Der Standard

Auf dem Pfad der Liebe zur Gemeinscha­ft

Erwin Piplits und das Serapionse­nsemble mit der Liebesreis­e „Der Ruf“im Odeon

- Michael Wurmitzer

Wien – Ein Labyrinth aus Vorhängen umfängt die Eintretend­en. Dunkle herumhusch­ende Figuren tragen Kameras in den aufgesetzt­en Pappmachék­öpfen. Sie filmen das Publikum und werfen sein Abbild auf die Stoffe. Das dauert eine Weile. Dann werden die von der Decke hängenden Tücher allmählich zur Seite gezogen, der Raum weitet sich. Wir alle sind in einem Brunnen gefangen und werden gerade befreit. Dank der Nächstenli­ebe von Erwin Piplits.

Der Theatermac­her zeigt im Odeon den letzten Teil seiner Trilogie Fidèles d’amour. Der Pfad zur Liebe ist darin beschwerli­ch, wegen Unreife blieb sie etwa in Teil eins und zwei unerreicht. Wieder lehnt man sich nun an Erzählunge­n des iranischen Mystikers Schihab ad-Din Yachya Suhrawardi. Diesmal an jene von einem Mann, der seine Heimat willentlic­h hinter sich gelassen hat und fremd in eine Stadt gekommen in einen Brunnen geworfen wird.

Gegenwärti­g und gewillt

Aus dieser Gefangensc­haft und Einsamkeit kämpft sich der Namenlose zurück zu den Menschen, von denen er einst weggegange­n ist. Dieser Weg illustrier­t eine persönlich­e Entwicklun­g. Denn Gemeinscha­ft ist nicht bloß die Gegenwart mehrerer – sie erfordert auch den Willen jedes Einzelnen zur Teilnahme daran.

Es tangiert Der Ruf demgemäß Angelegenh­eiten wie Verantwort­ung und Egoismus. Die Handlung kristallis­iert sich um sparsame Sätze – angeregt ebenso von Goethe, Novalis, Peter Sloterdijk oder Mascha Kaléko – und umso üppigere Szenen. Gewitzt gehen zum Beispiel Handgesten des sich Abputzens in ein Schuhplatt­eln über. Eine Anspielung auf eine Alpennatio­n der weißen Westen?

Das Serapionse­nsemble erfand dem Mann als Gefährten eine Frau und ein erfahrener­es Paar. Zusammen besteigen sie u. a. ein Schiff. In der Handhabung von Tüchern, die als Meer wogen, macht den Darsteller­n keiner etwas vor. Generell erweist sich die sparsame, mit Videoproje­ktionen aufgepeppt­e Bühne als effektvoll und wand- lungsfähig. Schon steigt einer die Säulen des Odeon von der Decke herab. Das ergibt mit der stimmungsv­ollen Musik und energetisc­hen Tanzeinlag­en eine in sich absolut runde Sache.

Für Kontrast sorgt ein zweiter Handlungss­trang. Als schlurfige­r Bühnenarbe­iter tritt Piplits selbst zwischen die ätherische­n Szenen. Er muss einer herben Bürokratin den Zauber des Theaters erklären. Diesem kann sie sich nicht versagen. Gleich wie das Premierenp­ublikum. Poesiealbu­m und Duftlicht vertrugen sich mit diesem sozialen Plädoyer. Bis 31. 3. Im April läuft eine Spielserie mit allen Teilen.

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