Polizeigewerkschaft gegen Pferde
Kickl auf Infotour in Bayern, Personalvertreter kritisch
Wien/München – Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) drückt beim Thema berittene Polizei aufs Tempo. Am Donnerstag besuchte Kickl nicht nur seinen bayerischen Amtskollegen Joachim Herrmann (CSU), sondern auch die Reiterstaffel der Polizei in München. Kickl will Anfang Mai ein detail- liertes Konzept über den Aufbau einer Reiterstaffel vorlegen, im Frühjahr 2019 soll der Einsatz von Pferdestreifen getestet werden.
Personalvertreter aller Parteien kritisieren in einem offenen Brief Kickls „Politik der Schlagzeilen und des Nichteinbindens“. (red)
Wien – In München gibt es schon lange berittene Polizei, seit 1898. Die aus 36 Pferden und 35 Beamten bestehende Truppe ist eine von sieben Landesreiterstaffeln in Deutschland, zusätzlich gibt es noch eine Staffel der Bundespolizei. Die deutsche Expertise will sich Österreichs Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) zunutze machen, denn bereits in einem Jahr sollen berittene Uniformierte im „Feldversuch“in Wien ausrücken.
Spätestens im Mai will Kickl ein detailliertes Konzept vorlegen, darin soll dann auch stehen, was das Innenressort bis jetzt nicht beantworten kann: Wie viele Beamte und Tiere zum Einsatz kommen sollen, wo sie trainiert und stationiert sein sollen – und wo und wie sie vor allem eingesetzt werden.
Kickls Plan ist wild umstritten: Von teurer Symbolpolitik sprechen die einen, vor Tierquälerei warnen die anderen. Auch die Personalvertreter sind beunruhigt – nicht nur wegen der Pferde, aber auch. Der Zentralausschuss für die Bediensteten des öffentlichen Sicherheitswesens hat seine Kritik am Donnerstag in zwei Schreiben an den Minister zum Ausdruck gebracht.
Konsternierte Gewerkschaft
Kritisiert wird einerseits Kickls Plan für ein eigenes Exekutivdienstgesetz, mit dem der Minister gerne spezielle dienstrechtliche Bestimmungen regeln würde. Andererseits beschweren sich die Personalvertreter, dass Kickl nur via Medien mit Ankündigungen für Schlagzeilen zu sorgen versuche, ohne vorher mit den Belegschaftsvertretern zu reden – wie eben bei seiner Idee einer Reiterstaffel.
Die Schreiben wurden von roten, schwarzen und blauen Gewerkschaftern einstimmig verabschiedet. Sie fordern den Minister im Sinne der Sozialpartnerschaft auf, sie künftig rechtzeitig einzubinden. Seine Strategie, permanent mit Einzelvorstößen punkten zu wollen, sei „eine ganz neue Form“, wie ein Funktionär meint.
Das Thema Pferde bei der Polizei ist zudem historisch und politisch sensibel, vor allem im Zusammenhang mit dem Justizpalastbrand am 15. Juli 1927. Das zeigte auch die bis zum 4. Februar dieses Jahres laufende Ausstellung direkt im Innenministerium, die sich auch selbstkritisch mit der Rolle der Polizei damals auseinandersetzte. Die Proteste damals gegen das Schattendorfer „Schandurteil“eskalierten auch wegen des Einsatzes berittener Polizei. Die Polizeikräfte waren den Protestierenden, aus einer Fehleinschätzung ihrer Führung heraus, zunächst zahlenmäßig weit unterlegen gewesen.
Der Stadthauptmann von Wien, Albert Tauß, reagierte panisch: Er ließ gegen die zunächst nur rund 500 Demonstranten vor Justizpalast und Parlament mehrere, völlig kopflose „Reiterattacken“reiten. Die Demonstranten wichen zurück, jedoch „voller Empörung, dass gegen sie in ihrem Wien, ihrem ‚roten Wien‘ Polizeikavallerie vorgehe“, schrieb Zeithistoriker Gerhard Botz in dem 2001 erschienenen, von Norbert Leser und Paul Sailer-Wlasits herausgegebenen Buch Als die Republik brannte. Die Arbeiter sammelten sich erneut, die Kämpfe mit der Polizei wurden intensiver. Die Folgen waren verheerend: 89 Tote und hunderte Verletzte – in großer Mehrheit aufseiten der Protestierenden – waren die Folgen.
Dass der FPÖ-Innenminister dennoch ankündigte, er wolle berittene Einheiten künftig auch bei Demonstrationen einsetzen, irritiert daher, über 90 Jahre später, nicht nur politische Gegner.
Von der täglichen Praxis moderner Polizeiarbeit anno 2018 sei das freilich weit entfernt, betont Andreas Freundorfer, der Kickl am Donnerstag durch die Stallungen führte. Seit sechs Jahren leitet der Polizeihauptkommissar die Dienststelle PI ED 4 – Reiterstaffel der bayerischen Polizei in München. Reiter und Pferde, allesamt bayerische Warmblut-Wallache, versehen vor allem Streifendienst: Drei Doppelstreifen täglich im Englischen Garten sollen das „subjektive Sicherheitsgefühl“der Menschen stärken. Die Reaktionen seien großteils sehr positiv, beteuert Freundorfer im Gespräch mit dem STANDARD: „Pferde sind die größten Sympathieträger, die die Polizei hat. Menschen sprechen uns an, wollen die Tiere streicheln, uns fotografieren.“Selbst tendenziell gewaltbereite Menschen würden angesichts der teils riesenhaften, aber extrem ruhigen Tiere „wieder friedlich“, erklärt Freundorfer.
Auch im „Einsatzgeschehen“, der sogenannten „crowd control“, sind Reiterstaffeln präsent: etwa bei Fußballspielen oder auch am kommenden Wochenende, bei der Sicherheitskonferenz. Allerdings: „In Extremsituationen bleiben wir im Hintergrund“, sagt Freundorfer.
Das Bild vom schlagstockschwingenden Reiter, der sein Ross alles niedertrampeln lasse, müsse er einmal korrigieren, sagt Freundorfer: „Wenn es zu Tumulten kommt, sind wir in erster Linie damit beschäftigt, unsere Tiere zu kontrollieren und aus der Gefahrenzone zu bringen.“Pferde sind und bleiben, selbst wenn sie gut trainiert sind, Fluchttiere – dem müsse man Rechnung tragen, sagt der Reiterstaffelchef. Es gelten einerseits die „neun ethischen Grundsätze des Pferdefreundes“der Deutschen Reiterlichen Vereinigung. Andererseits auch die Menschenrechte: Mit Gummiknüppeln von oben auf Demonstrantenköpfe zu hauen sei „mit unserem Rechtsverständnis nicht vereinbar“, betont Freundorfer. Schlagstock von oben bedeute automatisch, dass man auf den Kopf ziele: „Das wäre vorsätzliche schwere Körperverletzung.“
Wenn also Pferde eher zur Hebung des Sicherheitsgefühls in der Bevölkerung oder präventiv eingesetzt werden, passten sie vielleicht sogar zur „3-D-Strategie“der Wiener Polizei, mit der man „seit Jahren gut gefahren“sei, wie Polizeisprecher Hans Golob bestätigt: Dialog, Deeskalation und erst in letzter Konsequenz Durchgreifen. Das ist auch das Selbstbild der Münchner Polizeireiterstaffel.
Aufwand und Kosten
Bleibt die Frage nach den Kosten: In München kauft man von mehreren Züchtern, pro Pferd steht ein Anschaffungsbudget von 7000 Euro zur Verfügung. Dazu kommen monatliche Fixkosten von 300 Euro pro Pferd. Damit sind Futter, Einstreu, Hufschmied und Tierarzt abgedeckt, nicht enthalten sind die Kosten für Personal (Tierpfleger, Stallpersonal, sowie die Polizeibeamten selbst). Ebenso nicht enthalten ist Miete, da die Stallungen in München-Riem dem Staat Bayern gehören. Zum Vergleich: Die an Rosenheim ausgeborgten Pferde kosten, allein wegen der dort fälligen Stallmiete, bereits 750 Euro pro Monat.
Die Ausbildung von Pferden und Reitern ist aufwendig. Die vier- bis sechsjährigen Wallache sind lediglich angeritten, Vielseitigkeits- und Gewöhnungstraining passieren vor Ort in Riem. Reiter und Pferde werden gemeinsam ausgebildet, da sie ein harmonisches Team bilden sollen. Tier und Mensch brauchen rund ein Jahr, bis sie gemeinsam auf Streife gehen können.
Die Frage, ob in Österreich überhaupt genügend Polizisten gut genug reiten können, um binnen eines Jahres einsetzbar zu sein, beantwortet der Polizeisportverein (eine private Vereinigung) eindeutig mit Ja: Major Thomas Maier, Leiter der Reitersektion: „Ich kenne mindestens zehn Polizistinnen und Polizisten, die das aus dem Stand könnten.“
Der Innenminister hat es sehr eilig mit dem Aufbau einer Reiterstaffel. Fast könnte man, etwas platt, in Reiterbildern sprechen: Herbert Kickls Fantasie geht mit ihm durch, mehr noch, sie galoppiert ihm gerade davon. Binnen Jahresfrist will der FPÖ-Minister sein Prestigeprojekt durchpeitschen – eine Rasanz, die, befasste man sich ernsthaft mit der Sache, unangebracht und unprofessionell ist. Im Umgang mit Pferden sind Ruhe, Um- und Übersicht gefragt.
Da sind einerseits praktische Fragen: Wie viele Tiere will man kaufen? Von wem, zu welchem Preis? Wo und wie sollen Reiter und Pferde ausgebildet werden? Die Idee, fertig ausgebildete Pferde zu beschaffen und Polizeibeamte draufzusetzen, die leidlich reiten können, wäre naiv. Pferde und Reiter müssen das Gewöhnungstraining gemeinsam absolvieren, nur so können sie verlässlich kooperieren.
Dazu kommt die Frage von Unterbringung und Versorgung. Auf dem Areal der Militärakademie in Wiener Neustadt gäbe es zwar Reitschule, Reitplätze und Stallungen – aber das hat wohl wenig Sinn, wenn der hauptsächliche Einsatzort Wien sein soll. Die Reitställe im Wiener Prater und Umgebung gelten wiederum auch unter Hobbyreitern als teures Pflaster. Also Neubau und selbst betreiben? Auch dafür müsste man Expertise zukaufen und den laufenden Betrieb finanzieren, das könnte kostspielig werden.
Dazu kommt die Frage des Einsatzes: Wenn Kickl „crowd control“mit Polizeipferden bei Demonstrationen in der City plant, kann das, angesichts der historischen Sensibilitäten in Österreich, nur als bewusste politische Provokation ankommen. Das mag dem nicht gerade als harmoniesüchtig bekannten Politiker Kickl gefallen – aber um welchen Preis? Pferdestreifen auf der Donauinsel und im Prater könnten dagegen, wie im Münchener Englischen Garten, durchaus Sympathiepunkte für die Polizei bringen. Sollte das Kickls Ziel sein, muss man freilich fragen, ob eine flotte Imagekampagne nicht billiger käme.
Alles in allem wirkt die Sache recht durchsichtig: Es geht um Symbolpolitik. Kickl will rasch umsetzen, was die Wiener FPÖ seit langem fordert. Dabei will er sich nicht stören lassen – schon gar nicht von Personalvertretern, die sich gegen „Schlagzeilen durch Überschriftspolitik“verwehren und stattdessen wirkliche Reformen einfordern. So wird sich Pferdefreund Kickl intern keine Freunde machen – er ist gerade dabei, sich gehörig zu vergaloppieren.