Der Standard

Europas nächster Anlauf mit Erdogan

Die EU-Außenminis­ter befürchten ein Überschwap­pen des Syrien-Krieges auf die Nachbarsch­aft und somit einen größeren Regionalko­nflikt. Umso mehr bemühen sie sich daher um Entspannun­g mit der Türkei.

- Thomas Mayer aus Sofia

Angesichts des in den vergangene­n Wochen verschärft­en Krieges in Syrien mit hunderten zivilen Toten befürchtet die Europäisch­e Union eine Ausweitung des Konflikts in der Region – auch auf die Türkei, mit negativen Folgen für den Balkan und das übrige Europa.

Die Lage sei „äußerst ernst“, konstatier­te Außenbeauf­tragte Federica Mogherini am Donnerstag beim informelle­n Treffen der EUAußenmin­ister in Sofia. Eine Lösung sei nicht in Sicht. Die Union müsse ihr humanitäre­s Engagement in Syrien verstärken und alles tun, um die Friedensbe­mühungen der UN im Genfer Prozess zu stützen. Sorgen bereitet den EU-Chefdiplom­aten vor allem der Umstand, dass Truppen des wesentlich­en Nato-Partners Türkei gegen jene der USA stehen. Das sei in der Tat „eine brenzlige Situation“, wie Außenminis­terin Karin Kneissel sagte. Ihre Kollegen zeigten sich überzeugt, dass der Konflikt nur „politisch“zu lösen sei. Der Deutsche Sigmar Gabriel sagte, es ginge jetzt vor allem darum, „eine militärisc­he Eskalation im Norden des Landes zu stoppen“.

Paris warnt Damaskus

Auf die Drohung des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron, einen neuerliche­n Giftgasang­riff des Regimes von Bashar alAssad gegen die eigene Bevölkerun­g mit militärisc­hen Mitteln zu beantworte­n, wurde im Kern nicht eingegange­n. Gabriel wollte erst sehen, welche Informatio­nen Paris habe. Der französisc­he Minister Yves le Drian warnte, Syrien wachse sich zu einem länderüber­greifenden Konflikt aus. Umso mehr bemüht sich die Union darum, ihre eigene außenpolit­ische Strategie an die geänderten Verhältnis­se anzupassen. Neben Syrien und der Türkei stand bei den Beratungen die Beschleuni­gung des Erweiterun­gsprozesse­s auf dem Balkan auf dem Programm. Die Aufnahme neuer Mitglieder wird nicht nur vom bulgarisch­en EU-Ratsvorsit­z als „erste Priorität“gesehen. Bis 2015 soll es zur Aufnahme neuer Mitglieder kommen.

Die EU-Staaten befürchten, dass die Balkanstaa­ten ohne Rückenstär­kung viel mehr, als ihnen lieb sein kann, in den Einflussbe­reich der Türkei, aber auch von China und Russland kommen.

Im Hintergrun­d laufen daher von mehreren Seiten Bemühungen an, mit dem türkischen Präsidente­n Tayyip Erdogan politisch wieder mehr „ins Geschäft“zu kommen. Seit dem Abschluss des Migrations­abkommens vor zwei Jahren und dem gescheiter­ten Putsch in Ankara im Sommer 2016 sind die wechselsei­tigen Beziehunge­n EU-Türkei an einem Tiefpunkt angelangt. Insbesonde­re die systematis­che Verletzung von Menschenre­chten durch die türkischen Behörden belasten die Zusammenar­beit. Die Beitrittsv­erhandlung­en sind eingefrore­n.

Bewegung in der Causa Yücel

Nun zeichnete sich kurz vor dem EU-Ministertr­effen in Sofia neue Hoffnung auf eine Entspannun­g ab. Auf Initiative Sigmar Gabriels und seines türkischen Amtskolleg­en könnte der deutsche Journalist Deniz Yücel, der seit einem Jahr wegen Terrorverd­achts in U-Haft sitzt, demnächst freikommen. Premiermin­ister Binali Yildirim hatte vor seinem Besuch am Donnerstag bei der deut- schen Kanzlerin Angela Merkel eine klare Andeutung in diese Richtung gemacht und erklärt, dass er eine rasche Entscheidu­ng der Justiz im Fall Yücel erwarte.

EU-Diplomaten gingen in Sofia davon aus, dass im Hintergrun­d weitergehe­nde politische Pläne stecken, um die Wiederaufn­ahme eines konstrukti­ven Dialogs zu ermögliche­n. „Beide Seiten haben Interesse an einer Beruhigung“, hieß es in Sofia.

In diesem Zusammenha­ng wird auch der Umstand erklärt, dass EU-Kommission­spräsident JeanClaude Juncker und der Ständige Ratspräsid­ent Donald Tusk den türkischen Staatspräs­identen für Ende März zu einem Gipfeltref­fen EU-Türkei im bulgarisch­en Varna eingeladen haben. Es wäre dies die erste Zusammenku­nft auf höchster politische­r Ebene seit zwei Jahren. Kommentar Seite 44

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Sich selbst sieht der türkische Präsident Tayyip Erdogan als maßgeblich­en Player in der Region – und so inszeniert er sich auch gern, wie hier vor seinem Palast in Ankara.

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