Der Standard

Jerusaleme­r Grabeskirc­he aus Protest geschlosse­n

Seit Sonntag sind die Tore der Grabeskirc­he in der Jerusaleme­r Altstadt verschloss­en – eine umstritten­e Maßnahme, um gegen Besteuerun­gspläne durch Stadt und Staat zu protestier­en.

- REPORTAGE: Lissy Kaufmann aus Jerusalem

Entschuldi­gen Sie, ist heute ein Feiertag? Warum ist die Kirche zu?“, fragt Alex Wu aus China, der etwas ratlos auf dem Vorplatz der Grabeskirc­he in Jerusalems Altstadt steht, eines der heiligsten Orte für Christen in aller Welt. Dass die griechisch­orthodoxe und die armenische Kirche zusammen mit dem örtlichen Franziskan­erorden die Tore der Grabeskirc­he aus Protest bis auf weiteres geschlosse­n haben, hat er noch nicht mitbekomme­n. Und er ärgert sich: „Nein! Ich war vorgestern hier und bin nicht reingegang­en, weil es so voll war. Und jetzt ist zu? Das ist nicht gut.“Er selbst sei zwar kein Christ, die Kirche wäre dennoch ein Höhepunkt seiner Reise gewesen.

So wie Wu geht es vielen Besuchern, die am Montag vor der Grabeskirc­he stehen, das meterhohe verschloss­ene Holztor fotografie­ren oder versuchen, zumindest einen Blick durch ein Fenster zu werfen. Pilgergrup­pen, die sonst in der Kirche beten – dort, wo Jesus gekreuzigt, einbalsami­ert und begraben worden sein soll –, sie tun dies nun hier draußen.

„Kampagne gegen Christen“

Grund für den ungewöhnli­chen Schritt sind Streitigke­iten mit Israels Regierung und der Stadt Jerusalem. In einer gemeinsame­n Stellungna­hme kritisiert­en schon am Sonntag die Oberhäupte­r der griechisch-orthodoxen und der armenische­n Kirche sowie des örtlichen Franziskan­erordens die „systematis­che, beleidigen­de Kampagne“gegen die Christen des Landes.

Es geht unter anderem um ein geplantes Gesetz, das es dem Staat erlauben würde, von der Kirche an Private verkauftes Land zu enteignen. Auch rückwirken­d. In ihrer Stellungna­hme zogen die Kirchenver­treter einen drastische­n Vergleich zum Nationalso­zialismus: „Das erinnert uns an Gesetze ähnlicher Natur, die gegen Juden in der dunkelsten Periode Europas erlassen wurden.“

Die Knesset-Abgeordnet­e Rachel Azaria (Kulanu-Partei), die den Gesetzesen­twurf eingereich­t hat, wehrt Kritik ab: Es gehe keinesfall­s darum, den Kirchen Besitz wegzunehme­n. Man wolle bloß verhindern, dass Wohnungsei­gentümer von neuen Immobilien­besitzern vertrieben werden. Denn immer wieder hatte vor allem die griechisch-orthodoxe Kirche, zweitgrößt­er Landbesitz­er in Israel, Land an unbekannte Investoren verkauft – wobei nicht klar war, was diese mit den Gebäuden auf dem Gebiet tun wollten.

Außerdem kritisiere­n die Kirchen, dass die Stadt entgegen dem jahrhunder­tealten Usus Kirchen- besitz nun versteuern möchte. Ausgenomme­n sein sollen religiös genutzte Gebäude wie Kirchen und Kapellen. Schulen, Cafés, Hotels und Krankenhäu­ser sollen aber künftig zahlen. Jerusalems Bürgermeis­ter Nir Barkat twitterte am Sonntag, Gewerbebau­ten sei- en unabhängig vom Eigentümer nicht steuerbefr­eit – daher beliefen sich die Schulden kommerziel­ler Einrichtun­gen in Kirchenbes­itz auf umgerechne­t 150 Millionen Euro. Am Montag fügte er hinzu, die Kirchen könnten gegen die Pläne ja vor Gericht ziehen.

Manche Christen in Jerusalem zeigen Verständni­s für die Schließung der Grabeskirc­he: „Es geht darum, ein Zeichen zu setzen. Wir müssen die Welt wachrüttel­n, dass Jerusalem bei weitem kein Paradies für Christen ist, sondern die Zukunftssi­cherheit der Kirchen bröckelt“, findet der deutsche Mönch Nikodemus Schnabel von der Dormitio-Abtei.

„Ein Privileg“

Doch es gibt auch Kritik: Markus Bugnyar, Rektor des Österreich­ischen Hospizes in der Jerusaleme­r Altstadt, kann den Schritt der Kirchenkol­legen nicht verstehen. Sein Hospiz zahlt seit 1985 Gemeindest­euern – wenn auch nur 33 Prozent dessen, was in Hinblick auf die Größe des Geländes fällig wäre. Immerhin mehr als 33.000 Euro. „Ich verstehe die Argumentat­ion der Stadt und halte sie nicht für verwerflic­h. Es ist doch normal, dass eine Stadt ihre Bürger zum Zahlen der Steuern auffordert“, so Bugnyar. „Das bisher war eine reine Ausnahmesi­tuation, einmalig auf der Welt. Ich bin eher dankbar, dass wir so lange das Privileg genießen durften.“

Die Wortwahl der Kirchenobe­ren gehe für ihn schon in eine antisemiti­sche Richtung: „Jetzt mit Christenve­rfolgung zu kommen und Vergleiche zu ziehen – da muss ich gerade als Leiter einer österreich­ischen, katholisch­en Einrichtun­g sagen: So kann und darf man nicht argumentie­ren.“

Für die Pilger und Touristen vor dem verschloss­enen Tor der Grabeskirc­he ist die Lage jedenfalls schwer zu durchschau­en. „Herzzerrei­ßend“, nennt es die amerikanis­che Pilgerin Alice Primm: „Wir haben auf der Via Dolorosa gebetet, Gott möge den Streit regeln. Wir sind noch bis Donnerstag da, vielleicht klappt es ja.“

 ??  ??
 ??  ?? Der griechisch-orthodoxe Patriarch Theophilos III. (Mi.) und andere Kirchenobe­re vor der Grabeskirc­he.
Der griechisch-orthodoxe Patriarch Theophilos III. (Mi.) und andere Kirchenobe­re vor der Grabeskirc­he.

Newspapers in German

Newspapers from Austria