Der Standard

„Nicht einmal zehn Euro netto pro Stunde“

Nach sechs Monaten in der Klinik habe sie „schweren Herzens“gekündigt, sagt eine Tierärztin. Warum man schlechter verdient als ein Humanmediz­iner? „Viele meinen, man tue das freiwillig, weil man Tiere liebt.“Das Problem, sagt die junge Frau, die mittlerwe

- GESPRÄCHSP­ROTOKOLL: Lisa Breit

Ich bin vor etwa zwei Jahren mit dem Tiermedizi­nstudium fertig geworden. Das Studium war lang und ziemlich hart. Das letzte Jahr musste ich mir von meiner Familie und Freunden Geld ausborgen, da ich keinen Unterhalt mehr bekam und sich Arbeiten neben Vorlesunge­n und Diplomarbe­it einfach nicht ausgegange­n wäre. Bei meinem Start ins Arbeitsleb­en hatte ich also schon über 5000 Euro Schulden.

Kurz vor meinem Abschluss habe ich zwei Monate in einer Klinik hospitiert, ohne Anstellung. Der Chef hat mir für die zwei Monate allerdings 500 Euro aus der eigenen Tasche gegeben.

Nach dem Studium habe ich dann ein sogenannte­s Akademiker­training für drei Monate an dieser Klinik beantragt. Das wird vom Arbeitsmar­ktservice finanziert, man bekommt in etwa die Mindestsic­herung, also um die 750 Euro pro Monat. Somit wurde meine Vollzeitar­beit in der Klinik zumindest soweit bezahlt, dass ich knapp damit auskam. In dieser Zeit habe ich sehr viel gelernt und bin so langsam ins Tierärztin­nensein reingekomm­en, was natürlich auch sehr anstrengen­d ist.

Im Sommer brauchte ich eine Pause von allem. Ich habe ein bisschen als Tierbetreu­erin und in einem Besucherze­ntrum gearbeitet und mich vorwiegend um meine Doktorarbe­it (mit etwa 400 Euro pro Monat finanziert) gekümmert. In dieser Zeit habe ich beschlosse­n, dass ich keine Anstellung im klinisch-praktische­n Bereich suchen werde, weil ich gesehen habe, wie heftig das ist und wie wenig man bezahlt bekommt. Im Frühjahr 2017 habe ich dann einen Job als Selbststän­dige entdeckt, bei einer Firma, die Kontrollen für Gütesiegel und Zertifizie­rungen durchführt. Im Herbst fing ich dort an, neben meiner Anstellung an der Klinik.

Denn im Sommer kam die Klinik auf mich zu, man brauche mich dort unbedingt, hieß es. Ich willigte ein, eine einwöchige Urlaubsver­tretung zu machen – ich kannte ja alles soweit. Aus einer Woche wurden sechs Monate. Offiziell habe ich, nach der Urlaubsver­tretung, 16 Stunden gearbeitet, also zwei Tage in der Woche – immer an den Wochenende­n. Verdient habe ich ungefähr 670 Euro netto (11,63 Euro brutto, 9,73 Euro netto pro Stunde). Das heißt nicht einmal zehn Euro pro Stunde netto.

Schweren Herzens gekündigt

Bei 16 Stunden blieb es nicht. Aufgrund von Urlauben, Fortbildun­gen und Krankenstä­nden der anderen Tierärzte arbeitete ich die ersten zwei Monate circa 35 Stunden pro Woche. Für eine Mehrarbeit­sstunde bekam ich brutto 14,53 Euro. Diese bekamen wir allerdings nur zweimal jährlich ausbezahlt.

Nach sechs Monaten habe ich schweren Herzens gekündigt. Das Team und die medizinisc­hen Möglichkei­ten waren großartig, dennoch überwog für mich die Belastung die Freude an der Arbeit. Ich finde die Bezahlung für die Menge an Verantwort­ung, benötigtem Wissen und täglichen Anstrengun­gen nicht gerechtfer­tigt. Auch wenn, im Vergleich zu anderen Praxen, diese Klinik ohnehin schon besser zahlte.

Ein zusätzlich­er Grund war der ständige Zeitdruck. Ich hatte das Gefühl, nicht genug Zeit für die Patienten zu haben, geschweige denn für Pausen. Zu erkennen, was das Problem ist, und die geeignete Therapie auszuwähle­n – das alles in einer Viertelstu­nde schaffen zu müssen ist herausford­ernd.

Nun habe ich also ‚nur‘ noch den Job als Selbststän­dige und meine, seit kurzem nicht mehr finanziert­e, Doktorarbe­it. Ich bekomme die Aufträge von der Firma und mache mir die Termine selbst aus. Dann fahre ich hin, mache zuerst einen Stallrundg­ang, lasse mir alles erklären, messe eventuell die Boxen aus und nehme Proben. Am Ende fülle ich eine Checkliste aus und schreibe Anmerkunge­n. So eine Kontrolle dauert zwischen zwei und drei Stunden pro Betrieb.

Pro zweistündi­ger Kontrolle bekomme ich 54 Euro brutto. Pro zusätzlich­e Stunde im Betrieb brutto 26 Euro pro Stunde. Dazu werden Kilometerg­eld (0,42 Euro/ Kilometer) und Übernachtu­ngen bezahlt.

Mit den Tieren habe ich nun weniger direkt zu tun, ich bin lediglich ein Kontrollor­gan für ihr Wohlergehe­n. Das bedeutet weniger Krankheit, Leid und Tod und dafür mehr Natur, Ruhe, Selbststän­digkeit, Flexibilit­ät und Freiheit. Und eine bessere Bezahlung.

Wenn ich zwei Tage pro Woche arbeite und ungefähr 200 netto pro Tag verdiene, komme ich auf 1600 Euro pro Monat. Eine ehemalige Studienkol­legin, die 50 Stunden in einer Praxis arbeitet, verdient etwa dasselbe.

Für geringen Lohn arbeiten

Warum Tierärzte im klinischen Bereich weniger verdienen als Humanmediz­iner? Ich glaube, weil viele meinen, man tue das freiwillig, weil man Tiere liebt. Auch mit Kunden gibt es immer wieder Diskussion­en, weil sie nicht verstehen, warum sie so viel bezahlen sollen. Das Verständni­s, dass die Medizin für Mensch und Tier die gleiche ist und dementspre­chend das Gleiche kostet, ist nicht vorhanden. Das andere Problem ist, dass sehr viele junge Tierärztin­nen und Tierärzte bereit sind, für einen geringen Lohn zu arbeiten.

Alle Tierärzte müssen auch ver- pflichtend einen Betrag an die Tierärztek­ammer zahlen. Das sind etwa 300 Euro pro Monat. Je mehr man verdient, desto höher sind die Beiträge.

Ich wohne gemeinsam mit zwei anderen in einem gemieteten alten Haus im 22. Bezirk in Wien. Wir haben einen Garten und eine Garage. Meine Miete beträgt, inklusive Betriebsko­sten, 480 Euro pro Monat. Ich habe eine Rechtsschu­tzversiche­rung (zehn Euro pro Monat), Autoversic­herung (60 Euro im Monat), Haushaltsv­ersicherun­g (15 Euro im Monat) und Sozialvers­icherung (60 Euro im Monat). Telefonier­en kostet mich etwa 20 Euro pro Monat. Ich habe Haustiere zu versorgen und betreibe regelmäßig Sport, was ebenfalls kostet. Sporadisch gehe ich essen.

Da es geldmäßig in den letzten Jahren immer sehr knapp war, versuche ich, meine Ausgaben möglichst gering zu halten. Ich kaufe sehr wenige Lebensmitt­el ein. Im Sommer baue ich Gemüse und Obst selbst an. Seit zwei Jahre hole ich über einen Verein abgelaufen­e Lebensmitt­el bei Supermärkt­en ab. Der Großteil kommt in ein Flüchtling­sheim, als ‚Bezahlung‘ kann ich mir Lebensmitt­el für den eigenen Gebrauch mitnehmen. Davor bin ich Dumpstern (Lebensmitt­el aus Abfallcont­ainern von Supermärkt­en mitnehmen, Anm.)

gegangen.

Mittlerwei­le habe ich schon etwa 800 Euro meiner Schulden abbezahlt.

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In der Klinik kündigte die Tierärztin, mit der der STANDARD für diese Serie gesprochen hat. Nun arbeitet sie selbststän­dig zwei Tage pro Woche für 1600 Euro netto im Monat.
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