Überwachungstechnologie lässt China boomen
Chinas Führung will die Bevölkerung künftig noch stärker überwachen. Mit viel Geld und Aufwand wird die Forschung im Bereich des Gesichtsscannings vorangetrieben. Das hilft auch der Wirtschaft – wie nachhaltig, ist freilich die Frage.
In den Ostbahnhof von Mittelchinas Provinzhauptstadt Zhengzhou scheint die Sonne nicht hinein. Dennoch stehen seit Anfang Februar an seinen vier Eingängen Frauen und Männer der Bahnpolizei mit schicken Sonnenbrillen auf den Nasen. Ihre unauffälligen Smartgläser sind der Google-Internetbrille nachempfunden, aber mit Gesichtserkennungssoftware ausgestattet – in China entwickelt, versteht sich. Denn Google baut diese Technologie zum Schutz der Privatsphäre in seine Brillen nicht ein.
Noch von fünf Metern Distanz aus können die chinesischen Brillen verwertbare Gesichtsprofile von Reisenden erstellen. Die Aufnahmen gehen sofort an die polizeiliche Datenbank, zur Abgleichung mit dort bereits gespeicherten Bildern. Im Nu würden die Beamten vor Ort über ihre Kopfhörer informiert, wenn Personen verdächtig sind. Dann scannen sie mit ihrem Smartphone den Personalausweis zur weiteren Überprüfung durch die Datenbank ein.
170 Millionen Kameras
Das alles dauert nur wenige Minuten, und chinesische Medien beschreiben voll Stolz die jüngsten technologischen Fortschritte der Pekinger Führung zur Überwachung ihrer Bevölkerung. China gehört inzwischen zu den weltweit führenden Nationen, wenn es um elektronische Gesichts-, Stimm-, oder Körperhaltungserkennung geht. Aber auch um Verkehrs-, Gebäude- und Straßenüberwachung mit mehr als 170 Millionen Videokameras, um die Vernetzung von Datenbanken mit den Computern der Grenzbehörden oder um die Erfassung von 9,2 Millionen Chinesen, die auf der schwarzen Liste der Kreditschuldner stehen.
Auf seine Brillen ist Peking besonders stolz. Die Onlineseite der
Volkszeitung veröffentlichte die Nachrichten über die ausgereifte Technologie am 5. Februar. Sieben mit Haftbefehl wegen Fahrerflucht und Kidnapping gesuchte mutmaßliche Kriminelle wurden im Bahnhof Zhengzhou dank der Brillen festgenommen, 35 Personen mit falschen Personalausweisen erwischt.
Die neuentwickelte Gesichtserkennungstechnologie zog in nur drei Jahren in den chinesischen Alltag ein und ist zugleich auch einer der Bausteine im Zukunftsplan der chinesischen Partei. Sie will die Gesellschaft kontrollieren und zugleich für stabile wirtschaftliche und politische Verhältnisse sorgen können. Es ist der alte Traum jeder Diktatur, den sich Peking, neben seinem gigantischen Polizeiapparat, mithilfe der neuen Technologie erfüllen will.
Es gibt dafür einen Zeitplan, den der Staatsrat 2014 erließ. Bis 2020 sollen alle Bürger in ein Bewertungssystem integriert sein, das ihr Sozialverhalten, ihre Kreditwürdigkeit, ihr moralisches Verhalten und ihre staatsbürgerliche Rolle mit Punkten benotet. In zwei Ausführungsdokumenten steckte der Staatsrat den rechtlichen Rahmen zur Einführung des weltweit noch nie versuchten Experiments weiter ab. Seit 2015 werden Pilotprojekte in 43 chinesischen Städten getestet, wie in der Shandonger Küstenstadt Rongcheng, wo das Sozialkreditsystem zur individuellen Bewertung von mehr als 600.000 Einwohnern Wirklichkeit geworden ist.
Dazu gehören auch alle Überwachungstechniken, die bereits in ungezählten Anwendungen erprobt werden. Neben Polizei und Militär, die sicherheitsrelevante Interessen im Sinn haben, sind Chinas privatwirtschaftliche ITTechnologie-Giganten zu Vorreitern und Gehilfen der praktischen Umsetzung geworden. Darunter fallen die jeweils von mehr als einer halben Milliarde chinesischen Kunden genutzten E-Commerce-Portale Alibaba mit der „Ant Financial“-Gruppe und dem Smartphone-Bezahlsystem Alipay und die Tencent-Gruppe mit dem Whatsapp-ähnlichen Kurznachrichtendienst Wechat und dem Bezahlsystem Wepay. Nur mit einem Blick lassen sich etwa heute schon Mahlzeiten in Imbissen mit Gesichtserkennung bestellen und bezahlen, Geld bei Banken abheben, Flug- und Bahntickets buchen.
Kontrolle von Minderheiten
Nicht alles ist so harmlos. Peking nutze die neuen Gesichtserkennungstechniken testmäßig schon zur Kontrolle der muslimischen Minderheiten in der Unruheprovinz Xinjiang, berichtete etwa die Nachrichtenagentur Bloomberg.
2015 verlangte das Ministerium für öffentliche Sicherheit, China zum Weltführer in Gesichtserkennungstechnologien zu machen, berichtete die Hongkonger South
China Morning Post. Ziel sei, jeden der mehr als 1,3 Milliarden Chinesen über die neuen Technologien innerhalb von „drei Sekunden überall identifizieren zu können“.
Dazu sind gigantische Datenmengen über alles und jedes nötig, von der Sammlung von Fingerabdrücken bis zur Speicherung von Stimm- oder DNA-Proben. Doch eine öffentliche Debatte über den Schutz der Privatsphäre vor der Gefahr ihres Missbrauchs findet nur statt, wenn der Staat gegen seine privatwirtschaftlichen IT-Konkurrenten wie Tencent und Alibaba vorgeht. Gerade untersagte denen die Zentralbank, eigene Kreditbewertungssysteme über ihre Kunden aufzubauen. Pekings Planer verraten dagegen nicht, wie sie aus ihren vielen Datenbanken eine gigantische Cloud zur 2020 geplanten gesamtgesellschaftlichen Bewer-
tung und Überwachung machen wollen.
Ein solcher Aufwand an technologischer Überwachung kommt nicht ohne Forschung und Entwicklung aus. In den letzten Jahren wird hier zielgerichtet investiert. Die enormen Investitionen in Überwachungstechnologien, künstliche Intelligenz und Gentechnik samt dem Anspruch der Weltmarktführerschaft im Wissenschaftsbereich nehmen immer größere Dimensionen an.
Triebfeder für Forschung
Ein Blick auf die Liste der „Highly Cited Researchers“, der meistzitierten und damit einflussreichsten Wissenschafter, zeigt die Dynamik. Im aktuellen Ranking von vergangenem November ist die Zahl der chinesischen Wissenschafter allein gegenüber dem Vorjahr um mehr als ein Drittel gestiegen. China hat zu den traditionellen Forschungsnationen USA und Großbritannien aufgeschlossen und liegt nun auf Rang drei. In einzelnen Bereichen, wie dem Ingenieurwesen, führt das Land mit Abstand, in Computer- und Materialwissenschaften liegt es auf dem zweiten Platz weltweit. Auch in der Physik steigt der Output rasant an, bei Nanotechnologie, den Neuro- und Lebenswissenschaften ist die Aufholjagd längst im Gange.
Das stoppt auch den Braindrain der vergangenen Jahrzehnte. In China erwartet Studenten und Studentinnen insbesondere in den Naturwissenschaften mittlerweile eine Forschungssituation, von der etwa die Uni Wien in puncto Budgets, Geräte- und Personalausstattung nur träumen kann. Kehrte vor rund zehn Jahren nur ein Drittel aller chinesischen Auslandsstudenten zurück, sind es mittlerweile rund 80 Prozent. Renommierte Wissenschafter wie etwa der Physiknobelpreisträger ChenNing Yang legten ihre US-Staatsbürgerschaft zurück, um fortan wieder in der Heimat zu forschen. Auf der anderen Seite profitieren Topforscher wie der österreichische Quantenphysik-Pionier Anton Zeilinger, die eng mit der chinesischen Akademie der Wissenschaften zusammenarbeiten, von dem hervorragenden (finanziellen) Umfeld in China.
Allein die schieren Zahlen lassen erahnen, mit welcher Wucht das wissenschaftliche Potenzial Chinas die internationale Forschungslandschaft umwälzen wird: 2014 waren in der Volksrepublik bereits 42 Millionen Chinesen an Universitäten eingeschrieben, in Europa 20 Millionen. 2017 schloss eine Rekordzahl von acht Millionen das Studium ab. Die weltweit größte Hochschulnation investiert massiv in Unis, Bibliotheken und Forschung.
Investition und Kontrolle
Auch wenn sich das Wachstum in den letzten Jahren eingebremst hat – die Budgets für Forschung und Entwicklung steigen stetig. 2016 wurden laut dem Amt für Statistik 1,57 Billionen Yuan dafür ausgegeben (201 Milliarden Euro), das sind 2,1 Prozent des BIP – mehr als im EU-Durchschnitt. Allerdings geht die akademische Öffnung Hand in Hand mit verstärkter inhaltlicher Kontrolle. Seit Xi Jinpings Antritt als Parteichef 2012 weht Wissenschaftern ein kälterer Wind entgegen. „Es gibt Einschränkungen, was unterrichtet und was publiziert werden darf“, sagt Susanne WeigelinSchwiedrzik, Sinologin an der Uni Wien. Das betrifft insbesondere die Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften. Die eingeschränkte wissenschaftliche Freiheit tut den Anstrengungen, den Weltmarkt in kürzester Zeit mit künstlicher Intelligenz, Elektroautos, Drohnen und Supercomputern zu erobern, keinen Abbruch.
„Da sind die Chinesen eben