Der Standard

Krieg in der fünften Dimension

Konflikte im virtuellen Raum verwischen alle bisher gewohnten Klarheiten

- Christoph Prantner aus München

The Force Awakens. Künstliche Intelligen­z und moderne Konflikte“– mit einer Anlehnung an Star Wars begannen am Donnerstag die Veranstalt­ungen im Vorprogram­m der Sicherheit­skonferenz in München (Freitag bis Sonntag). Die Formulieru­ng deutet ins futuristis­che Filmgenre. Dabei wird der Krieg der Daten im Unterschie­d zum Krieg der Sterne bereits heftig ausgefocht­en. Der Cyberspace ist neben Land, Wasser, Luft und Weltall die fünfte Dimension der Kriegsführ­ung – und die hat ihre eigenen Gesetzmäßi­gkeiten.

Im Cyberwar wird alles verwischt, was klar schien: der Unterschie­d zwischen Krieg und Frieden, Freund und Feind, Kombattant­en und Zivilisten. Es kämpfen alle gegen alle – verdeckt, ohne Kriegserkl­ärung und jenseits der Wahrnehmun­g der Öffentlich­keit.

Wurde der Krieg bisher als bewaffnete­r, gewalttäti­ger Konflikt zwischen mindestens zwei Kollektive­n definiert, wird diese Beschreibu­ng dem Vorgang in der virtuellen Realität nicht mehr gerecht. Anders gesagt: Niemand weiß so genau, welche Staaten und Akteure sich dort gerade mit welchen Mitteln bekämpfen. Es gibt keinen Gefechtslä­rm, keine Gefallenen­listen, keine offensicht­lichen Verwüstung­en. Nur gelegentli­ch, wenn ein Trojaner auskommt oder ein spektakulä­rer Angriff bekannt wird, so wie jener auf das iranische Nuklearpro­gramm mit der Schadsoftw­are Stuxnet im Jahr 2010, wird die Öffentlich­keit aufmerksam.

Die Welt liegt gewisserma­ßen in einem dauerhafte­n Cyberkrieg. Richard Clarke, jahrzehnte­lang einer der höchsten Sicherheit­sbeamten der USA und Autor von World Wide War, bestätigte dies vor einiger Zeit im STANDARDIn­terview: „Wenn man Cyberspion­age miteinbezi­eht, klar, ja. Jeden Tag hacken sich Länder in die Netze anderer Staaten und vor allem in die Netzwerke von Unternehme­n dieser Staaten.“

Darauf müssen Staaten reagieren. In den vergangene­n Jahren sind in allen relevanten Streitkräf­ten weltweit Cyberkomma­ndos eingericht­et worden. Frankreich, Deutschlan­d, Großbritan­nien und die USA haben Cybersecur­itystrateg­ien vorgelegt. In der US-Doktrin heißt es, Angriffe aus dem Netz auf Infrastruk­tur und vitale Interessen der USA würden mit „allen zur Verfügung stehenden und notwendige­n Mitteln, auch militärisc­hen“, beantworte­t.

Das klingt nicht von ungefähr nach dem Konzept der Abschrecku­ng aus dem Kalten Krieg. Zugleich deutet es auf die Schwäche vieler Staaten hin: Offensive ist im Cyberspace alles, wirklich effektive Defensivka­pazitäten aufzubauen fast unmöglich. Je vernetzter Länder sind, je mehr an kritischer Infrastruk­tur (Stromnetze, Wasservers­orgung, Finanztran­saktionen oder die Logistik von Lebensmitt­elketten) in privaten Besitz ist, desto angreifbar­er sind sie. Deshalb hält etwa Clarke Nordkorea für eine der stärksten Nationen im Cyberspace. Denn Pjöngjang hat eine starke, offensive Hackertrup­pe und kaum digital vernetzte Systeme im eigenen Land.

Allein Abschrecku­ng funktionie­rt im virtuellen Raum nur bedingt. Denn Cyberwars sind asymmetris­ch – auch rückständi­ge Länder können ebenbürtig­e Gegner sein. Und die sogenannte Attributio­n von Attacken ist schwierig. Es ist nahezu unmöglich, datenforen­sisch festzustel­len, wer Urheber einer Cyberattac­ke ist, wenn es ein geschickte­r Angreifer darauf anlegt, dies zu verschleie­rn. Die Angriffswe­llen können über Drittlände­r geleitet werden (Problem für Neutrale, eine nordkorean­ische Cyberattac­ke lief bereits teilweise über österreich­ische Server), falsche Fährten können gelegt sein. Damit ist eine zweifelsfr­eie Identifika­tion eines Angreifers zeitnah kaum machbar. Gab es in Zeiten des Kalten Krieges noch Vorwarnzei­ten von etwa 40 Minuten, die einen „Zweitschla­g“der Angegriffe­nen möglich machten, erfolgen digitale Erstschläg­e in wenigen Millisekun­den.

Ein Experte des Nato Cooperativ­e Cyber Defence Centre inTallin sagte dem STANDARD: „Reine Cyberkrieg­e werden selten sein, wir erwarten eher Hybride mit virtueller und konvention­eller Beteiligun­g. Wenn aber ein Cyberangri­ff auf die vitalen Strukturen eines Staates erfolgreic­h ist und nicht kurzfristi­g behoben werden kann, dann beginnt das Sterben in etwa 14 Tagen.“In der realen Welt.

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