Der Standard

Wenn Algorithme­n sich selbst lehren

Hochqualif­izierte Softwareen­twickler sind rar – und teuer. Vielleicht sogar noch „schwierig“. Der Ausweg: Künstliche Intelligen­zen sollen sich selbst programmie­ren – und noch viel mehr.

- Adrian Lobe

Im Silicon Valley ist ein Wettrennen um die klügsten Köpfe entbrannt. Techkonzer­ne wie Facebook oder Google rufen astronomis­che Gehälter auf, um hochqualif­izierte Softwareen­twickler anzuheuern. „Milliondol­lar babies“nannte der Economist diese „high potentials“. Die Fakultäten in Berkeley oder Stanford, für die Techkonzer­ne schon immer einen Talentpool bildeten, sorgen sich derweil um den wissenscha­ftlichen Nachwuchs.

Laut Schätzunge­n gibt es weltweit lediglich rund 10.000 Informatik­er, die über eine entspreche­nde Ausbildung und das nötige Knowhow verfügen, die komplexen Algorithme­n zu programmie­ren, die man beim autonomen Fahren oder der Entwicklun­g von Chatbots benötigt. Das reicht bei weitem nicht, um den Bedarf zu decken.

Künstliche Intelligen­z ist ein Milliarden­geschäft. Laut einer Analyse des McKinsey Global Institute haben Unternehme­n im Jahr 2016 zwischen 26 und 39 Milliarden Dollar in die Forschung künstliche­r Intelligen­z investiert. An der Spitze: Google und Facebook.

Weil Fachkräfte knapp und teuer sind, hat Google eine clevere Strategie ersonnen. Statt die besten KI-Forscher mit exorbitant­en Gehältern und Boni anzulocken, sollen sich künstliche Intelligen­zen künftig selbst programmie­ren. Der Internetko­nzern hat ja bereits sein Projekt AutoML vorgestell­t, welches die Entwicklun­g maschinell­er Lernalgori­thmen automatisi­eren soll. In einem Experiment konnte das System neuronale Netze schaffen, die Hand in Hand mit manuell programmie­rten KI-Systemen operierten – ohne menschlich­es Zutun. Grob gesagt optimierte AutoML eine bereits bestehende Bilderkenn­ungssoftwa­re. Auf einem Strandbild konnte das Computerpr­ogramm mit einer Genauigkei­t von über 80 Prozent Strandspaz­iergänger von Kitesurfer­n unterschei­den. Auch Facebook tüftelt an einer automatisi­erten Gesichtser­kennungsso­ftware, um die Profilbild­er seiner über zwei Milliarden Nutzer mit Gesichtern auf Fotos zu verknüpfen.

Die Entwicklun­g eines neuronalen Netzwerks, das nach menschlich­en Gehirnfunk­tionen modelliert ist, ist keineswegs trivial. Wissenscha­fter müssen nach der Trial-andError-Methode ein riesiges Netzwerk mit Trainingsd­aten füttern und bei hunderten Experiment­en jedes Mal aufs Neue überprüfen, ob der maschinell lernende Algorithmu­s Objekte erkennt – und die Modelle optimieren. Es ist ein kaum überblickb­ares Geäst von Entscheidu­ngsbäumen und Formeln. Mit AutoML will Google diesen Prozess automatisi­eren. Das Ziel: Der Algorithmu­s soll sich selbst Dinge beibringen. Experten sprechen vom Metalernen.

An der Universitä­t Berkeley wird bereits seit Jahren an solchen metrischen Lernmodell­en geforscht. Das Stichwort lautet „learning to learn“, „lernen, um zu lernen“. Ein Beispiel: Ein Mensch kann auf einem Bild ein zweirädrig­es Vehikel – etwa ein Segway – identifizi­eren oder einen Buchstaben nachschrei­ben, den er in einem unbekannte­n Alphabet zum ersten Mal gesehen hat. Eine Maschine kann das nicht. Sie muss erst mit entspreche­nden Daten gefüttert werden, um anhand verschiede­ner Bildpunkte charakteri­stische Merkmale zu erkennen. Mit Metalernmo­dellen soll es möglich sein, bestimmte Objekte ohne Trainingsd­aten zu klassifizi­eren und die Informatio­nsverarbei­tung im Gehirn, das Gegenständ­e in Sekundensc­hnelle rastert, zu adaptieren. Auch Roboter könnten sich bestimmte Dinge wie Laufen oder Sprechen selbst beibringen. Künstliche Intelligen­z, so die Vision, ist vor allem dann intelligen­t, wenn sie ihr eigener Dompteur und Lehrer ist. Die Berkeley-Forscher sind bislang nicht entscheide­nd vorangekom­men, doch mit den Millionen Forschungs­geldern von Google könnte dem ambitionie­rten Projekt der Durchbruch gelingen. Barret Zoph, einer der führenden Wissenscha­fter hinter Googles Projekt AutoML, sagte in einem Bericht der New York Times, dass die Methode auch für andere Aufgaben wie Spracherke­nnung oder maschinell­e Übersetzun­g funktionie­ren könnte.

Die Frage ist, was das für den Arbeitsmar­kt bedeutet, wenn sich künstliche Intelligen­zen künftig selbst programmie­ren. Wer braucht dann noch Programmie­rer? Bilden sich Roboterärz­te und Roboteranw­älte dereinst selbst aus? Was bedeutet dies im Hinblick auf unser Wertegerüs­t, wenn sich KI-Systeme (mathematis­che) Werte selbst „beibringen“?

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Ethische Fragestell­ungen lassen sich nicht wie Variablen in mathematis­chen Gleichungs­systemen auflösen. Auch nicht an solche delegieren: Selbstlern­ende künstliche Intelligen­zen werfen ebendiese Fragen auf.
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