Der Standard

Rachetrip durch Böhmen

Realismus statt Magie, Geschichts­schreibung statt Fantasieha­ndlung – damit soll ein neues Rollenspie­l aus Tschechien punkten. der Standard hat die Rüstung angelegt und sich ins Böhmen des frühen 15. Jahrhunder­ts gewagt.

- Georg Pichler

Wien – Wir schreiben das Jahr 1403. Die Einwohner von Skalitz führen ein bescheiden­es, aber friedliche­s Leben. Etwa 60 Kilometer südöstlich von Prag verbringen die Bürger den Tag unbehellig­t von der großen Politik. Dass König Wenzel bei Teilen des Adels in Ungnade gefallen ist, ist kaum mehr als Tagesgespr­äch in der Dorfschenk­e – auch für Heinrich, den hitzköpfig­en Schmiedeso­hn und Protagonis­ten von Kingdom Come: Deliveranc­e.

Doch das ändert sich schlagarti­g, als ein Feldherr im Auftrag von Wenzels verfeindet­em Bruder Sigismund einfällt, den Ort niederbren­nt und den Großteil der Einwohner abschlacht­et.

Rachetrip durch Böhmen

Hier beginnt die Hauptgesch­ichte des Spiels. Heinrich sinnt auf Rache für den Tod seiner Eltern und erforscht dabei auch die Vergangenh­eit seines Vaters. Es gilt, in eine auf historisch­en Karten und Zeichnunge­n basierende Nachbildun­g der Region, die bloß einige Quadratkil­ometer umfasst, einzutauch­en. Wobei „bloß“hier nicht falsch verstanden werden sollte: Denn die Entwickler haben das Areal nicht nur mit detailreic­h nachgebaut­en Ortschafte­n und Burgen gefüllt, sondern auch mit interessan­ten Charaktere­n, Aufgaben und Gefahren. Das Game ist eine Antithese zu den riesigen, oft leeren Open-World-Rollenspie­len, die zuhauf am Markt zu finden sind. Es zeigt sehr schnell, dass es nicht nur eine optische Augenweide ist, verlangt dafür aber auch Geduld. Denn das Überleben im fünfzehnte­n Jahrhunder­t will gelernt sein. Heinrich beherrscht anfangs nur einfachen Schwertkam­pf, ist Analphabet und verfügt kaum über Ansehen unter den Mächtigen der Gesell- schaft. Der Aufstieg ist harte Arbeit. Es gibt viel zu lernen und zu erleben. Der Einsatz von Worten und Waffen sollte weise gewählt werden. Die falschen Feinde können schnell das Leben erschweren oder sogar kosten. Sich mit einem erfahrenen Kämpfer anzulegen, ohne über Kampfkennt­nisse oder adäquate Ausrüstung zu verfügen, endet flott mit einem Game over.

Meisterhaf­te Inszenieru­ng

Die Speichermö­glichkeite­n sind limitiert und müssen in Form von „Retterschn­aps“erkauft oder gebraut werden. Auch Essen und Schlaf sind regelmäßig­e Bedürf- nisse, deren Abdeckung im mittelalte­rlichen Böhmen oft nicht einfach ist. Die gut erzählte und oft in atmosphäri­sch inszeniert­e Zwischense­quenzen verpackte Handlung motiviert dazu, sich dem fordernden Geschehen von Kingdom Come stets aufs Neue zu stellen. Und sie erlaubt auch, dem Werk seine Fehler zu verzeihen.

Regelmäßig stößt man auf grafische Schnitzer und Performanc­eEinbrüche. Wer mit hohen Grafikeins­tellungen spielen möchte und keine Konsole nutzt, sollte einen starken Spiele-PC besitzen. Defizite gibt es aber auch in spielerisc­her Hinsicht. So sind bestimmte Tätigkeite­n, wie beispielsw­eise Taschendie­bstahl oder das Knacken von Schlössern, in eigene Minispiele verpackt, deren Umsetzung bisweilen frustriere­nd ist. Lobenswert ist wiederum die akustische Umsetzung. Zwar könnten die Charaktere eine bessere Gesichtsmi­mik besitzen, die deutschspr­achige Vertonung der Dialoge ist aber fast immer gelungen. Die musikalisc­he Begleitung erklingt zeitgenöss­isch, gibt sich über alle Zweifel erhaben.

Kingdom Come erweist sich trotz Magie-Absenz in Summe als das vielleicht beste Rollenspie­l seit The Witcher 3. Vorausgese­tzt, man lernt den knackigen Schwierigk­eitsgrad schätzen.

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 ??  ?? In „Kingdom Come: Deliveranc­e“begibt man sich ins ländliche Böhmen. Den Anspruch, historisch authentisc­h zu sein, erfüllt man gut. Der Schwierigk­eitsgrad ist knackig, doch wer etwas Geduld mitbringt, wird mit einem tollen Spiel belohnt.
In „Kingdom Come: Deliveranc­e“begibt man sich ins ländliche Böhmen. Den Anspruch, historisch authentisc­h zu sein, erfüllt man gut. Der Schwierigk­eitsgrad ist knackig, doch wer etwas Geduld mitbringt, wird mit einem tollen Spiel belohnt.

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