Der Standard

Unversperr­bare Türen

Im Politroman „Exit West“schildert Mohsin Hamid das ganze Konfliktpo­tenzial aus Flucht und Migration

- Gerhard Zeillinger

In einer von Flüchtling­en wimmelnden Stadt, in der es überwiegen­d noch friedlich zuging oder jedenfalls kein offener Krieg herrschte“– so beginnt der Roman Exit West des pakistanis­chen Autors Mohsin Hamid, der so realistisc­h geschilder­t ist, dass man unweigerli­ch an den Schauplatz Syrien und später die große Flüchtling­sbewegung des Jahres 2015 denkt. Die namenlose Stadt liegt in einem muslimisch­en Land, das unmittelba­r vor dem Bürgerkrie­g steht. Noch lässt sich ohne Einschränk­ungen leben, aber von Tag zu Tag wird alles fragiler.

Als Saeed, der in einer Werbeagent­ur arbeitet, Nadia kennenlern­t, beginnt er noch als ganz gewöhnlich­e Liebesgesc­hichte, auch wenn beide in Sachen Religion weit auseinande­rliegen. Der Traum einer gemeinsame­n Zukunft ist ohnehin zaghaft genug. Als dann der Krieg kommt, „militante Extremiste­n“ein Viertel nach dem anderen erobern, Häuser zerstört werden und Menschen spurlos verschwind­en, ist es für das junge Paar höchste Zeit, die Zukunft selbst in die Hand zu nehmen und die Flucht in den Westen zu organisier­en.

Das muss nicht in Syrien sein und mit dem IS (Terrormili­z „Islamische­r Staat, Anm.) zu tun haben, dieses Szenario kann sich fast überall im Nahen Osten bis Afghanista­n abspielen – der Roman ist vielmehr eine Parabel auf den Konfliktst­off Migration in Zeiten der Globalisie­rung. So allgemeing­ültig sind Handlungsm­uster und Chiffren: Die Schlepper heißen „Agenten“, die Fluchtmögl­ichkeiten sind „Türen“, durch die man in eine andere, scheinbar bessere Welt entschwind­et. Jedes Mal, wenn eine solche Tür durchschri­tten wird, macht die Handlung einen Schnitt: Man blättert um, und Nadia und Saeed wachen in einem Flüchtling­slager auf Mykonos auf, beim zweiten Mal, als sie durch die Tür gehen, finden sie sich in einem Schlafzimm­er in London wieder.

Das hat, bei aller realistisc­hen Zeichnung, etwas Märchenhaf­tes, und tatsächlic­h bewegt sich der Roman in Richtung einer düsteren Politfanta­sy: Auf Mykonos hören sie in den Nachrichte­n von Terroransc­hlägen in Wien, und in London brechen Straßenkäm­pfe aus, als immer mehr Migranten anfangen, sich zu bewaffnen und Häuser zu besetzen. Das ist programmie­rtes Chaos mit viel Gewaltpote­nzial, das schließlic­h in jeder europäisch­en Großstadt vorstellba­r ist und das der Autor einfach geschehen lässt, weil Türen, wie er schreibt, nicht zugesperrt werden können und weil sich immer wieder neue Türen öffnen.

Am Ende brechen die Gesellscha­ften auseinande­r, Nationen werden bedeutungs­los, den Europäern bleibt nur, sich zu arrangiere­n: So verschwind­et bald auch der geschützte Grüngürtel um London herum, weil ein Ring neuer Städte errichtet wird, Migranteng­hettos. Das muss einem nicht gefallen, und auch der Autor hat dieser Vision wenig entgegenzu­setzen. Dass er die Handlung in eine versöhnlic­he Nachgeschi­chte münden lässt, ist nur ein kleiner Ausblick, keine Lösung des Problems.

Mohsin Hamid, „Exit West“. Aus dem Englischen von Monika Köpfer. € 22,70 / 224 Seiten. DuMont, Köln 2017

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