570.678 Arbeitstage unter Zwang
In einem Buch arbeiten die Wiener Linien ihre Geschichte im Nationalsozialismus auf
Wien – Die Wiener Linien stellen sich einem dunklen Kapitel ihrer Geschichte: Wie die meisten österreichischen Unternehmen beschäftigten auch die damaligen „Wiener Stadtwerke – Verkehrsbetriebe“Zwangsarbeiter während der NS-Diktatur.
Die Archive öffnete das Unternehmen aus eigenem Antrieb. Man wolle Ausmaß und Intensität dieser Gewissenlosigkeit abschätzen können, schreibt der heutige Geschäftsführer der Wiener Linien, Günter Steinbauer, im Vorwort des Buches „Menschenmaterial: Ungenügend“.
Darin legt der Autor und ehemalige Wiener-Linien-Mitarbeiter Walter Farthofer eine Chronik der Geschehnisse zwischen Juli 1941 und April 1945 vor. Der Titel ist ein Zitat des damaligen Direktors der Wiener Verkehrsbetriebe, Karl Schöber, der sich über die mangelnde Qualität der Arbeiter beschwerte.
Vergangenen Mittwoch wurde das Buch im Wiener Verkehrsmuseum Remise präsentiert. Farthofer stützte sich bei seiner Forschung auf 1351 Arbeitsakten, die die Zwangsarbeit bei den Wiener Verkehrsbetrieben bezeugen. 1037 der Zwangsarbeiter waren demnach Männer, 314 Frauen. Der jüngste war zum Zeitpunkt der Aufnahme 13 Jahre alt.
Gleisbauer und Schaffner
Aus 14 verschiedenen Nationen wurden die Menschen nach Wien geholt. Den größten Anteil – ein Drittel – machten Holländer aus, zur Hälfte Frauen. Die zweitgrößte Gruppe waren Polen, danach Griechen, Russen, Belgier und Ukrainer. Eingesetzt wurden sie im Gleisbau, im Werkstättendienst und vereinzelt als Schaffner. Insgesamt 570.678 Arbeitstage wurden für die Verkehrsbetriebe unter Zwang geleistet.
Zu Zwangsarbeit kam es im NSRegime schon früh. „Nach 1938 wurden Juden, Sinti und Roma schnell zwangsverpflichtet“, sagte Bertrand Perz, Historiker und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Zeitgeschichte, bei der Buchpräsentation. Insgesamt wurden nach derzeitigem Forschungsstand 13 Millionen Menschen unter dem NS-Regime zur Arbeit gezwungen. „Das ist der größte Zwangsarbeitseinsatz in der Geschichte“, sagte Perz.
Untergebracht waren die Arbeiter in primitiven Behausungen, zum größten Teil in Lagern. Oft stand den Arbeitern nicht mehr zur Verfügung als ein Strohsack, ein Polster und zwei Decken. Häufig gab es keine Heizung.
Einige Arbeiter, vor allem Holländer, wurden in umfunktionierten Schulen untergebracht. Meist gab es keine Waschgelegenheiten, sondern nur Ausgussmuscheln. Für ihre Unterkünfte mussten die Arbeiter zahlen. Manchmal regte sich Widerstand: Mit der Methode der „Arbeitsbummelei“wurde „passive Resistenz“geleistet.
„Eine Wiedergutmachung gibt es nicht“, sagte der bei der Buchpräsentation anwesende Vorsitzende des Zukunftsfonds der Republik, Kurt Scholz. Es gebe lediglich „Gestenzahlungen“. Das vergangene Leben könne man nicht restituieren.