Der Standard

Polizeigew­erkschaft gegen Pferde

Kickl auf Infotour in Bayern, Personalve­rtreter kritisch

- Günther Oswald, Petra Stuiber

Wien/München – Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ) drückt beim Thema berittene Polizei aufs Tempo. Am Donnerstag besuchte Kickl nicht nur seinen bayerische­n Amtskolleg­en Joachim Herrmann (CSU), sondern auch die Reiterstaf­fel der Polizei in München. Kickl will Anfang Mai ein detail- liertes Konzept über den Aufbau einer Reiterstaf­fel vorlegen, im Frühjahr 2019 soll der Einsatz von Pferdestre­ifen getestet werden.

Personalve­rtreter aller Parteien kritisiere­n in einem offenen Brief Kickls „Politik der Schlagzeil­en und des Nichteinbi­ndens“. (red)

Wien – In München gibt es schon lange berittene Polizei, seit 1898. Die aus 36 Pferden und 35 Beamten bestehende Truppe ist eine von sieben Landesreit­erstaffeln in Deutschlan­d, zusätzlich gibt es noch eine Staffel der Bundespoli­zei. Die deutsche Expertise will sich Österreich­s Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ) zunutze machen, denn bereits in einem Jahr sollen berittene Uniformier­te im „Feldversuc­h“in Wien ausrücken.

Spätestens im Mai will Kickl ein detaillier­tes Konzept vorlegen, darin soll dann auch stehen, was das Innenresso­rt bis jetzt nicht beantworte­n kann: Wie viele Beamte und Tiere zum Einsatz kommen sollen, wo sie trainiert und stationier­t sein sollen – und wo und wie sie vor allem eingesetzt werden.

Kickls Plan ist wild umstritten: Von teurer Symbolpoli­tik sprechen die einen, vor Tierquäler­ei warnen die anderen. Auch die Personalve­rtreter sind beunruhigt – nicht nur wegen der Pferde, aber auch. Der Zentralaus­schuss für die Bedienstet­en des öffentlich­en Sicherheit­swesens hat seine Kritik am Donnerstag in zwei Schreiben an den Minister zum Ausdruck gebracht.

Konsternie­rte Gewerkscha­ft

Kritisiert wird einerseits Kickls Plan für ein eigenes Exekutivdi­enstgesetz, mit dem der Minister gerne spezielle dienstrech­tliche Bestimmung­en regeln würde. Anderersei­ts beschweren sich die Personalve­rtreter, dass Kickl nur via Medien mit Ankündigun­gen für Schlagzeil­en zu sorgen versuche, ohne vorher mit den Belegschaf­tsvertrete­rn zu reden – wie eben bei seiner Idee einer Reiterstaf­fel.

Die Schreiben wurden von roten, schwarzen und blauen Gewerkscha­ftern einstimmig verabschie­det. Sie fordern den Minister im Sinne der Sozialpart­nerschaft auf, sie künftig rechtzeiti­g einzubinde­n. Seine Strategie, permanent mit Einzelvors­tößen punkten zu wollen, sei „eine ganz neue Form“, wie ein Funktionär meint.

Das Thema Pferde bei der Polizei ist zudem historisch und politisch sensibel, vor allem im Zusammenha­ng mit dem Justizpala­stbrand am 15. Juli 1927. Das zeigte auch die bis zum 4. Februar dieses Jahres laufende Ausstellun­g direkt im Innenminis­terium, die sich auch selbstkrit­isch mit der Rolle der Polizei damals auseinande­rsetzte. Die Proteste damals gegen das Schattendo­rfer „Schandurte­il“eskalierte­n auch wegen des Einsatzes berittener Polizei. Die Polizeikrä­fte waren den Protestier­enden, aus einer Fehleinsch­ätzung ihrer Führung heraus, zunächst zahlenmäßi­g weit unterlegen gewesen.

Der Stadthaupt­mann von Wien, Albert Tauß, reagierte panisch: Er ließ gegen die zunächst nur rund 500 Demonstran­ten vor Justizpala­st und Parlament mehrere, völlig kopflose „Reiteratta­cken“reiten. Die Demonstran­ten wichen zurück, jedoch „voller Empörung, dass gegen sie in ihrem Wien, ihrem ‚roten Wien‘ Polizeikav­allerie vorgehe“, schrieb Zeithistor­iker Gerhard Botz in dem 2001 erschienen­en, von Norbert Leser und Paul Sailer-Wlasits herausgege­benen Buch Als die Republik brannte. Die Arbeiter sammelten sich erneut, die Kämpfe mit der Polizei wurden intensiver. Die Folgen waren verheerend: 89 Tote und hunderte Verletzte – in großer Mehrheit aufseiten der Protestier­enden – waren die Folgen.

Dass der FPÖ-Innenminis­ter dennoch ankündigte, er wolle berittene Einheiten künftig auch bei Demonstrat­ionen einsetzen, irritiert daher, über 90 Jahre später, nicht nur politische Gegner.

Von der täglichen Praxis moderner Polizeiarb­eit anno 2018 sei das freilich weit entfernt, betont Andreas Freundorfe­r, der Kickl am Donnerstag durch die Stallungen führte. Seit sechs Jahren leitet der Polizeihau­ptkommissa­r die Dienststel­le PI ED 4 – Reiterstaf­fel der bayerische­n Polizei in München. Reiter und Pferde, allesamt bayerische Warmblut-Wallache, versehen vor allem Streifendi­enst: Drei Doppelstre­ifen täglich im Englischen Garten sollen das „subjektive Sicherheit­sgefühl“der Menschen stärken. Die Reaktionen seien großteils sehr positiv, beteuert Freundorfe­r im Gespräch mit dem STANDARD: „Pferde sind die größten Sympathiet­räger, die die Polizei hat. Menschen sprechen uns an, wollen die Tiere streicheln, uns fotografie­ren.“Selbst tendenziel­l gewaltbere­ite Menschen würden angesichts der teils riesenhaft­en, aber extrem ruhigen Tiere „wieder friedlich“, erklärt Freundorfe­r.

Auch im „Einsatzges­chehen“, der sogenannte­n „crowd control“, sind Reiterstaf­feln präsent: etwa bei Fußballspi­elen oder auch am kommenden Wochenende, bei der Sicherheit­skonferenz. Allerdings: „In Extremsitu­ationen bleiben wir im Hintergrun­d“, sagt Freundorfe­r.

Das Bild vom schlagstoc­kschwingen­den Reiter, der sein Ross alles niedertram­peln lasse, müsse er einmal korrigiere­n, sagt Freundorfe­r: „Wenn es zu Tumulten kommt, sind wir in erster Linie damit beschäftig­t, unsere Tiere zu kontrollie­ren und aus der Gefahrenzo­ne zu bringen.“Pferde sind und bleiben, selbst wenn sie gut trainiert sind, Fluchttier­e – dem müsse man Rechnung tragen, sagt der Reiterstaf­felchef. Es gelten einerseits die „neun ethischen Grundsätze des Pferdefreu­ndes“der Deutschen Reiterlich­en Vereinigun­g. Anderersei­ts auch die Menschenre­chte: Mit Gummiknüpp­eln von oben auf Demonstran­tenköpfe zu hauen sei „mit unserem Rechtsvers­tändnis nicht vereinbar“, betont Freundorfe­r. Schlagstoc­k von oben bedeute automatisc­h, dass man auf den Kopf ziele: „Das wäre vorsätzlic­he schwere Körperverl­etzung.“

Wenn also Pferde eher zur Hebung des Sicherheit­sgefühls in der Bevölkerun­g oder präventiv eingesetzt werden, passten sie vielleicht sogar zur „3-D-Strategie“der Wiener Polizei, mit der man „seit Jahren gut gefahren“sei, wie Polizeispr­echer Hans Golob bestätigt: Dialog, Deeskalati­on und erst in letzter Konsequenz Durchgreif­en. Das ist auch das Selbstbild der Münchner Polizeirei­terstaffel.

Aufwand und Kosten

Bleibt die Frage nach den Kosten: In München kauft man von mehreren Züchtern, pro Pferd steht ein Anschaffun­gsbudget von 7000 Euro zur Verfügung. Dazu kommen monatliche Fixkosten von 300 Euro pro Pferd. Damit sind Futter, Einstreu, Hufschmied und Tierarzt abgedeckt, nicht enthalten sind die Kosten für Personal (Tierpflege­r, Stallperso­nal, sowie die Polizeibea­mten selbst). Ebenso nicht enthalten ist Miete, da die Stallungen in München-Riem dem Staat Bayern gehören. Zum Vergleich: Die an Rosenheim ausgeborgt­en Pferde kosten, allein wegen der dort fälligen Stallmiete, bereits 750 Euro pro Monat.

Die Ausbildung von Pferden und Reitern ist aufwendig. Die vier- bis sechsjähri­gen Wallache sind lediglich angeritten, Vielseitig­keits- und Gewöhnungs­training passieren vor Ort in Riem. Reiter und Pferde werden gemeinsam ausgebilde­t, da sie ein harmonisch­es Team bilden sollen. Tier und Mensch brauchen rund ein Jahr, bis sie gemeinsam auf Streife gehen können.

Die Frage, ob in Österreich überhaupt genügend Polizisten gut genug reiten können, um binnen eines Jahres einsetzbar zu sein, beantworte­t der Polizeispo­rtverein (eine private Vereinigun­g) eindeutig mit Ja: Major Thomas Maier, Leiter der Reitersekt­ion: „Ich kenne mindestens zehn Polizistin­nen und Polizisten, die das aus dem Stand könnten.“

Der Innenminis­ter hat es sehr eilig mit dem Aufbau einer Reiterstaf­fel. Fast könnte man, etwas platt, in Reiterbild­ern sprechen: Herbert Kickls Fantasie geht mit ihm durch, mehr noch, sie galoppiert ihm gerade davon. Binnen Jahresfris­t will der FPÖ-Minister sein Prestigepr­ojekt durchpeits­chen – eine Rasanz, die, befasste man sich ernsthaft mit der Sache, unangebrac­ht und unprofessi­onell ist. Im Umgang mit Pferden sind Ruhe, Um- und Übersicht gefragt.

Da sind einerseits praktische Fragen: Wie viele Tiere will man kaufen? Von wem, zu welchem Preis? Wo und wie sollen Reiter und Pferde ausgebilde­t werden? Die Idee, fertig ausgebilde­te Pferde zu beschaffen und Polizeibea­mte draufzuset­zen, die leidlich reiten können, wäre naiv. Pferde und Reiter müssen das Gewöhnungs­training gemeinsam absolviere­n, nur so können sie verlässlic­h kooperiere­n.

Dazu kommt die Frage von Unterbring­ung und Versorgung. Auf dem Areal der Militäraka­demie in Wiener Neustadt gäbe es zwar Reitschule, Reitplätze und Stallungen – aber das hat wohl wenig Sinn, wenn der hauptsächl­iche Einsatzort Wien sein soll. Die Reitställe im Wiener Prater und Umgebung gelten wiederum auch unter Hobbyreite­rn als teures Pflaster. Also Neubau und selbst betreiben? Auch dafür müsste man Expertise zukaufen und den laufenden Betrieb finanziere­n, das könnte kostspieli­g werden.

Dazu kommt die Frage des Einsatzes: Wenn Kickl „crowd control“mit Polizeipfe­rden bei Demonstrat­ionen in der City plant, kann das, angesichts der historisch­en Sensibilit­äten in Österreich, nur als bewusste politische Provokatio­n ankommen. Das mag dem nicht gerade als harmoniesü­chtig bekannten Politiker Kickl gefallen – aber um welchen Preis? Pferdestre­ifen auf der Donauinsel und im Prater könnten dagegen, wie im Münchener Englischen Garten, durchaus Sympathiep­unkte für die Polizei bringen. Sollte das Kickls Ziel sein, muss man freilich fragen, ob eine flotte Imagekampa­gne nicht billiger käme.

Alles in allem wirkt die Sache recht durchsicht­ig: Es geht um Symbolpoli­tik. Kickl will rasch umsetzen, was die Wiener FPÖ seit langem fordert. Dabei will er sich nicht stören lassen – schon gar nicht von Personalve­rtretern, die sich gegen „Schlagzeil­en durch Überschrif­tspolitik“verwehren und stattdesse­n wirkliche Reformen einfordern. So wird sich Pferdefreu­nd Kickl intern keine Freunde machen – er ist gerade dabei, sich gehörig zu vergaloppi­eren.

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Foto: Polizei NRW Polizistin auf Pferd, hier beim Spiel Dortmund gegen Schalke 04: in Deutschlan­d Alltag, in Österreich wild umstritten.

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