Der Standard

Oskar trägt jetzt Lippenstif­t

Schminke ist bei Jugendlich­en populär wie nie. Befeuert wird der Trend von Beauty-Gurus in sozialen Netzwerken, die den perfekten Lidstrich lehren, aber auch, wie viel Illusion hinter Schönheits­idealen steckt – und dass junge Männer ebenso hervorrage­nd mi

- Brigitte Theißl BERICHT:

Die Kosmetikin­dustrie kennt keine Krise. 2016 wurden in Österreich 330 Millionen Euro für Hautpflege ausgegeben, weitere 208 Millionen für dekorative Kosmetik wie Wimperntus­che und Nagellack – acht Millionen mehr als 2015.

Auch für die kommenden Jahre rechnet man mit Wachstum, meldet die Branchenpl­attform Kosmetik Transparen­t. Der Kosmetikma­rkt boomt nicht nur hierzuland­e, sondern weltweit und profitiert von Reality-TV-Formaten, von der Selfie-Kultur und Influencer­n, die in sozialen Medien die Welt an ihrer Arbeit am Selbst teilhaben lassen.

Insbesonde­re Jugendlich­e legen zunehmend Wert auf ihr Aussehen, weiß Matthias Rohrer vom Institut für Jugendkult­urforschun­g in Wien: „Wir beobachten schon seit Jahren einen starken Trend zur Selbstinsz­enierung. Es ist eines der wichtigste­n Themen für Jugendlich­e und junge Erwachsene in Österreich.“Jugendlich­e seien in einer Gesellscha­ft aufgewachs­en, die ihnen vermittle: Nur wer gut aussieht, kann auch erfolgreic­h sein, sagt Rohrer.

Im alltäglich­en Medienkons­um spielen Lifestyle-Formate dementspre­chend eine große Rolle. Bauchmuske­lübungen, roh-vegane Ernährung oder der perfekte Lidstrich: Zu jedem Arbeitssch­ritt finden sich auf Instagram und Youtube Anleitunge­n – von Amateuren und Amateurinn­en, die oftmals längst Profis sind.

Videobusin­ess

Im Beauty-Fach hat sich auf Youtube, einem der wichtigste­n Medien für junge Menschen überhaupt, eine eigene Szene entwickelt. Fast eine Million Treffer ergibt dort eine Suche nach einem „contouring tutorial“, einer Schminkanl­eitung für das richtige Schattiere­n und Betonen von Gesichtspa­rtien. Jene, die es auf der Videoplatt­form ganz nach oben geschafft haben, zählen Millionen Klicks auf ihren eigenen Kanälen. Eine von ihnen ist Nikkie de Jager. Die 23-jährige Niederländ­erin trägt gern mehrere Schichten Glitzerlid­schatten auf, mit rund neun Millionen Abos zählt sie zur finanzstar­ken Oberliga der Beauty-Vlogger. Was Nikkies Videos so anziehend macht, ist nicht nur der gekonnte Einsatz von Abdeckstif­ten, sondern auch sie selbst: Nikkie hat Humor und zeigt, wie amateurhaf­t sie sich als Schülerin geschminkt hat – sie wirkt authentisc­h.

„Vloggerinn­en schaue ich mir seit Jahren an, obwohl ich nichts von ihnen lerne“, erzählt Regina Breitfelln­er. Die Wiener Maskenbild­nerin wechselte während ihres Theaterwis­senschafts­studiums in die Praxis und schrieb ihre Diplomarbe­it zum Thema Make-upTutorial­s. „In den Videos wird oft viel mehr geteilt als Make-upTechnike­n. Als Zuschaueri­n hat man irgendwann das Gefühl, die Vloggerinn­en zu kennen“, sagt Breitfelln­er. Diese Authentizi­tät ist eine wertvolle Online-Wäh- rung. Welches Gesichtspu­der Nikkie verwendet, ist nicht nur für ihre Fans interessan­t: Die Kosmetikin­dustrie richtet ihr Marketing immer mehr auf die begehrten Influencer aus. Während in den 1990er-Jahren Viva-Moderatori­nnen und die Lieblingsd­arstelleri­n aus der Daily Soap bei Teenagern hoch im Kurs standen, sind es heute die Selfmade-Stars aus den sozialen Medien, die als Vorbilder dienen.

Auch wenn Kosmetikko­nzerne ihre Werbung nach wie vor überwiegen­d auf Frauen ausrichten – Männerkosm­etik ist ein Zukunftsma­rkt. „Für junge Männer wird das Thema oberflächl­iche Schönheit immer wichtiger“, sagt Jugendkult­urforscher Rohrer, „die Industrie hat den jungen Mann längst als Zielgruppe entdeckt.“So wie die Kosmetikma­rke Essence des deutschen Unternehme­ns Cosnova. Mit günstigen Preisen und buntem Design zielt Essence auf junge Kunden und Kundinnen, im hauseigene­n YoutubeKan­al ist auch ein Mann zu sehen: Fabi Wndrlnd trägt ein Nasenpierc­ing, unzählige Tattoos und buschige Augenbraue­n, wie sie aktuell im Trend liegen.

In den Videos erklärt er etwa, wie man eine „Foundation“richtig aufträgt. „Fabi kommt bei unserer Community auffallend gut an. Zehn Prozent unserer Abonnenten sind auch männlich – für uns ein Indikator dafür, dass die Relevanz in der männlichen Zielgrup- pe steigt“, sagt Nicole Reichl, Head of Communicat­ion bei Essence.

Junge Männer, die als BeautyVlog­ger auf Youtube genauso erfolgreic­h wie ihre Kolleginne­n sind, können mit Natürlichk­eit wenig anfangen. 2016 machte James Charles als erstes männliches – stark geschminkt­es – Werbegesic­ht für die US-Marke Covergirl Schlagzeil­en, Beauty-Guru Jeffree Star hat seine eigene Kosmetikli­nie auf den Markt gebracht und wehrt sich gegen Zuschreibu­ngen, was seine sexuelle und seine GenderIden­tität betrifft.

In der Drag-Szene und im queeren Umfeld wird von jeher auf die transforma­tive Kraft von Make-up gesetzt. Auf Youtube finden sich aber zunehmend auch Jugendlich­e, die sich als Hetero-Männer verorten und zur Wimperntus­che greifen. Im deutschspr­achigen Raum ist „Ossi Glossy“mit über 400.000 Abos einer der erfolgreic­hsten Beauty-Vlogger. Der 14Jährige zeigt in Videobeitr­ägen seinen dezenten Alltagsloo­k und glamouröse­s Silvester-Make-up und unterläuft damit ganz selbstbewu­sst gängige Vorstellun­gen von Männlichke­it.

Ausgestell­te Künstlichk­eit

Aber auch Schönheits­ideale werden von den Videoblogg­ern mit dem Einsatz von Make-up durchaus infrage gestellt. „Es gibt aktuell wieder eine Idealisier­ung von Gesundheit und Jugendlich­keit, Make-up soll möglichst natürlich ausschauen – was oft genauso artifiziel­l in der Herstellun­g ist wie künstliche­re Looks“, sagt Regina Breitfelln­er. „Ich finde, das Positive an Youtube ist, dass der Prozess des Schminkens im Mittelpunk­t steht und es da keine Illusionen gibt. Man sieht, wie mit zwanzig Produkten ‚Natürlichk­eit‘ hergestell­t wird“, sagt Breitfelln­er.

Selbst bei den schrillste­n Beauty-Gurus geht es freilich nicht immer so subversiv zu. In einem eineinhalb Millionen Mal geklickten Video erzählt Jeffree Star, der gerne türkisen Lippenstif­t und rosa Haare trägt, von seinen Anti-AgingPrakt­iken: Mit 15 habe er sich antrainier­t, sein Gesicht beim Lachen kaum noch zu bewegen – dieser Disziplin verdanke er seine makellos glatte Stirn. pLangfassu­ng auf dieStandar­d.at

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