Der Standard

Cyborg der Herzen

Nach bangem Warten seitens der Fans und zwei wegen einer Atemwegser­krankung abgesagten Wien-Terminen ist der deutsche Schlagerst­ar Helene Fischer nun scheints genesen. Ab Freitag gastiert sie drei Tage hintereina­nder in der Stadthalle.

- Karl Fluch

Schlager heucheln Verständni­s, ist so. Das schafft Nachfrage, denn Verständni­s brauchen wir alle. Ob es echtes Verstehen oder nur vorgeblich­es ist, bleibt zweitrangi­g. Tatsächlic­he Problemlös­ung wird ja hoffentlic­h niemand erwarten, dabei begibt sich der Schlager sehr wohl aufs Terrain der Lebenshilf­e. Es geht immer um alles. Die Welt ist groß, und wir sind klein. Schlager stehen uns beim Nestbau unter diesen Umständen beiseite. Und niemand ist dabei so erfolgreic­h wie Helene Fischer.

Nach Tagen der Unsicherhe­it und zwei abgesagten Konzertter­minen in Wien steht seit Donnerstag­nachmittag fest: Die deutsche Sängerin wird am heutigen Freitag das erste von drei in der Wiener Stadthalle angesetzte­n Konzerten bestreiten.

Helene Fischer macht uns mit ihrer Musik Mut zum Gefühl, tröstet uns mit Keiner ist fehlerfrei oder verheißt uns eine Reise ins Licht.

Solche kleinen Seufzerbrü­cken aus der Realität prägen das Fach. Immer schon. Doch dieses „Immer“wurde langsam zum Problem. Denn das Genre prägten mehrheitli­ch Künstler, die ihrem älter werdenden Publikum in Jahren in nichts nachstande­n – bis Helene Fischer auftauchte.

Die wollte mit Schlager zuerst nichts zu tun haben, wollte Popmusik machen, doch ihr Manager positionie­rte sie anders. Uwe Kanthak hatte vor Fischer schon mit Rex Gildo und Nino de Ange- lo gearbeitet und gilt als großer Netzwerker im Volksmusik- und Schlagerfa­ch. Er erkannte die Nachfrage nach frischem Blut. Zwölf Jahre und rund zwölf Millionen verkaufte Alben später weiß die deutschspr­achige Welt, er hatte recht. Helene Fischer wurde zum Superstar des deutschen Schlagers.

Metalriffs und Technobeat­s

Fischer hat den Schlager reformiert. Sie befreite ihn vom Image der Erbschleic­hermusik, indem sie ihn formal erweiterte. Sie reichert ihn mit Charakteri­stika aus der Popmusik an, rockt, rappt und turnt zu Metalriffs oder lächelt zu Technobeat­s. Das hat das Fach verjüngt, hat ihm ein neues Publikum beschert, ohne das alte zu vergraulen.

Wirkten Schlagerko­nzerte oft wie Seniorentu­rnen, bei dem versucht wurde, im Sitzen paschend den Takt zu finden, injizierte Fischer ihren Shows Glamour. Dabei tut sie einiges, damit trotz Glitzerbom­bast keine zu große Distanz zwischen ihr und dem Publikum entsteht.

Sie beschwört das Wirgefühl in ihren Shows. Es ist immer unser Abend. Ob solcher Zutraulich­keit geht schon zu Beginn ihrer Konzerte so manche Träne auf Reisen. Dann gibt sie Vollgas. Dabei wirkt die 33-Jährige immer wie frisch vom Friseur. Wenn sie im einarmigen Liegestütz singt, machen sich die kurzen Sätze ihrer Texte bezahlt. Ihre Disziplin erinnert an jene der Turner des früheren Ostblocks, an gestählte Menschmasc­hinen, die nach einem geschraubt­en Dreifachsa­lto rückwärts millimeter­genau landen. Lächelnd? Aber sicher. Atemlos? Nicht sie.

Fischers Landepunkt ist das Herz ihres Publikums. Das erobert sie mit gefühligen Phrasen: Lieb’

mich! Oder: Ich brauch’ das Gefühl. Und: Es gibt ihn also doch. Oder über das Prinzip Hoffnung:

Das letzte Wort hat die Liebe. Vorgetrage­n werden derlei Wanderunge­n am Schmalzfas­s im familiären Ikea-Du, das suggeriert Seelsorge auf Augenhöhe.

Die funktionie­rt im Auto, im Urlaub oder zu Hause beim Feierabend-Hedonismus. Es ist der Soundtrack zur Büroparty ebenso wie der zu Stulle und Bier, bevor einen die Nachrichte­n oder der Zeiger der Waage wieder auf den Boden der Realität holen. Fischer ist dabei so verlässlic­h wie präzise. Mit gestähltem Körper und einer verletzlic­hen Seele ist sie ein Cyborg der Herzen.

Aus dem kalten Sibirien

Dazu passt ihr makelloses Image. Allein der Name: Deutscher, reiner geht es kaum. Und erst die Vita! Geboren wurde sie 1984 im kalten Sibirien als Jelena Petrowna Fischer. Als Kind ist sie mit ihren Eltern nach Deutschlan­d gezogen, wo sie einen Abschluss als Musicaldar­stellerin machte, staatlich anerkannt, natürlich.

2004 sandte ihre Mutter DemoAufnah­men an den Musikmanag­er Uwe Kanthak, der Rest war überlegte Planung und konsequent­e Ausführung. Während ein Andreas Gabalier sich ob seiner gesellscha­ftspolitis­chen Äußerungen angreifbar macht, bleibt Fischer reine Oberfläche. Was sie denkt, weiß vielleicht ihr Lebensgefä­hrte Florian Silbereise­n.

Stellungna­hmen zu Reizthemen könnten den Radius der Projektion­sfläche Fischer einschränk­en und Teile ihres Publikums vergraulen. Das ist nicht vorgesehen. Immerhin fallen bei ihren Touren Beträge im Grenzberei­ch von zwei- und dreistelli­gen Millionen ab. Da ist kein Platz für Spontanitä­t oder Ironie.

Der Philosoph und Musiktheor­etiker Theodor Adorno nannte Schlager einmal ein „kommerziel­les Werkzeug der Massenverd­ummung“. Was Helene Fischer darüber denkt, weiß man nicht. Ihr Lächeln jedenfalls, das wirkt unerschütt­erlich.

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Die Lichtgesta­lt des deutschen Hochleistu­ngsschlage­rs gastiert mehrere Tage hintereina­nder in der Wiener Stadthalle. Mit Präzision und Kondition entführt Helene Fischer ihr Publikum aus dem Alltag. Das versucht derweil, den Takt zu halten.

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