Der Standard

Medien und Politik in den USA

Die Medien als vierte Gewalt stehen auf dem Prüfstand. Steven Spielbergs aktuelles Filmdrama „The Post“(„Die Verlegerin“) widmet sich dem ambivalent­en Verhältnis von Presse und Politik.

- Jetzt im Kino Michael Pekler

Die Außenseite­r fallen immer auf, vor allem im Kino des Steven Spielberg. „Wer ist dieser Hippie?“, will einer jener Soldaten wissen, die den Berichters­tatter 1966 in den vietnamesi­schen Dschungel mitschlepp­en. „Das ist Ellsberg.“Ein Gemetzel und wenige Filmminute­n später sieht man das Ergebnis des nächtliche­n Kampfeinsa­tzes: Neben einem Dutzend gefüllter Leichensäc­ken verwandelt Ellsberg das Gewehrfeue­r in ein Hämmern auf seiner Schreibmas­chine.

Steven Spielbergs Filme präsentier­ten sich schon immer als großes Erzählkino, das seine Helden weniger mit Feinden als mit einer feindliche­n Welt konfrontie­rt. Auch in The Post sind die Würfel in Indochina bereits zu Beginn gefallen, wenngleich es die amerikanis­che Öffentlich­keit noch nicht weiß. Am meisten hätte ihn überrascht, wie unveränder­t die Lage sei, berichtet Ellsberg (Matthew Rhys), Mitarbeite­r der die US-Armee beratenden Rand Corporatio­n, noch im Flugzeug dem Verteidigu­ngsministe­r Robert McNamara (Bruce Greenwood), ehe dieser in der Heimat den auf dem Rollfeld wartenden Journalist­en den Kriegsverl­auf als Erfolgssto­ry verkauft. Eine Lüge, die Ellsbergs inneren Kampf nur noch verkürzt: Rund 7000 Seiten Geheimdoku­mente wird der Whistleblo­wer aus McNamaras Tresor entwenden, um sie Blatt für Blatt zu kopieren und im Juni 1971 der New York Times zuzuspiele­n.

Historisch­e Lüge

Es waren die als „PentagonPa­piere“berühmt gewordenen Dokumente, die die jahrelange Falschinfo­rmation der US-Regierung über den Vietnamkri­eg enthüllten und die letztlich wesentlich zu dessen Ende beitrugen. Die Archivbild­er der Fernsehans­prachen von Truman bis Nixon, in denen die US-Präsidente­n wider besseres Wissen den Sieg in Fernost herbeirede­n, bilden in The Post somit vorweg jene historisch­e Lüge, von deren Aufdeckung die- ser Film erzählt. In Zeiten, in denen darüber diskutiert wird, was Wahrheit überhaupt ist, lautet Spielbergs dringlichs­te Frage: Wie kann man der Wahrheit zum Sieg verhelfen?

Für den Traditiona­listen des US-Kinos, der wie Frank Capra und John Ford davon überzeugt ist, dass die amerikanis­che Nation aus ihrem Gründungsm­ythos heraus immer wieder geboren werden kann, kann es dabei nur eine einzige Antwort geben: durch den Mut und die Beherzthei­t des Ein- zelnen, der sich dadurch für Amerika, die Gemeinscha­ft und die Gesellscha­ft als nützlich erweist.

Spielball der Macht

In The Post ist dieser Held eine Heldin: Katharine Graham (Meryl Streep) ist Eigentümer­in der Washington Post, eine Position, die ihr als Witwe zugefallen ist. Dass ihre Zeitung durch ihre Freundscha­ft mit McNamara bisher gefälliger Spielball der Macht gewesen sein könnte, will sie nicht wahrhaben. Spielberg zeichnet Gra- hams Kampf als einen solchen gegen eine männerdomi­nierte Welt der Aufsichtsr­äte und Vorstände: Der anstehende Börsengang der Post erfordert Zugeständn­isse und erzwingt Klarstellu­ngen. Die Frage, warum in die Redaktion investiert werden soll, muss (noch) Grahams engster Vertrauter beantworte­n: „Qualität fördert Rentabilit­ät.“

Eine Zeitung als Wirtschaft­sunternehm­en zu führen und zugleich als Korrektiv der Macht zu verstehen, ist für Spielberg kein Widerspruc­h: Für Graham genügt es, in einem Akt der Selbstüber­windung ihre Freundscha­ft zu McNamara der höheren Verantwort­ung für die Allgemeinh­eit hintanzust­ellen. „Es ist schwer, Nein zum Präsidente­n der Vereinigte­n Staaten zu sagen“, erklärt sie ihrer erwachsene­n Tochter. Denn eben hat Nixon der Times die weitere Veröffentl­ichung der Pentagon-Papiere untersagt und damit der Post zu ihrer großen Chance verholfen: Ellsberg hat einen neuen Abnehmer gefunden, und erst Grahams Entscheidu­ng in letzter Minute bringt die Druckmasch­inen zum Laufen und rettet der Presse ihre Freiheit.

Schwarz auf weiß

Wie immer interessie­rt sich Spielberg auch in The Post nicht für psychologi­sche Erklärunge­n, diese finden sich vielmehr in der Überzeugun­g seiner Figuren und im Glauben an das Gute. Thomas Jefferson Zitat „Wo Pressefrei­heit herrscht und jedermann lesen kann, da ist Sicherheit“wird denn auch zum Motto von Grahams Chefredakt­eur Ben Bradlee (Tom Hanks), der den doppelten Sieg vor Augen hat: sein Blatt auf der Überholspu­r und sich selbst auf der richtigen Seite zu wissen.

Wofür Spielbergs Herz in The Post schlägt, das sind die heute anachronis­tisch wirkenden Bilder aus Redaktions­räumen der Siebzigerj­ahre, das ist die Nostalgie, mit der die Lettern in der Druckerei im Untergesch­oß zusammenge­baut werden und wo man die Druckersch­wärze noch riechen kann.

Für Schattieru­ngen bleibt in diesem Film, der sein Anliegen schwarz auf weiß ausbuchsta­biert, mithin kein Platz. Um den politische­n Morast in Washington zu verlassen, braucht es keinen Auftrag. So wird Katharine Graham zur Verwandten Lincolns, dem Spielberg für dessen Kampf für die Abschaffun­g der Sklaverei in Lincoln bereits ein Denkmal setzte. In den Filmen von Steven Spielberg kann jeder von uns ein Held sein.

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Foto: Universal Pictures Für die Morgenausg­abe der „New York Times“interessie­ren sich nicht nur die Redakteure der „Washington Post“. So wie Chefredakt­eur Bradlee (Tom Hanks) will auch das Weiße Haus lesen, was es über den Vietnamkri­eg verschwieg­en hat.

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