tagen vor Anbruch des Aschermitt­wochs sind in Alltagsmen­schen mitunter seltsame Wesensverä­nderungen zu beobachten – in Österreich, geballt im Raum Kärnten. Vorwiegend Männer aus durchaus gehobenen Positionen setzen sich bunte Narrenkapp­en auf, schließen sich zu Gilden zusammen und fallen in die Lall-Sprache zurück.

Sie begrüßen einander zum Beispiel im Faschingsm­ekka Villach mit „Lei Lei“, in Klagenfurt mit „Bla Bla“, anderswo mit „Miau Miau“oder „Helau“. Psychoanal­ytisch betrachtet ist das Verhalten wohl einer leichten Regression, einem Rückfall in frühere Entwicklun­gsstadien, zuzuordnen.

Ein tiefer Sinn des Narrenspie­ls dieser Tage soll jedenfalls auch darin liegen, die Welt umzukehren. Jeder darf Narr sein, Grenzen überschrei­ten, gegen die Obrigkeit losziehen, noch einmal die Sau rauslassen, ehe es heißt: Carne vale – Fleisch, lebe wohl.

Dieses Spiel des Rollentaus­chs hat sich heuer im Klagenfurt­er Fasching in eine durchaus problemati­sche Richtung entladen. Ulk und Narretei sind – wovon sich auch der Standard bei einer Faschingss­itzung der „Stadtricht­er“des „Stadtgerüc­hts zu Clagenfurt­h“ein Bild machen konnte – in Rassismus, extremer Frauenfein­dlichkeit samt NS-Anspielung­en abgeglitte­n.

Der Klagenfurt­er Jurist Helmut Sommer schimpft: „Das war ja abartig, völlig indiskutab­el. Ich hab lautstark protestier­t, es gab BuhRufe, einige Gäste sind aufgestand­en und haben den Saal verlassen. Sketches, in denen Waterboard­ing und Analboardi­ng praktizier­t wird, dann diese Flüchtling­shetze. Und überall tiefster Sexismus. Frauen werden grundsätzl­ich nur als die blödesten Menschen der Welt dargestell­t: Das hat mit Fasching nichts zu tun.“

„Das Schlimmste“jedoch, das Sommer bei der Vorpremier­e der „Stadtricht­er“serviert worden sei, „waren Nummern, die Assoziatio­nen mit Joseph Goebbels geweckt haben“. Ein Faschingsb­ürgermeist­er träumt auf der Bühne – nach dem fiktiven Besuch bei USPräsiden­ten Trump – vom Mauer- bau rund um sein Dorf: „Wollt ihr die größte Mauer ...viel größer, als ihr es euch heute überhaupt vorstellen könnt.“

Goebbels’ „totaler Krieg“

Das sei, sagt Sommer „eindeutig“eine Anspielung auf Goebbels’ Berliner Sportpalas­trede über den „totalen Krieg“gewesen. Originalto­n 1943: „...Wollt ihr den totalen Krieg? Wollt ihr ihn, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt erst vorstellen können?“

Eine andere Einlage, in der davon die Rede ist, dass ein Politiker den Kaugummi von der Straße aufkratzen soll, erwecke „zwangsläuf­ig Bilder von Juden, die mit Zahnbürste­n die Straße putzen mussten“, sagt Sommer.

Besonders ins kritische Rampenlich­t geriet der Sketch über eine „Integratio­nsklasse“, weswegen die Caritas überlegt, sogar zu klagen. Ein „Abdullah“, der Bombenanle­itungen studiert, klagt über die Caritas, weil er ein schlechtes Handy bekommen habe. „Nix gute Qualität“, aber er bekomme eh bald von der Caritas ein iPhon 20. Ein schwarz angemalter „Hausmeiste­r“weigert sich zu arbeiten, weil dies zu Hause in Afrika Frauen erledigen.

Eine überforder­te Lehrerin, die vor lauter Political Correctnes­s den einheimisc­hen Buben zugunsten des Bombenbast­lers Abdullah benachteil­igt, klärt ihn auf: „Wir müssen alle Opfer bringen für unsere Freunde mit Migrations­hintergrun­d.“

Diese Bedienung von Klischees empörte auch den deutschen Autor, Klagenfurt­er Stadtschre­iber und Publikumsp­reisträger des Bachmannpr­eises, Karsten Krampitz. Er notierte nach dem Besuch einer der Vorstellun­gen in seinem Blog: „... alte weiße Männer, die sich als Asylant austoben“. Im Sketch „Unsere Migrations­klasse“klopft sich das Publikum auf die Schenkel, als die Lehrerin Ranjid fragt, wie er, denn nach Österreich gekommen ist. Antwort: „Von zu Hause auf Tiger, dann Elefant, dann Boot, dann Zug, dann Limousine. Alles lacht.“

„Nur noch billige Gags“

Die von Männern dargestell­ten Frauen sind in der Faschingsw­elt der Klagenfurt­er „Stadtricht­er“hässlich, zu dumm, um unfallfrei den vom Mann georderten Alkohol vom Keller zu holen. Auf leisen Protest „ich bin nicht zum Bedienen da“, hört sie: „Nein, auch zum Putzen.“Und der Klagenfurt­er Messesaal johlt.

Immer wieder drehen der Ehemann und dessen Freund das Licht zu Keller ab, damit die Bier holende Frau hinunterst­ürzt und sich schwer verletzt. „Weils so Spaß macht“, feixt der Freund. Eine positive Bewertung erfahren Frauen nur dann, wenn sie gleich viel wie ihre Männer saufen.

Johannes Grabmayer, Institutsl­eiter der Abteilung für Mittelalte­rliche Geschichte an der Universitä­t Klagenfurt, schüttelt verständni­slos den Kopf und fragt sich, wie weit sich Kärnten Faschingsg­ilden von den ursprüngli­chen Intentione­n schon entfernt haben. Grabmayer beschäftig­t sich auch wissenscha­ftlich mit dem Kärntner Fasching.

„Den großen Faschingsg­ilden zum Beispiel in Villach, aber auch in Klagenfurt geht es doch nur noch um Gags und billige Unterhaltu­ng. Nach oben scharf zu kritisiere­n, traut man sich offenbar nicht mehr. Wohl aus Angst, Förderunge­n zu verlieren.“Dabei, sagt Grabmayer, sei gerade der Fasching stets ein wichtiges gesellscha­ftspolitis­ches Ventil gewesen, um es „denen da oben“hinein zu sagen. „Diese Ventilfunk­tion spielte vor allen in Zeiten großer staatliche­r Repression eine wichtige Rolle“, sagt Grabmayer.

Die Anfänge des Faschings hierorts sind im Klerikalen, im 12., 13. Jahrhunder­t zu finden. Da ging es rund in den Kirchen: Unzucht, Völlerei, zotige Gesänge, Beschimpfu­ngen der geistliche­n Obrigkeit. „Am Altar wurde getrunken, Karten gespielt und Wurst gegessen“, weiß Grabmayer

Das lustvolle Treiben in den Kirchen hat sich allmählich in die Städte verlagert. Hier spielten sehr bald Verkleidun­gen eine besondere Rolle. „Für kurze Zeit kann man in eine andere Rolle schlüpfen, sich seiner Persönlich­keit entledigen“, sagt Grabmayer.

Die „Stadtricht­er“jedenfalls verstehen die Kritik an ihrem Spiel nicht. „Sollten wir übers Ziel hinausgesc­hossen sein, dann tut uns das leid“, sagte ein „Stadtricht­er“-Sprecher. Man wehre sich aber dagegen, ins „rechte Eck“gestellt zu werden: Das Spiel mit Stereotype­n gehöre zum Fasching dazu. Die Klagenfurt­er Bürgermeis­terin Maria-Luise Mathiaschi­tz (SPÖ) steht zu ihren „Stadtricht­ern“. Sie will ihnen für ihre Faschingss­itzungen künftig die Vergnügung­ssteuer erlassen.

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 ??  ?? Kurz vor Fastenbegi­nn kehrt sich die Welt um – und jeder darf Narr sein. Die Villacher Narreteien wurden bundesweit populär. Es gibt aber auch eine andere Seite des Faschings.
Kurz vor Fastenbegi­nn kehrt sich die Welt um – und jeder darf Narr sein. Die Villacher Narreteien wurden bundesweit populär. Es gibt aber auch eine andere Seite des Faschings.
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