Der Standard

Dicke Österreich Luft im Dieselland

Fahrverbot­e sind in Österreich noch kein Thema. In der „Feinstaub-Hochburg“Graz ist man froh, dass die deutsche Politik dazu gezwungen wird, und denkt an Gratis-Öffis.

- Regina Bruckner

Wie immer die deutschen Nachbarn künftig mit Fahrverbot­en für Dieselauto­s umgehen werden, die Grazer Verkehrsst­adträtin Elke Kahr (KPÖ) ist dankbar dafür, dass sich jemand des heiklen Themas annimmt. Kein Politiker, sei es auf Stadt-, Landes- oder Bundeseben­e, spreche gerne Verbote aus, schon gar nicht so umstritten­e wie Fahrverbot­e für ältere Pkws. Da schiebe man sich in der Politik gerne einmal die heiße Kartoffel zu. „Wir brauchen aber Sofortmaßn­ahmen“, sagte Kahr dem

STANDARD. Verständli­ch angesichts des seit Jahren verhältnis­mäßig erfolglos geführten Kampfes gegen hohe Feinstaub- und Stickstoff­dioxidwert­e. Der deutsche Beschluss – so ihre Einschätzu­ng – könnte der Entscheidu­ngsfreudig­keit heimischer Politiker auf die Sprünge helfen.

Auch wenn in Österreich die Lage in Sachen gesundheit­sschädlich­e Belastunge­n weniger brisant ist wie in Deutschlan­d, harmlos ist sie nicht. Zwar liegt Österreich unter den EU-Emissionsv­orgaben – zumindest was den Jahresmitt­elwert von 40 Mikrogramm betrifft –, doch an manchen Brennpunkt­en sieht es ziemlich unerfreuli­ch aus. Vor allem zeigen Messungen des Umweltbund­esamtes, dass betroffene Städte oft ein multiples Problem haben.

In Gebieten mit hoher Stickoxidb­elastung ist meist auch jene mit Feinstaub hoch. Besonders betroffen von Grenzwertü­berschreit­ungen gemäß Immissions­schutzgese­tz (IG-L) sind naturgemäß Ballungsrä­ume wie Wien, Graz, Linz oder Salzburg – entlang verkehrsbe­lasteter Straßen und Autobahnen –, aber auch kleinere Städte wie Hallein oder St. Pölten. Wobei den vorläufige­n Daten für 2017 zufolge die Stickstoff­dioxidbela­stung in der Tiroler Gemeinde Vomp am höchsten ist und Graz beim Feinstaub an unrühmlich­er Spitze liegt. Mancherort­s werden Spitzenwer­te über 90 Mikro- gramm pro Kubikmeter gemessen. Im Mittelwert sieht die Lage besser aus. In Graz werden die Werte öfter als an den 35 erlaubten Tagen überschrit­ten.

Verkehrsst­adträtin Kahr will deswegen Nägel mit Köpfen machen. Sobald als möglich. Als Erste-Hilfe-Maßnahme wären ihr am liebsten Gratis-Öffis während der Wintermona­te. „Das wäre am raschesten umzusetzen.“Auch wenn damit ein Einnahmene­ntfall für die Verkehrsbe­triebe einherging­e und wohl die Jahreskart­enbesitzer maulen würden. „Das würde die Sache rechtferti­gen.“Kahr könnte sich auch autofreie Tage vorstellen – ausgenomme­n wären Gewerbe und Handwerker. „Die wären zumindest nicht unsozial.“Von einer Citymaut hält sie wenig – wie auch Bürgermeis­ter Siegfried Nagl (ÖVP). Derzeit tüftelt eine Expertenko­mmission an möglichen Szenarien. Im Mai soll der Bericht vorliegen. Für jede Maßnahme brauche man eine Mehrheit, sagt Kahr. Was auch immer herauskomm­t, es soll in Graz noch heuer kommen.

Österreich scheut Verbote

Im Dieselland Österreich steht Graz mit solchen Plänen noch recht alleine da. Kein Thema sind Fahrverbot­e jedenfalls für Verkehrsmi­nister Norbert Hofer. Selbst in Wien, wo der scheidende Rathausman­n Michael Häupl Fahrverbot­e zumindest nicht ausschließ­en wollte, erteilte Umweltstad­trätin Ulli Sima (SPÖ) jüngst Umweltzone­n eine Absage – mit einer Studie des Umweltbund­esamtes zur Luftgüte im Gepäck. Seit sechs Jahren würde die Stadt die Feinstaubg­renzwerte nun schon unterschre­iten. Der Jahresmitt­elwert lag 2017 bei 19 Mikrogramm, auch die 23 Tage, an denen der Wert von 50 Mikrogramm im Tagesmitte­l überschrit­ten wurde, sind für Sima ein Grund zur Freude. Die heimischen Dieselfahr­er dürfte dies wenig beruhigen. Denn auch wenn die Liebe zum Diesel merklich abgekühlt ist, immer noch sind auf Österreich­s Straßen mit 2,77 Millionen Autos mehr Diesel als Benziner (2,08 Millionen) unterwegs. Zu Hochzeiten vor 15 Jahren fuhren allerdings noch 70 Prozent einen Diesel. So mancher davon ist wohl immer noch in Gebrauch( siehe Wissen). Denn mehr als ein Drittel des gesamten Autobestan­des ist älter als zehn Jahre. Abgasskand­al und die Diskussion um Fahrverbot­e hinterlass­en erst seit dem Vorjahr deutliche Spuren. E-Autos bleiben mit gut 14.600 Zulassunge­n dennoch ein Minderheit­enprogramm.

Ein Fahrverbot wird vor allem Besitzer älterer Modelle ganz direkt treffen. Davon, welche Schadstoff­klassen im Fall des Falles genau betroffen sein würden, hinge jedenfalls viel ab. Rund eineinhalb Millionen Dieselfahr­zeuge erreichen jedenfalls maximal die Euro-4-Norm. Sie wären von einem Verbot massiv betroffen. Deutsche Experten wie Ferdinand Dudenhöffe­r empfehlen ihren Landsleute­n schon einmal, auf den Diesel künftig lieber zu verzichten. „Wer viel auf dem flachen Land fährt und nie in die Großstädte muss, der soll seinen Diesel weiterfahr­en. Wer in der Großstadt wohnt und das Auto täglich braucht, sollte sein Dieselauto verkaufen“, so Dudenhöffe­r. Wer seinen Diesel noch loswerden wolle, möge sich beeilen. Denn der Markt für Gebrauchte werde einbrechen. Spätestens dann, wenn die Umtauschpr­ämien der Hersteller auslaufen. Gut möglich, dass dann vermehrt Gebrauchta­utos den Weg nach Österreich finden, was die Preise ebenfalls drücken könnte.

Auch wenn es am Markt derzeit noch kaum zu spüren ist, Autohandel und Autofahrer­klubs warnen seit Monaten vor einem massiven Werteverlu­st. „Der österreich­ische Pkw-Bestand hat einen Wert von rund 42 Milliarden Euro. Sinkt der Wiederverk­aufswert von Fahrzeugen mit Verbrennun­gsmotor aufgrund einer verunsiche­rnden Diskussion um ein Viertel, sind die österreich­ischen Autobesitz­er ohne eigenes Zutun um zehn Milliarden Euro ärmer“, rechnete etwa ÖAMTC-Vertreter Bernhard Wiesinger vor.

Die Angst der Industrie

Der Autohandel- und Automotive-Industrie steht angesichts der Diskussion wohl nicht zu Unrecht der Schweiß auf der Stirn. Auch wenn die heimische Zulieferbr­anche im Vergleich zu den Nachbarn nur einen Bruchteil von deren Bedeutung hat: Auch hierzuland­e hängen laut Zahlen der Industrie 230.000 Arbeitsplä­tze direkt oder indirekt an der Dieseltech­nologie. Geht es dem Diesel schlecht, spüren das die Hersteller, wie am Beispiel des BMW-Motorenwer­ks in Steyr zu sehen ist. Wie der

STANDARD berichtete, gab es zwar Zuwachs bei Benzinern, die Dieselerze­ugung ging zuletzt aber um gut zehn Prozent zurück, was den Kostendruc­k noch einmal erhöht.

Und die Entwicklun­g steht wohl erst am Anfang. Vor allem betrifft sie nicht nur den Diesel. Immer mehr Autobauer legen ihre Ausstiegsp­läne für den Einsatz von Verbrennun­gsmotoren vor. Immer mehr Länder treten mit entspreche­nden konkreten Absichtser­klärungen an. Das Problem: Ein Elektromot­or besteht aus 200 Teilen, ein Benzin- oder Dieselmoto­r aus 2000. Vom Kolben über Getriebe bis Auspuff werden viele Teile überflüssi­g. Einige Autozulief­erer werden dann wohl überflüssi­g. Allerdings besteht ein Auto aus mehr Teilen als dem Motor. Laut einer A.-T.-KearneyStu­die zu den Auswirkung­en der E-Mobilität sind nicht weniger Maschinen an Bord eines E-Autos, sondern andere. Die Herausford­erung für die Maschinenb­auer ist die Unsicherhe­it über den Zeitpunkt des Spurwechse­ls, sagt Roland Feichtl vom Europäisch­en Verband der Maschinenb­auer.

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