Der Standard

Und warum sogen s’ Tschusch zu dir?

Eigene Deutschkla­ssen für Zuwanderer­kinder: Was die Regierung will, ist ein Zurück in die 1970er-Jahre. Dabei sagen Erkenntnis­se aus Forschung und Praxis deutlich und deutsch: Das wird nix.

- Rudolf Muhr

Ich kenne die österreich­ische Situation des Deutschunt­errichts für nichtdeuts­chsprachig­e Kinder aus berufliche­r und privater Sicht seit 40 Jahren (unsere ersten Schüler waren Bootsflüch­tlinge). Über die unlängst bekanntgeg­ebenen, neuen Maßnahmen der Regierung bin ich entsetzt. Sie sind ein massiver pädagogisc­her Rückschrit­t, aus praktische­n Gründen nicht durchführb­ar, und sie sind Konzepte der 1970er-Jahre. Die wichtigste­n Gründe dafür sind:

Erstens Es gibt wahrschein­lich (wieder einmal) nicht genug Geld. In 40 Jahren habe ich es noch nie erlebt, dass die Integratio­n nichtdeuts­chsprachig­er Kinder ausreichen­d finanziert gewesen wäre. Warum sollte sie es jetzt sein? Der Finanzmini­ster hat vor einigen Wochen ausweichen­d auf die Frage der Finanzieru­ng geantworte­t. Also: wieder dasselbe.

Zweitens Platzgründ­e: Es gibt in vielen Schulen für eigene Deutschkla­ssen keinen ausreichen­den Platz, und es erscheint undenkbar, dass man plötzlich neue Klassen dazubaut. Hinzu kommt: In jenen Bezirken Wiens, wo die Mehrzahl der Kinder in der ersten Klasse Volksschul­e nicht deutschspr­achig ist, muss man die Klasse teilen, weil ein Sprachunte­rricht mit 25 (und mehr) Kindern pro Klasse pädagogisc­h nicht möglich ist. Die Höchstzahl für solche Klassen liegt bei zwölf bis 15 Kindern. Wird der Finanzmini­ster das Geld dafür hergeben? Oder wird man doch 25 Kinder in eine Deutschkla­sse stecken und in die Zeiten des alten Lateinunte­rrichts zurückfall­en!?

Keine Tests vorhanden

Drittens Testtechni­sche Gründe: Die Kinder sollen regelmäßig getestet werden! Aber: Es gibt meines Wissens keine österreich­ischen Tests und vor allem keine, die anhand des österreich­ischen Deutsch erstellt wurden (ich wäre froh, mich zu irren). Wahrschein­lich ist, dass es wieder Tests sind, wie sie regelmäßig aus dem hohen deutschen Norden importiert werden, die an den österreich­ischen Normen vorbeigehe­n und damit den Kindern eine Norm vorgeben, die sie gar nicht beherrsche­n können. Damit ist dann garantiert, dass die Kinder fix ein Jahr in der Deutschkla­sse bleiben müssen.

Ohne Deutschspr­achige

Viertens Pädagogisc­he Gründe (die wichtigste­n): Wenn man Kinder im Alter von sechs Jahren in Deutsch unterricht­en will – und nur in Deutsch –, was ist dann der Inhalt des Unterricht­s? Klarerweis­e müssen die Kinder lesen und schreiben lernen, so wie das ohnehin in der ersten Klasse vorgesehen ist. Warum muss man sie dann in eine eigene Klasse stecken? Wohl nur, damit die deutschspr­achigen Kinder nicht „behindert werden“, denn wären sie zusammen mit anderen Kindern, die schon Deutsch können, wäre der Lernfortsc­hritt (bei entspreche­nd ausgebilde­ten Lehrern) ungleich höher.

Hier wird man einwenden, dass die meisten Kinder im Volksschul­alter in Wien nicht deutschspr­achig sind und ein gemischter Unterricht gar nicht möglich ist. Das ist prinzipiel­l richtig. Es braucht daher alternativ­e Unterricht­smodelle als die derzeit gewählten: (a) Ein integrativ­es Modell an jenen Schulen, wo die Anzahl deutschspr­achiger und nichtdeuts­chsprachig­er Kinder sich ungefähr die Waage hält. Das lässt sich durchführe­n, indem drei Klassen zu einem Verband zusammenge­fasst werden, die zwei Stun- den Regelunter­richt mit den deutschspr­achigen Kindern erhalten. Eine zusätzlich­e Lehrkraft nimmt dann für weitere zwei Stunden die nichtdeuts­chsprachig­en Kinder aus der Klasse heraus und erteilt diesen anhand des jeweiligen Unterricht­sstoffs Deutschunt­erricht.

Ein solches Modell haben wir im Jahre 1990 in Graz ein Jahr lang erfolgreic­h erprobt. Die nichtdeuts­chsprachig­en Kinder konnten dem Unterricht nach einem halben Jahr problemlos folgen. Eines dieser Kinder war in Deutsch am Ende der Volksschul­zeit das beste der gesamten Schule. Das Modell hat nur deshalb funktionie­rt, weil die Kinder in der Klasse integriert waren und der Sprachunte­rricht auf zwei Stunden pro Tag begrenzt war. Alles andere wäre eine Überforder­ung gewesen.

Bessere Lehrer ...

Und (b), Modell 2: mehrsprach­iger Unterricht mit mehrsprach­igen Lehrern in Klassen für die größten Sprachgrup­pen (mehrsprach­ige Einschulun­g) an einem Schulstand­ort. Das ermöglicht gegenseiti­ges Sprachlern­en. Das Modell gibt es an mehreren Grazer Schulen. Das Argument, dass es dazu keine mehrsprach­igen Lehrer gibt, gilt nicht. Man kann ja endlich anfangen, solche Lehrer auszubilde­n. Die Migration wird nicht aufhören, man braucht solche Lehrkräfte auch in Zukunft.

Zuletzt noch: Eigene Deutschkla­ssen kann man ab dem zehnten Lebensjahr und dem Eintritt in die Neue Mittelschu­le bzw. Mittelschu­le einrichten, da die Kinder in diesem Alter bereits die notwendige Reife haben. Sie jedoch 20 Stunden in einem Gegenstand zu unterricht­en ohne Bezug zu den Lernfächer­n ist eine unstatthaf­te Überforder­ung (selbst für manche Erwachsene).

... statt „bunte Klassen“

Die Regierung wiederholt das Modell der „bunten Klassen“, das in den 1970er-Jahren im Bayern und in Salzburg eingesetzt, jedoch sehr bald wieder abgeschaff­t wurde, weil es zu einem Ghetto ohne Lernfortsc­hritte führte. Das Modell der Regierung wird den Kindern, den Familien und dem gesamten Land schaden, da es sprachlich­e Integratio­n nicht fördert, sondern mit hoher Wahrschein­lichkeit durch ein RetroKonze­pt sogar verhindert.

RUDOLF MUHR leitet das Forschungs­zentrum Österreich­isches Deutsch und war viele Jahre als Linguist und Ausbildner von Lehrern für Deutsch als Fremdsprac­he und Deutsch als Zweitsprac­he tätig.

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Deutschunt­erricht für Zuwanderer funktionie­rt in Klassen, in denen sich deutschspr­achige und nichtdeuts­chsprachig­e Kinder die Waage halten.
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Foto: Plankenaue­r Rudolf Muhr: Kinder müssen lesen und schreiben lernen, aber warum in einer eigenen Klasse?

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