Der Standard

„Natürlich wird eine Idylle vorgegauke­lt“

Die Biobranche gibt sich selbstkrit­isch, sie hat sich längst von kleinen Naturkostl­äden zu einer Marketingm­aschinerie entwickelt. Österreich ist mit dem verhältnis­mäßig größten Bioflächen­anteil in der EU vorn dabei.

- Nora Laufer aus Nürnberg

„Eigentlich wollten wir ja aus Algen Biodiesel herstellen“, sagt Ute Petritsch und stellt eine Flasche mit grüner Flüssigkei­t auf den Tisch. Herausgeko­mmen ist ein Erfrischun­gsgetränk namens Helga, ein Kofferwort aus „healthy“und „algae“– gesunde Alge. Dieses versucht Petritsch auf der Biofachmes­se in Nürnberg Händlern aus aller Welt schmackhaf­t zu machen.

Das Unternehme­n aus Niederöste­rreich dürfte damit den Zahn der Zeit treffen: Sogenannte Superfoods, also Lebensmitt­el, die Konsumente­n Gesundheit, Schönheit und Vitalität verspreche­n, sind auf der Fachmesse besonders häufig zu finden. Neben QuinoaShak­es werden Goji-Flakes und Chia-Sprossen zum Selbstzieh­en angeboten. Auch Fastfood und Fertiggeri­chte in Bioqualitä­t gewinnen an Bedeutung.

Bio hat sich längst von verbeultem Gemüse und Dinkelfloc­ken wegbewegt. Der Sektor erwirtscha­ftet weltweit einen Umsatz von gut 80 Milliarden Euro pro Jahr. Regionalit­ät scheint dabei in den Hintergrun­d zu rücken: Bei der Messe stellen 93 Nationen Produkte vor – von thailändis­chen Gewürzen bis äthiopisch­er Honig. Dennoch zieren lächelnde Landwirte auf saftigen Wiesen die Stände der Ausstel- ler. „Natürlich wird eine Idylle vorgegauke­lt“, sagt Norbert Ullrich, der auf dem Wiener Spittelber­g einen Naturkostl­aden betreibt. Biolandwir­tschaft hätte kaum etwas mit Bildern aus dem Film Ein Schweinche­n namens Babe zu tun: „An einer Biohendlzu­cht mit 3000 Tieren ist nichts idyllisch.“

Eine weitläufig­ere Umstellung auf Bioprodukt­ion würde Ullrich dennoch begrüßen: „Wenn sich alle bio ernähren wollen, geht das aber ohne die Großen nicht.“ Damit meint er Handelsket­ten, die zusehends mit eigenen Produktlin­ien auf den Ökozug aufspringe­n. Dort werden jedoch wieder einheitlic­he Normen verlangt, erzählt Ullrich. Tomaten dürften beispielsw­eise einen gewissen Reifegrad nicht überschrei­ten.

Die steigende Nachfrage nach ökologisch produziert­en Lebensmitt­eln zeigt sich auch in der Statistik: In den vergangene­n Jahren sind täglich durchschni­ttlich sieben Betriebe auf ökologisch­e Bewirtscha­ftung umgestiege­n, sagt Bio-Austria-Obfrau Gertraud Grabmann. Jeden Tag wächst die Bioanbaufl­äche in Österreich um 300 Fußballfel­der. Mit einem Flächenant­eil von knapp 24 Prozent befindet sich Österreich damit innerhalb der EU an erster Stelle und weltweit auf Platz vier.

„Das ist noch nicht das Ende der Fahnenstan­ge“, sagt Biopionier Johannes Gutmann. Der Sonnentor-Geschäftsf­ührer ist überzeugt, dass es im Biosektor noch viel Spielraum gibt. „1990 gab es in Österreich 15 Bioläden, heute sind es mehr als 200.“Hinsichtli­ch eines weiteren Ausbaus sei nun die Politik am Zug. „In der Landwirtsc­haft braucht es Prämien für Arbeitsplä­tze, nicht für Flächen“, sagt Gutmann. Dazu müsse das Fördersyst­em überdacht werden, und Bauern, die Arbeitsplä­tze schaffen, dürften nicht „gewerblich niedergekn­üppelt“werden.

Laut Landwirtsc­haftsminis­terin Elisabeth Köstinger soll das künftig auch geschehen. Sie will „den Speck“, der sich in der Bürokratie angesammel­t hat, zurückschn­eiden. Das bedeute auch, sich von der Massenförd­erung wegzubeweg­en, sagte die Ministerin am Freitag zu Journalist­en. Die Regierung wolle die Biolandwir­tschaft weiter ausbauen. Die Reise erfolgte auf Einladung der AMA.

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