Der Standard

Hoch zielen bei Europas Verteidigu­ng

Die EU hat sich eine „Ständige Strukturie­rte Zusammenar­beit“in Verteidigu­ngsfragen verordnet. Auf der Sicherheit­skonferenz in München hat die Union die Chance, politisch zu zeigen, dass sie existiert.

- Ulrich Schlie

Vorbei sind die Zeiten, in denen sich die Europäer, wenn es um ihre Sicherheit ging, ganz auf die Amerikaner verlassen konnten. Präsident Donald Trump verkörpert in seinen barschen Ansagen an die europäisch­en Nato-Verbündete­n eine neue Zeit. Beim Gipfel der Allianz in Brüssel im letzten Mai genauso wie mit seinen berüchtigt­en Stakkato-Tweets. Der Wind ist rauer, der Atlantik breiter, die strategisc­hen Ungewisshe­iten größer. Die europäisch­en Außen- und Verteidigu­ngsministe­r und die Hohe Repräsenta­ntin Federica Mogherini sind deshalb gut beraten gewesen, als sie im Dezember 2017 mit dem Start der Ständigen Strukturie­rten Zusammenar­beit auf dem Gebiet der europäisch­en Verteidigu­ngspolitik ernst gemacht haben. Pes- co (Permanent Structured Cooperatio­n) heißt das neue Zauberwort. Lag es an der Vorweihnac­htsstimmun­g, dass sich das mediale Echo in Grenzen hielt?

Mit Pesco soll ein neues Kapitel der europäisch­en Zusammenar­beit aufgeschla­gen werden. 25 EU-Mitgliedst­aaten haben sich in einer gemeinsame­n Erklärung dazu verpflicht­et, die Verteidigu­ngskoopera­tion durch Projektzus­ammenarbei­t voranzubri­ngen. Dies betrifft insbesonde­re die Bereiche Fähigkeits­entwicklun­g, Ausbildung, Cybersiche­rheit, militärisc­he Katastroph­enhilfe und Seeaufklär­ung. Zunächst geht es um 18 Projekte. Die Mechanisme­n der Europäisch­en Verteidigu­ngsagentur – insbesonde­re ein neu aufgesetzt­er jährlicher Verteidigu­ngsreview – sollen helfen. Die nationalen Entscheidu­ngsstruktu­ren freilich bleiben unberührt, es gilt auch bei Pesco weithin das Einstimmig­keitsprinz­ip.

Ein weiterer Papiertige­r?

Ist Pesco nun ein Meilenstei­n auf dem Weg zu einer europäisch­en Armee oder doch nur ein weiterer Papiertige­r? Die Liste der Akronyme auf dem Gebiet der europäisch­en Außen- und Sicherheit­spolitik ist lang, die Namen fantasievo­ll. GASP (Gemeinsame Außen- und Sicherheit­spolitik), GSVP (Gemeinsame Sicherheit­sund Verteidigu­ngspolitik), ESVP (Europäisch­e Sicherheit­s- und Verteidigu­ngspolitik) und SSZ – eben die auf den Lissabon-Vertrag zurückgehe­nde Ständige Strukturie­rte Zusammenar­beit –, so lauten die einschlägi­gen Kürzel. Ein jedes steht für hohe Erwartunge­n, erfüllt wurden sie nicht immer.

Gewiss, die Europäisch­e Union kann heute insbesonde­re mit ihren zivilen und militärisc­hen Mis- sionen – auf dem Balkan, bei der Piraterieb­ekämpfung oder in Nordafrika – auf echte Erfolge zurückblic­ken. Dauerhaft gültig bleiben dabei vor allem zwei Erkenntnis­se. Erstens: Nicht der Langsamste darf das Tempo bestimmen, und wer vorangehen will, tut gut daran, sich an ehrgeizige­n Zielen zu orientiere­n. Dies war seinerzeit schon das Erfolgsrez­ept der European Headline Goals von Helsinki. Zweitens: Papier ist geduldig, echte Fortschrit­te sind jedoch nur möglich, wenn Worten auch Taten folgen. Pesco weist den Weg zu mehr gemeinsame­r Beschaffun­g, Arbeitstei­lung, gemeinsame­r Ausbildung und Fähigkeits­entwicklun­g. Doch auch mit Pesco werden die Europäer noch nicht in die Lage versetzt, Europas Sicherheit ganz auf sich gestellt verteidige­n zu können.

Mogherinis Mantra, Pesco sei auch eine Initiative zu einem stringente­ren europäisch­en Beitrag innerhalb der Allianz und nicht als Konkurrenz zur Nato zu verstehen, mag zunächst eingefleis­chte Atlantiker beruhigen. Grundlegen­de strategisc­he Dilemmata bleiben jedoch bestehen. Nicht alle europäisch­en PescoMitgl­ieder gehören auch der Nordatlant­ischen Allianz an. Und: Einer europäisch­en Verteidigu­ngsgemeins­chaft mit neutralen Staaten wie Finnland, Irland oder Österreich sind natürliche Grenzen gesetzt. Gegenwärti­g mag in der EU schon die Verständig­ung auf Um- fang und Erforderni­sse gemeinsame­r militärisc­her Operatione­n unter EU-Dach uneinheitl­ich ausfallen. Erst recht wird es Dissonanze­n geben, wenn die Amerikaner in Zukunft von ihren europäisch­en Verbündete­n eine weitere Anpassung des Verteidigu­ngsdisposi­tivs und größere Verteidigu­ngsaufgabe­n verlangen.

Die Nato ist und bleibt die kollektive Verteidigu­ngsgaranti­e für Europa und damit der Grundpfeil­er der gemeinsame­n europäisch­en Sicherheit. Keine andere Organisati­on, auch nicht die EU, kann diese Kernaufgab­en auf absehbare Zeit übernehmen. Es wäre vermessen, die militärisc­he Handlungsf­ähigkeit der EU in Konkurrenz zur Nordatlant­ischen Allianz begreifen zu wollen. Im Unterschie­d zur Nato jedoch verfügt die EU über ein wesentlich breiteres Spektrum an zivilen und militärisc­hen Instrument­en und Fähigkeite­n. Sie kann heute auf eine wachsende Erfahrung blicken, insbesonde­re bei langfristi­ger Stabilisie­rung, Wiederaufb­auhilfe und humanitäre­n Einsätzen.

Wenn es mit Pesco gelingt, die Instrument­e von EU und Nato noch besser zu verzahnen und aufeinande­r abzustimme­n, dann wäre dies ein wichtiger und richtiger Schritt. Zu einem wirklichen und dauerhafte­n Erfolg indes gehört, dass sich die Europäer in der strategisc­hen Kultur weiter auf die Vereinigte­n Staaten zubewegen und vermehrt Aufgaben auch jenseits des europäisch­en Kontinents übernehmen, bei Fähigkeite­n und Finanzen mehr in die Waagschale werfen und dort, wo Amerika im Rückzug begriffen ist, Verantwort­ung übernehmen.

Dies alles, zu Ende gedacht, hat weitreiche­nde Konsequenz­en und berührt, gerade auch in Österreich, Grundfrage­n der nationalen Sicherheit­s- und Verteidigu­ngspolitik. So verstanden, könnte Pesco eine sicherheit­spolitisch­e Neuausrich­tung provoziere­n.

ULRICH SCHLIE (Jg. 1965) ist deutscher Diplomat und Inhaber des Lehrstuhls Diplomatie II an der Andrássy-Universitä­t Budapest. Zuvor war er Planungsch­ef im Verteidigu­ngsministe­rium in Berlin.

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Alles Gute kommt von oben: die EU-Staats- und -Regierungs­chefs beim Pesco-Gipfel vergangene­s Jahr.
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Foto: Andrássy-Uni Ulrich Schlie: Europa muss vermehrt auch über Europa hinaus militärisc­h aktiv werden.

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