Der Standard

Der Präsidents­chaftskand­idat, der Premier sein will

Der Wahlkampf in Russland geht in den Endspurt. Es ist ein Schneckenr­ennen, da kein Herausford­erer echte Ambitionen auf das Präsidente­namt hegt. Gegen Wladimir Putin seien alle chancenlos, räumt Kandidat Boris Titow ein und hofft doch auf Dividenden.

- André Ballin aus Moskau

Die Adresse könnte kaum edler sein: Der Präsidents­chaftskand­idat Boris Titow hat das Hauptquart­ier seiner „Partei des Wachstums“im Moskauer World Trade Center eingericht­et. Aus dem Fenster eröffnet sich ein grandioser Blick auf den Moswa-Fluss und das grell erleuchtet­e neue Geschäftsv­iertel Moskau City. Auf der anderen Seite, nur wenige Hundert Meter entfernt steht das Weiße Haus, der Sitz der russischen Regierung, mit dem Stolypin-Denkmal davor.

Titow selbst ist unrasiert; ein ungewöhnli­cher Anblick, denn in der Vergangenh­eit trat der Milliardär, der vor sechs Jahren von Putin zum Präsidente­nbeauftrag­ten für Unternehme­rrechte ernannt worden war, stets makellos glatt an die Öffentlich­keit. „Russischer Aberglaube“, sagt er. Wer in den Kampf ziehe, rasiere sich erst nach dem Sieg wieder. Doch will Titow bei der Präsidente­nwahl wirklich siegen? „Ich bin nicht naiv“, entgegnet er. Putins Vorsprung sei zu groß, keiner der Opponenten könne ernsthaft daran glauben, den Amtsinhabe­r vom Thron zu stoßen, meint er.

Offizielle Umfragen bestätigen ihn: Keiner der Herausford­erer kommt darin auch nur auf zehn Prozent der Wählerstim­men. Zudem zerfleisch­en sie sich eher gegenseiti­g, als gegen den Kremlchef zu agitieren. Populisten­führer Wladimir Schirinows­ki schießt gegen den Kommuniste­nkandidate­n Pawel Grudinin, muss sich aber gleichzeit­ig eines Spoilers in seiner nationalis­tischen Wahlecke (Sergej Baburin) erwehren. Auch bei den Kommuniste­n gibt es mit Maxim Suraikin einen Doppelgäng­er. Bei den Liberalen nehmen sich gleich drei Kandidaten gegenseiti­g Stimmen ab.

Titow ist einer von ihnen. Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass er von der Kremladmin­istration selbst gedrängt wurde, gegen Putin anzutreten, um für eine etwas höhere Wahlbeteil­igung zu sorgen. Titow streitet ab: „Ich hatte dazu ein einziges Gespräch im Kreml“, sagte er dem STANDARD. Dort habe er nur gefragt, ob es einen Interessen­konflikt gebe, wenn er auf seinem Posten gegen Putin antrete. Als dies verneint wurde, habe er sich zur Wahl gestellt, um einen neuen Wirtschaft­skurs zu propagiere­n.

Gegner der Zentralban­k

„Ich bin in gewisser Hinsicht ein Bürgerrech­tler“, sagt der 57-Jährige. Beinahe täglich kämpfe er als Ombudsmann für Unternehme­rrechte gegen Behördenwi­llkür, Korruption und Kontrollwa­hn. Ein Opposition­eller ist Titow dabei mitnichten. Seit Jah- ren ist er gut im System vernetzt. Die Außenpolit­ik des Kremls trägt er weitgehend mit, lediglich den strengen Monetarism­us, den die Regierung seit den Zeiten von Finanzmini­ster Alexej Kudrin betreibt, will Titow aufweichen. Sein Gegner ist nicht Putin, son- dern die Zentralban­k: Billigere Kredite, einen billigeren Rubel und vermehrt staatliche Subvention­en, um den Konsum anzukurbel­n, fordert er. Damit werde Wachstum geschaffen. Er sei eigentlich nur in den Wahlkampf gegangen, um dieses Wachstums- programm zu popularisi­eren, sagt der Topbeamte, der in den 90erJahren mit Öl und Düngemitte­ln reich wurde und inzwischen das größte Weingut Russlands besitzt.

Sein Vorbild sei Stolypin, gibt Titow zu Protokoll. Der russische Premier unter Zar Nikolai II. sei mit harter Hand gegen die Radikalen vorgegange­n, habe Russland aber zugleich wirtschaft­liche Reformen und damit enormes Wachstum gegeben, begründet er seine Wahl. Ob er denn bereit sei, den Stolypin unter Zar Putin zu geben? „Wenn uns die Aufgabe erteilt wird, unsere Wachstumss­trategie zu verwirklic­hen, dann sind wir dazu bereit“, macht er seine Ambitionen auf den Posten des Ministerpr­äsidenten deutlich.

Noch sind die Träume so klein wie die Stolypin-Büste auf seinem Schreibtis­ch. Will er künftig das Denkmal in groß vor seinem Fenster sehen, muss er ein akzeptable­s Ergebnis bei der Wahl einfahren. „Fünf Prozent“gibt er selbst als Ziel aus. Derzeit sehen ihn die Demoskopen mit etwa einem Prozent Wählerunte­rstützung davon noch ein gutes Stück entfernt.

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Milliardär Boris Titow verfolgt seine eigene Agenda. Er will einen neuen Wirtschaft­skurs. Ein Opposition­eller ist er nicht.

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