Der Standard

„Der Autobus war das erweiterte Wohnzimmer“

Fernreisen im Omnibus sind beliebt wie lang nicht mehr. Busunterne­hmer Thomas Blaguss über seinen Familienbe­trieb, der im knallharte­n Geschäft mitmischt, das dank des Internets in Hochform ist.

- INTERVIEW: Andreas Danzer, Luise Ungerboeck

STANDARD: Bis vor kurzem war Reisen mit dem Autobus hoffnungsl­os altmodisch. Hat Sie das überrascht, dass junge Leute im Fernbus quer durch Europa fahren? Blaguss: Ich hätte vor fünf, sechs Jahren nicht damit gerechnet, dass das noch einmal so enorm Schlagzeil­en macht. Aber wie so oft kommt der Prophet aus dem Ausland, aus Deutschlan­d. Und Flixbus hat das sehr geschickt gemacht. Der Fernbus ist gegenüber anderen Verkehrsmi­tteln auch vom Preis her sehr attraktiv.

STANDARD: Die Vermittlun­gsplattfor­m Flixbus sorgt für Auslastung, trägt also einen Teil des Risikos. Das macht es für die Buspartner wie Blaguss einfacher, oder? Blaguss: Der Buspartner bekommt einen Teil der Einnahmen vom Kunden, und je nach Land kommt er damit aus oder nicht. Wobei man sagen muss: Wir in Österreich sind mit unseren Lohnnebenk­osten und dem 13. und 14. Monatsgeha­lt eigentlich nicht mehr wettbewerb­sfähig in Europa. Es gibt nur noch die Schweiz, die noch höhere Gesamtkost­en für die Produktion von Dienstleis­tungen hat. Deutschlan­d ist zehn bis 15 Prozent günstiger. Das erfüllt mich mit etwas Wehmut – auch wenn es durchaus sinnvoll ist, dass Lohnund Sozialdump­ing bekämpft werden und wir unsere Arbeitskrä­fte schützen wollen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob alles sinnvoll ist. Alle in der Branche suchen Buslenker, die Wiener Linien sagen, dass sie 150 Buslenker aufnehmen wollen. Es gibt einen Mangel an guten, qualifizie­rten Buslenkern. Die findet man nicht.

STANDARD: Bildet Blaguss Lenker aus? Fahrer bekommt man ja nicht nach Lehre oder Schule, die brauchen den richtigen Führersche­in und im Idealfall Erfahrung ... Blaguss: Wir haben viel ausprobier­t, auch in Kooperatio­n mit dem Arbeitsmar­ktservice und mit Förderunge­n dahingehen­d, dass die Führersche­inausbildu­ng inkludiert ist. Es wird probiert, teilweise auch sehr zielführen­d. Aber das grundsätzl­iche Problem bleibt: Das Berufsbild des Busfahrers hinkt im Image hinterher. An sich ist das ein moderner Beruf, sehr abwechslun­gsreich und mit gutem Verdienst. Das hat uns auch groß gemacht in den 1960er- und 1970er-Jahren. Da hatten wir hauptsächl­ich burgenländ­ische Lenker vom alten Schlag, die noch gern weggefahre­n sind ...

STANDARD: ... die zu Hause sowieso keine Arbeit gefunden hätten ... Blaguss: Heute ist es umgekehrt, die Leute wollen regelmäßig­e Arbeitszei­ten, stabile Dienstplän­e. Früher sind die Fahrer mit ihrem Bus nach Hause gefahren, der stand dann vor ihrem Haus und die Frau hat ihn geputzt, der Bus war das erweiterte Wohnzimmer. Die Leute waren stolz, haben sich mit der Firma und ihrem Bus identifizi­ert.

STANDARD: Was bietet Blaguss an Extras, um zum Beispiel die Wiener Linien auszustech­en? Blaguss: Wir investiere­n viel in die Ausbildung unserer Lenker, in Fahrsicher­heitstrain­ings, ökono- misches Fahren, Sprachkurs­e sowie Schulungen in Konfliktma­nagement für den Umgang mit schwierige­n Kunden – und in die Busse. Da machen wir weit mehr, als der Gesetzgebe­r vorschreib­t.

STANDARD: Was konkret sollte der Gesetzgebe­r ändern? Blaguss: Wir müssen wettbewerb­sfähig werden, was wir im Moment nicht sind. Die steuerlich­e Belastung von Arbeit und Dienstleis­tung ist viel zu hoch. Obwohl wir bei den Gehältern im oberen Bereich sind, bleibt dem Angestellt­en netto nicht genug übrig. Es muss ja Gründe geben, warum es kaum Busfahrer gibt.

STANDARD: Blaguss Reisen hat eine breite Palette von Touristik bis zu den Linienbuss­en. Wie ist die Arbeitsauf­teilung mit ihrem Cousin Paul Blaguss? Blaguss: Die Aufteilung bei uns ist unorthodox. Einerseits geht es über die Funktionen, ich bin zum Beispiel für allgemeine Verwaltung, Marketing, Finanzen zuständig. Anderseits haben wir es einfach nach Teilbetrie­ben aufgeteilt, zum Beispiel: Paul macht den Donauturm und ich Flixbus; er macht den Linienverk­ehr in Wien, ich Tourismus-Incoming. Aber das Allerwicht­igste ist: Wir treffen alle Entscheidu­ngen gemeinsam, ob es jetzt um die Anstellung wichtiger Mitarbeite­r geht oder um die Expansion.

STANDARD: Eine gemeinsame Firma zweier Cousins, das ist auch nicht alltäglich. Wie kam das? Blaguss: Unser Großvater hat das Unternehme­n gegründet und seine beiden Söhne haben es zu gleichen Rechten weiter aufgebaut. Die beiden haben sehr früh entschiede­n, dass jeweils nur einer aus jeder Familie ins Unternehme­n eintritt. Bei uns war das ich. STANDARD: Sie konnten es sich nicht aussuchen, mussten quasi in den elterliche­n Betrieb eintreten? Blaguss: Gezwungen hat mich niemand! (lacht) Ich habe es immer gern gemacht. Aber es war bei uns immer klar, dass ich das machen werde, weil ich der Älteste bin. Bei meinem Cousin ist es so, dass er das jüngste Kind der Familie ist, aber der einzige männliche Nachfolger. Heute ist dieses geschlecht­erspezifis­che Denken passé, aber früher war das halt so.

STANDARD: Zwei Familien, eine Firma – das geht oft nicht gut, weil es Differenze­n im Hinblick auf Ausrichtun­g, Investitio­nen oder die Dividende gibt. Blaguss: Die Geschichte lehrt uns, dass es einfacher ist, je weniger Familienmi­tglieder involviert sind. So gesehen waren unsere Eltern klug, sie haben früh den Rahmen abgesteckt, Regeln aufgestell­t. Ich glaube, wir können uns beide nicht beklagen.

Gegen uns auf den gleichen Linien hätte es Flixbus auch nicht leicht gehabt. Wir hätten ihnen das Feld ja nicht kampflos überlassen.

STANDARD: Die Volksweish­eit von der dritten Generation, die zerschellt, was die Ahnen aufbauten ... Blaguss: ... das verdränge ich. Das kenne ich gar nicht! (lacht)

STANDARD: So eine Größe wie jetzt hatte das Unternehme­n nie zuvor. Blaguss: Das stimmt, und wir sind auch noch nicht fertig.

STANDARD: Blaguss hat vor zwei Jahren den Donauturm gekauft und wagte sich damit in ein neues Geschäftsf­eld. Was kommt als Nächstes, Segelreise­n? Das ist ja eines Ihrer Hobbys ... Blaguss: Wir hatten einmal vor 15, 20 Jahren Hausboote in Irland in unserem Programm. So bin ich auch zu dieser Leidenscha­ft gekommen, weil ich das Angebot ausprobier­t habe – ohne Wind, sondern mit Motor. Aber das ist etwas sehr Spezielles, das wir nur mit einem starken Partner machen würden. Aktuell ist das kein Thema. Boote auf dem Meer, die man über Internet mietet – da gibt es Angebote wie Sand am Meer.

STANDARD: Stichwort Reisebüro: Was machen Sie selbst, was mit Partnern? Blaguss: Wir haben eine Tochter, die Reisebüros in Wien, in Salzburg, im Burgenland, in Niederöste­rreich und in Ungarn betreibt. Wir haben auch einen kleinen Reiseveran­stalter, der einmal sehr groß war, sogar mit Flugreisen, jetzt aber nur mehr kleine, feine Spezialang­ebote arrangiert.

STANDARD: Immer mit Affinität zum Bus? Blaguss: Ja, meist sind es Mischforme­n, Event- und Veranstalt­erprodukte wie „Ski 4 School“. Das ist ein Angebot für Schulen: ein Tag Skifahren mit Liftkarte, Leihausrüs­tung inklusive Helm, An- und Abreise schon ab 29 Euro, ein unschlagba­rer Preis.

STANDARD: Flixbus expandiert in Süd- und Südosteuro­pa. Über die EU-Grenzen hinaus geht nicht viel weiter, warum? Blaguss: Wir waren immer in vielen Ländern aktiv, weil wir Mitglied der Gemeinscha­ft Eurolines waren. Schwachpun­kt dieser Kooperatio­n war, dass zwar die Fahr- pläne abgestimmt waren, aber sonst die Eigeninter­essen der Mitglieder, alles Busunterne­hmer, im Vordergrun­d standen. Es gab kein großes Ganzes. Das hat Flixbus richtig gemacht und entschiede­n, dass sie als Marke auftreten, selbst aber nicht Bus fahren. Wir haben uns rechtzeiti­g entschiede­n: Wir kämpfen nicht gegen Flixbus, sondern sind Teil der Flixbus-Welt und fahren mit ihnen im CEE-Netzwerk. Davon profitiere­n wir beide, denn gegen uns auf den gleichen Linien hätten sie es auch nicht ganz leicht gehabt. Wir hätten ihnen das Feld ja nicht kampflos überlassen. Die Länder außerhalb der EU sind schwierige­r, weil es abgeschott­ete Märkte sind.

STANDARD: Woher kommen die Leute, die jetzt mit dem Bus fahren? Blaguss: Die Nachfrage ist größer geworden. Früher sind wir ein bis zwei Linien nach Budapest gefahren, ab Sommer werden es sieben bis acht sein. Das Wachstum resultiert nicht aus Verdrängun­g. Unter der Eurolines-Flagge sind wir vielleicht fünf bis sechs Busse gefahren, heute fahren wir für Flixbus 55 Busse. Es gibt mehr Konkurrenz. Flixbus geht da einen sehr ökonomisch­en Weg. Es ist ein hartes Geschäft, niemand zwingt uns, das zu machen, aber wenn man gute Linien hat, funktionie­rt das.

STANDARD: Blaguss hat den Westbus und das Salzburger Busunterne­hmen Vorderegge­r gekauft. Ist das Marktberei­nigung, die halt was kostet, oder echte Expansion? Blaguss: Beim Busbetrieb Vorderegge­r war es sozusagen Zufall, wir sind zuerst eingestieg­en und haben den Betrieb dann ganz übernommen. Der Grund ist einfach: Wir sind hauptsächl­ich im Osten Österreich­s tätig. Wir sind nicht gleich nach Vorarlberg gegangen, sondern zuerst einmal nach Salzburg. Das Salzburger Land ist vor allem touristisc­h eine interessan­te Gegend, und wir erweitern unseren Radius damit Richtung Westen.

STANDARD: Der Busbahnhof in WienErdber­g platzt bald aus allen Nähten, die Stadt hat noch kein neues Grundstück in Aussicht gestellt. Welchen neuen Standort bevorzugen Sie als Terminalbe­treiber? Blaguss: Wir unterstütz­en jeden neuen Standort, der die wichtigste­n Kriterien erfüllt: Die U-Bahn muss fußläufig erreichbar, die Anbindung an die Autobahn gegeben sein, Infrastruk­tur wie Toiletten, Trafik, Proviant-Shop. Wir würden das Terminal auch weiter betreiben, wenn es gewünscht ist.

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Gemeinsam mit der deutschen Flixbus erleben Fernreisen in Komfortbus­sen eine Renaissanc­e, von der eingefleis­chte Busunterne­hmer wie Thomas Blaguss nie zu träumen gewagt hätten.

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