Wiens Grüne gegen Ludwig-Plan
Mindestsicherung: SP-Vorschlag sei „Verschlechterung“
Wien – Die vom designierten Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) überlegte Wartefrist bei der Mindestsicherung für zugezogene Bezieher wird es mit dem grünen Koalitionspartner nicht geben. Das kündigte Klubchef David Ellensohn im STANDARD- Interview an. „Mit uns gibt es keine Verschlechterungen bei der Mindestsicherung“, sagte er.
Beim völlig aus dem Ruder gelaufenen Milliardenprojekt Krankenhaus Nord fordert Ellensohn eine eigene Aufklärungsgruppe innerhalb der rot-grünen Stadtregierung. Diese soll unabhängig von einer möglichen U-Kommission eingerichtet werden.
Während sich die Grünen in Wien weitgehend sicher in der Politik verankert fühlen, müssen sie auf Bundesebene einen kompletten Neustart hinlegen. Am Samstag fand in Wien ein Kongress zur Zukunft der Grünen statt, bis ins Jahr 2019 soll der Erneuerungsprozess der „neuen Grünen“abgeschlossen sein. (red)
Wien – Es ist ein bisschen so wie zu Beginn der 1980er-Jahre. Einige Menschen, denen es ein Anliegen ist, dass Grüne im Parlament sitzen sollen, treffen sich, um die Inhalte zu besprechen, mit denen die Grünen das schaffen könnten. Ja, da gibt es schon Unterschiede: Man sitzt nicht mehr in irgendwelchen Gasthäusern, im Amerlinghaus oder im Albert-Schweitzer-Haus, sondern ist zu Gast im Katamaran, dem Sitz des Gewerkschaftsbunds.
Man hat auch viel mehr Professionalität, hat Abgeordnete aus Landtagen mit dabei, Regierungsmitglieder sogar – Rudi Anschober zum Beispiel, seit über 14 Jahren Mitglied der oberösterreichischen Landesregierung.
Fünf verlorene Jahre
Am Rand des Treffens „Grüne Zukunft“, zu dem die Parteiakademie „Grüne Bildungswerkstatt“eingeladen hat, erinnert sich Anschober an diese alten Zeiten, zieht Vergleiche, tröstet sich damit, dass man nicht ganz am Anfang steht – „aber realistischerweise muss man sagen, dass wir fünf Jahre verloren haben“.
Fünf Jahre, in denen die Grünen nicht im Nationalrat sitzen; fünf Jahre, in denen sich viel von der rund um die parlamentarische Arbeit aufgebauten Kompetenz wieder verlaufen wird. Fünf Jahre auch, in denen sich erst herauskristallisieren muss, mit wem die Grünen bei einer nächsten Nationalratswahl antreten werden – eine Führungspersönlichkeit ist weit und breit nicht zu sehen.
Das war vor 35 Jahren anders, da gab es eher zu viele grüne Galionsfiguren: etwa den engagierten Atomkraftgegner Alexander Tollmann, die kommunalpolitisch erfolgreichen Ur-Grünen Josef Buchner und Herbert Fux, auf der mehr links-alternativen Seite auch die Ökonomin Andrea Komlosy und die Feministin Erica Fischer. Bei der Nationalratswahl 1983 sind sie alle gescheitert, in den Jahren danach (in die die Hainburg-Beset- zung gefallen ist) haben sich alle möglichen Gruppen um Promis wie Günther Nenning und Freda Meissner-Blau, um Gerhard Heilingbrunner und Doris PolletKammerlander, um Peter Pilz und Johannes Voggenhuber gesammelt, haben viel gestritten, haben fraktioniert und wieder zusammengefunden und 1986 den Einzug in den Nationalrat geschafft.
Jetzt also geht es um den Wiedereinzug in den Nationalrat – wann immer die Wahl auch stattfinden soll. Und man wird nicht so antreten können, wie sich die Grünen derzeit darstellen. Von den vorher genannten Personen gibt es ja nicht einmal mehr den Peter Pilz in den grünen Reihen.
Auch Bundessprecher Werner Kogler macht am Samstagnachmittag zu Beginn des Kongresses klar, dass man fast bei null beginnen muss: „Wie legen wir das an?“, fragt er mit routiniert gespielter Unsicherheit. Aber die eigentliche Diskussion soll ja erst in den „Fishbowls“kommen – Debattierrunden im Sesselkreis, ein bisserl zivilisierter und organisierter halt als die verrauchten Debatten vor drei Jahrzehnten.
Zuerst gibt der Parteivorsitzende noch ein paar Denkanstöße. Gerade die nicht konsensfähigen Themen aufs Tapet und zur Diskussion nach innen und außen zu bringen, das sei Aufgabe der Grünen: „Wir sind immer eine plura- le Partei gewesen.“Kogler spricht vom historischen Versagen der Grünen bei der Nationalratswahl, gerade jetzt, wo sie doch so gebraucht würden. Aber jetzt müsse man eben auch in die Zukunft schauen, die ökologische und die soziale Frage aktualisiert stellen, am besten auch die ökonomische Systemfrage.
In den fünf Kleingruppen, in die die 350 Gäste (zum überwiegenden Teil nicht aus der grünen Funktionärsschicht, sondern aus dem weiteren Sympathisantenkreis) nach dem Zufallsprinzip eingeteilt wurden, werden ebenfalls mehr Fragen aufgeworfen als Ziele definiert. Aber immerhin kristallisiert sich die Selbstkritik heraus, dass die Grünen die Lebensinteressen ihrer potenziellen Wähler nicht mehr ansprechen – oder sich nicht anzusprechen trauen, weil sie sich der „richtigen“, auf moralische Sauberkeit abgeklopften Antworten nicht mehr gewiss sein können.
Die Wiener Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou, beim Kongress nur als einfaches Mitglied im Sesselkreis, bringt es auf den Punkt: „Wir sind konfrontiert mit der Vernichtung der Mittelschicht, das sind unsere Wähler. Und was haben wir getan? Das Problem ist, dass wir nix gesagt haben.“