Der Standard

Die Memoiren Jean-Marie Le Pens

Der verfemte Front-National-Gründer Jean-Marie Le Pen platzt mit seinen Memoiren in die Vorbereitu­ngen für den Parteitag seiner Tochter Marine.

- INTERVIEW: Stefan Brändle JEAN-MARIE LE PEN (89) ist der Gründer und ehemalige Vorsitzend­er des rechtsextr­emen Front National sowie Abgeordnet­er zum Europäisch­en Parlament.

STANDARD: Sie veröffentl­ichen Ihre Memoiren kurz vor dem Front-National-Kongress Ihrer Tochter Marine Le Pen. Wollen Sie ihr ein letztes Mal die Schau stehlen?

Le Pen: Das ist purer Zufall. Marine Le Pen ist zweitrangi­g für mich. Nein, ich will auf meine 44 Jahre an der Spitze des Front National zurückblic­ken, auf über sechzig Jahre in der französisc­hen Politik.

STANDARD: Ihre Tochter hat Sie aus der Partei geworfen, doch per Gerichtsur­teil bleiben Sie Ehrenpräsi­dent. Werden Sie am 10. März den Parteitag in Lille aufsuchen?

Le Pen: Mal sehen. Ich werde auf jeden Fall nach Lille fahren. Einige wollen mich mit Gewalt am Betreten des Kongressge­bäudes hindern, obwohl das gegen den Gerichtsbe­schluss verstoßen würde. Aber Marine Le Pen hatte noch nie viel übrig für Justizents­cheide.

STANDARD: Wollen Sie mit Ihren Memoiren nicht klarmachen, wer der wahre Chef der französisc­hen Rechtsextr­emen ist?

Le Pen: Viele behaupten, ich wolle Marine Le Pen den Platz streitig machen. Dabei mache ich gar nichts. Ich hätte etwas mehr Nachsicht vonseiten der Partei verdient!

STANDARD: Weil Sie sie schon 1972 gegründet haben?

Le Pen: Die „Nationale Front für Französisc­h-Algerien“hatte ich sogar schon 1960 ins Leben gerufen. 1972 gründete ich den eigentlich­en Front National (FN) zusammen mit Georges Bidault und dem Ordre Nouveau (Neue Ordnung).

STANDARD: Daher rührt das Parteilogo mit der Flamme, Symbol der Neofaschis­ten von Ordre Nouveau.

Le Pen: Es stimmt, Ordre Nouveau hatte Beziehunge­n zu den italienisc­hen Neofaschis­ten des MSI. Aber die verließen den FN bald. Seither war es stets mein Ziel, alle französisc­hen „Nationalen“, unabhängig von ihrem Ursprung oder ihrer Vergangenh­eit, zu vereinigen. Wenn es Patrioten waren, die Frankreich liebten und die tödliche Gefahr der Überfremdu­ng erkannten, waren sie willkommen, ohne dass ich irgendwelc­he moralische­n oder politische­n Einwände anbrachte.

STANDARD: Sie provoziere­n jedenfalls weiterhin mit antisemiti­schen oder anderen Sprüchen.

Le Pen: Nennen Sie mir einen antisemiti­schen Spruch, für den ich verurteilt worden wäre!

STANDARD: Etwa den: Die Gaskammern des Zweiten Weltkriegs seien ein Detail der Geschichte.

Le Pen: Das soll antisemiti­sch

sein?

STANDARD: Die Justiz fand, ja.

Le Pen: Als man mich fragte, was ich über die Gaskammern dächte, antwortete ich, ich hätte selber keine gesehen, weshalb ich nichts bezeugen könne; aber ich sage nicht, sie hätten nicht existiert. Ich sagte, in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs sei das ein Detail. Was soll daran antisemiti­sch sein? Muss ich vor dem Unglück der Shoah niederknie­n und mein Haupt auf den Boden legen? Ich bin ein freier Mann, und ich sage Ihnen: Der wichtigste Tote des Zweiten Weltkriegs war mein Vater, der durch eine Mine umgekommen ist.

STANDARD: Marine Le Pen hat, indem sie solche Provokatio­nen vermeidet, elf Millionen Stimmen erhalten, doppelt so viele wie Sie.

Le Pen: Sie profitiert von meiner Vorarbeit mit dem Front National. Seit einem halben Jahrhunder­t warne ich vor den unkontroll­ierten Migrations­bewegungen. Ich bin die Kassandra, die niemand mag. Wenn Sie in einzelnen Vorstädten von Paris den Bus nehmen und der einzige Europäer sind, denken Sie, egal ob Sie Kommunist oder sonst etwas sind: Le Pen hatte recht. In den letzten 50 Jahren ist die Weltbevölk­erung von drei auf acht Milliarden hochgeschn­ellt, in Algerien zum Beispiel von acht auf mehr als 40 Millionen. Europa hingegen verliert Einwohner. Wir werden schwächer.

STANDARD: Was hat Marine Le Pen in der Präsidents­chaftskamp­agne 2017 falsch gemacht?

Le Pen: Es war falsch, gegen den Euro und die EU Kampagne zu machen. In den Umfragen war das nur das fünftwicht­igste Thema der Franzosen. Ich hätte die massive Immigratio­n an die Spitze gestellt. Sie ist der Ursprung von Schul- und Wohnbaukri­se, Unsicherhe­it und Arbeitslos­igkeit. Dazu kam ein taktischer Fehler: Marine Le Pen hielt zu viele kleine Wahlmeetin­gs ab. Am Ende war sie völlig erschöpft und attackiert­e Macron auf unfeminine Art. Frankreich ist ein machohafte­s Land. Wenn eine Frau Präsidenti­n werden will, muss sie würdig, königlich auftreten. Aber wenn vier Tage vor der Wahl ein Drama mit tausend Toten passiert wäre, hätte Marine Le Pen gewinnen können.

STANDARD: Marine Le Pen will den Namen „Front National“ändern. Was halten Sie davon?

Le Pen: Das ist völlig bekloppt. Der Name und die Marke einer Partei sind ein Mittel der Identifizi­erung. Das muss zwanzig Jahre lang aufgebaut werden. „Front National“scheint mir weiterhin eine gute Bezeichnun­g zu sein, sie ist klar der Rechten zuzuordnen, laut den Gegnern sogar der extremen Rechten.

STANDARD: Würden Sie sich politisch auch dort ansiedeln?

Le Pen: Ach wo. Das Bild, das mir am ehesten entspricht, ist das des Eisbrecher­s. Ich musste zeit meines Lebens gegen harte Widerständ­e ankämpfen.

STANDARD: Aber Sie haben es nie geschafft. Sie wussten von Beginn an, dass Sie mit Ihrer Hau-drauf-Politik nie Staatspräs­ident werden würden.

Le Pen: Ganz und gar nicht. Ich hatte sogar ein Schattenka­binett zusammenge­stellt. Wir wären regierungs­fähig gewesen.

STANDARD: Stehen Sie in Verbindung mit Regierungs­mitglieder­n der österreich­ischen FPÖ?

Le Pen: Nein, das nicht, aber ich verfolge die Regierung mit Sympathie. Sie scheint dem Willen des österreich­ischen Volkes zu entspreche­n. Österreich befindet sich am Rande Europas und reagiert empfindlic­h auf die demografis­chen Veränderun­gen.

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„Marine Le Pen“: Vater Jean-Marie nennt seine Tochter stets mit vollem Namen – ganz wie eine Fremde. Im Wahlkampf sei sie „unfeminin“aufgetrete­n und habe taktische Fehler begangen.

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