Ein Fluss mit Persönlichkeitsrechten
Moremi Zeil untersucht die Folgen des neuen Rechtsstatus für den Río Atrato
Dass nicht nur einzelne Personen, sondern auch Vermögensmassen Rechtssubjekte sein können, ist bekannt. Relativ neu ist dagegen der Umstand, dass auch Flüsse als mit Rechten ausgestattete Subjekte behandelt werden können. Erst 2017 wurden dem Ganges in Indien, dem Whanganui in Neuseeland und zuletzt dem Río Atrato in Kolumbien der Status eines Rechtssubjekts und damit Persönlichkeitsrechte zugesprochen. Am Anfang der Rechtssubjektwerdung des Río Atrato stand ein Rechtsstreit zwischen den indigenen Gemeinden, die am und vom Fluss leben, und dem Nationalstaat. „Auslöser war die jahrzehntelange Untätigkeit der Behörden angesichts des illegalen Gold- und Platinabbaus, durch den der Fluss massiv verschmutzt wurde“, erklärt der Geograf Moremi Zeil. „Schließlich klagten die Gemeinden über eine NGO den Staat.“
Zweimal wurde die Klage abgewiesen, im dritten Anlauf aber wurde der Fluss zum Rechtssubjekt erhoben. Zurzeit befindet sich Moremi Zeil in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá, um die Hintergründe dieser aufsehenerregenden Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zu erkunden. „In Gesprächen mit Juristen und NGO-Mitarbeitern möchte ich herausfinden, wie es überhaupt zur Wahrnehmung des Flusses als Rechtssubjekt kom- men konnte“, so der 30-jährige Sohn zweier Experten in der Entwicklungszusammenarbeit, dessen exotischer Name an mehrere Jahre Botswana erinnert. „Außerdem interessiert es mich, wohin diese Entscheidung führt und ob sich der Schutz des Flusses damit leichter umsetzen lässt.“Auch die philosophische Dimension dieser Statusänderung beschäftigt den in der Nähe des Chiemsees aufgewachsenen Geografen. „Indem man einem Fluss Subjektivität zuspricht, entzieht man ihn der Sphäre der Natur“, sagt er.
„Damit ändert sich aber auch unser traditionelles Konzept von Natur, das bisher auf einer Trennung von der menschlichen Sphä- re beruht.“In der neuen Sichtweise spricht der Fluss quasi für sich selbst. Wie das funktioniert? „Indem man sogenannte Hüter des Flusses einsetzt, also natürliche Personen, die für die juristische Person – den Fluss – sprechen.“Diese Hüter sind Vertreter indigener und afrokolumbianischer Gemeinden sowie des Staates.
Anfang März kehrt Moremi Zeil wieder ans Geografieinstitut der Uni Klagenfurt zurück, wo der Enkel eines Geologen und Sohn eines Geophysikers nach seinem Studium in Bonn und Bayreuth seit 2016 als Assistent arbeitet und an seiner Dissertation feilt. Für diese wird es dann frisches Material geben: „In meiner Arbeit geht es um das Verhältnis von Mensch und Natur, das sich gegenwärtig ja in einer tiefgreifenden Umbruchphase befindet“, so Zeil. Das spiegle auch die Gerichtsentscheidung bezüglich des Río Atrato wider. „Wir leben längst im Zeitalter des Anthropozän“, ist er überzeugt. In einer „Menschenzeit“also, in der die Trennlinie zwischen Natur und Mensch immer brüchiger werde. Nach zwei Monaten in Bogotá wird die Feldforschung für Moremi Zeil aber noch nicht zu Ende sein: Im Sommer geht es nämlich noch einmal nach Kolumbien, diesmal aber direkt an den Fluss ins pazifische Tiefland: in eine umkämpfte Gegend, in der noch immer bewaffnete Gruppen für das Recht des Stärkeren sorgen. ist generell sauerstoffärmer als kaltes Nass. Die diversen Spezies haben sich daran angepasst. Die Bachforelle (Salmo trutta fario) ist der Leitfisch der obersten Gewässerregionen. Sie benötigt hohe Sauerstoffkonzentrationen und fühlt sich bei circa 14 Grad am wohlsten. Weiter stromabwärts, wo die Temperaturen auch unter natürlichen Bedingungen schon etwas angestiegen sind, liegt die Heimat der Äsche (Thymalus thymalus), die später wiederum von der Barbe (Barbus barbus) abgelöst wird. Eine solche Zonierung gibt es allerdings nicht für Fische.
Das meiste wirbellose Getier hat ebenfalls temperaturbedingte Habitatpräferenzen. Die Köcherfliege (Drusus monticula) zum Beispiel bewohnt die Quellregion der Pinka, wo das frisch aus dem Boden sprudelnde Wasser nur acht Grad hat. Ihre Verwandten aus derselben Gattung mögen es wärmer und haben ihre Nischen weiter flussab. Die Temperatur ist somit ein bestimmender Faktor für die Biodiversität.
Schlechte Prognose
Der Klimawandel könnte diese Lebensraumverteilung aus dem Lot bringen, und die Gewässer hierzulande scheinen davon besonders bedroht zu sein. Laut Prognosen des nationalen Klimarats APCC (Austrian Panel on Climate Change) könnte die durchschnittliche Lufttemperatur in Österreich bis zum Ende des Jahrhunderts um 3,5 Grad steigen – dies im Vergleich zur Referenzperiode 1961 bis 1990. Das würde sich logischerweise auch unterhalb des Wasserspiegels auswirken. Wenn es zu warm wird, müssten sich ganze Tierpopulationen neue Lebensräume suchen. Ist dies nicht möglich, droht das Aussterben – eine düstere Perspektive.
Das Boku-Team hat sich der Thematik angenommen und den Wärmehaushalt der Pinka genauer analysiert. Der Fokus lag dabei auf dem Sommerhalbjahr. Man fütterte ein Energiebilanz- und ein Hydraulikmodell mit den Werten einer großangelegten Messkampagne.
Anschließend speisten die Forscher die Daten von Vorhersagen für zukünftige Extremereignisse ein. Bis 2100 könnten in Ostösterreich regelmäßig Hitzephasen mit Tagesmaxima von 39 Grad und mehr eintreten.
Das Modell enthält auch detaillierte Informationen über die aktuell vorhandene Vegetation entlang der Pinka. Wie bereits erwähnt, sind vor allem Baumschatten in der Lage, die Wassererhitzung zu bremsen. Dem Modell zufolge ist die direkte Sonneneinstrahlung für ungefähr zwei Drittel der Erwärmung zuständig, den Rest besorgen die langwellige Abstrahlung aus der Umgebung und der Oberflächenaustausch mit der Luft. Die Beschattung hat somit ein beachtliches Kühlungspotenzial.
Schützende Wirkung
Um die schützende Wirkung ausladender Baumkronen genauer unter die Lupe zu nehmen, setzen die Wissenschafter verschiedene Bewuchsszenarien in ihr Modell ein. Erwartungsgemäß zeigten diese Simulationen deutliche Unterschiede auf: V0-Bereiche, das bedeutet komplett kahle Uferbereiche, würden die Wassertemperaturen bei zukünftigen Hitzewellen um mehr als vier Grad ansteigen lassen. Ein geschlossener, durchgängiger Baumbestand (V100) dagegen wäre bereits jetzt in der Lage, die hochsommerliche Erwärmung der Pinka zu senken – im Tagesmaximum sogar um 2,2 Grad. Die detaillierten Untersuchungsergebnisse wurden kürzlich im Fachjournal Hydrology and Earth System Sciences (Bd. 22, S. 437) veröffentlicht.
Unter den momentanen Rahmenbedingungen dürften der Tierwelt der Pinka und anderen österreichischen Flüssen schwierige Zeiten bevorstehen. In schwer beeinträchtigten Gewässern dürfte das Thermometer irgendwann 28 Grad zeigen. Das wäre für einige Arten ein Todesurteil. Ufernahe Baumpflanzungen jedoch würden die Auswirkungen des Klimawandels deutlich abmildern, wie Heidelinde Trimmel betont.
Zwar könnten sie die zukünftige Wassererwärmung nicht vollständig stoppen, aber immerhin um ein bis zwei Grad senken. Zusätzliche Wirkung ließe sich womöglich durch großflächige Wiederbewaldung erzielen. „Es ist für beinah jedes Klimasystem besser, wenn es mehr Wald hat“, schließt Trimmel.