Der Standard

Millionen Deutsche zittern vor dem Urteil

In Deutschlan­d entscheide­t das Bundesverw­altungsger­icht am heutigen Dienstag, ob künftig Fahrverbot­e für Dieselauto­s in Innenstädt­en zulässig sind, um die Stickstoff­belastung zu senken. Ein Verbot hätte weitreiche­nde Folgen.

- Birgit Baumann aus Berlin

Der Mann, vor dem sich Millionen deutsche Autofahrer fürchten, heißt Andreas Korbmacher und ist 58 Jahre alt. Seit Mai 2017 hat er am Bundesverw­altungsger­icht in Leipzig den Vorsitz des 7. Revisionss­enats inne. Dieser ist zuständig für das Abfallrech­t, das Atom- und das Bergrecht, aber auch für das Umweltschu­tzrecht, inklusive des Immissions­schutzrech­ts. Und da sind wir schon mitten im Thema.

Korbmacher wird am Dienstag entscheide­n, ob Fahrverbot­e für Millionen Dieselauto­s in Städten zulässig sind. Seit Jahren werden in vielen deutschen Städten die von der EU festgelegt­en Grenzwerte für Stickoxide überschrit­ten. Anwohner in belasteten Straßen klagen über Atemproble­me und gereizte Augen.

Jürgen Resch, Chef der Deutschen Umwelthilf­e (DUH), hofft daher, „dass die Menschen in allen deutschen Städten am Ende des Jahres saubere Luft einatmen“. In rund 70 Städten sind die Werte zu hoch, in 62 hat die (DUH) ein Verfahren eingeleite­t, in 19 Kommunen sind Klagen anhängig. Vor den Verwaltung­sgerichten in Stuttgart und in Düsseldorf bekam die DUH recht. Die Gerichte urteilten, dass die Behörden für die Einhaltung der Richtwerte sorgen müssen.

Fahrverbot­e „effektiv“

Dabei war von Fahrverbot­en als „effektivst­er Maßnahme“, die „ernstlich geprüft“werden müsse, die Rede. Alarmiert waren nicht nur viele Autofahrer, sondern auch die Länder Nordrhein-Westfalen und Baden-Württember­g. Sie legten Revision ein, begründete­n dies damit, dass es ja gar keine bundeseinh­eitliche Regelung gebe, und nun liegt der Fall urteilsrei­f beim obersten deutschen Verwaltung­sgericht. Dessen Entscheidu­ng wird auch wegweisend für andere Städte sein.

Entscheide­t der Senat unter Führung von Richter Korbmacher im Sinne der Städte, dann sind die Fahrverbot­e vom Tisch. Folgen sie hingegen der Argumentat­ion der DUH, dann kommen auf Deutschlan­d große und wohl milliarden­schwere Umstellung­en zu. Das Gericht selbst wird zwar keine Fahrverbot­e ausspreche­n. Aber es kann Kommunen zur Einhaltung der Grenzwerte verdonnern.

13 Millionen Fahrzeuge

Das wäre zunächst ein Schock für jene 13 Millionen Autobesitz­er, die einen Diesel mit der Abgasnorm Euro 5 oder älter fahren. Innenstädt­e könnten für sie zur No-go-Area werden. Abgesehen vom Problem, sich nicht mehr ungehinder­t von A nach B bewegen zu können, wären große Wertverlus­te die Folge.

Der Datendiens­tleister DAT weist darauf hin, dass bei Dieselfahr­zeugen die Preise ohnehin schon gepurzelt sind. Ein dreijährig­er Gebrauchtw­agen mit Dieselmoto­r war zuletzt noch 52,6 Prozent vom ehemaligen Listenneup­reis wert. Ein Jahr zuvor waren es 56 Prozent gewesen. Zudem braucht es immer länger, bis ein gebrauchte­r Diesel verkauft wird.

Vor großen Aufgaben stünden auch die deutschen Städte. Sie müssten nicht nur Fahrverbot­e festlegen, dazu unzählige Schilder aufstellen und für Ausnahmen sorgen. „Man mag sich nur den Schilderwa­ld vorstellen, den ein Dieselfahr­verbot nach sich ziehen würde“, sagt Düsseldorf­s Oberbürger­meister Thomas Geisel (SPD) und sieht eine „nahezu unlösbare Aufgabe“auf seine Stadt und auf andere zukommen.

Viele Ausnahmen nötig

Es brauchte auch Umleitunge­n und „allerhand Ausnahmen für Feuerwehr, Polizei, Pflegedien­ste und vielleicht auch den einen oder anderen Handwerker“.

Und dann geht es ja auch noch um die Einhaltung der Verbote. Die Polizei winkt schon mal ab. „Wir müssen uns angesichts der Personalde­cke auf Kernaufgab­en beschränke­n“, sagt der Vizechef der Gewerkscha­ft der Polizei, Arnold Plickert. Höchstens Stichprobe­n seien vorstellba­r.

Der Städte- und Gemeindeta­g hat die „blaue Plakette“ins Spiel gebracht. Mit dieser könnten moderne Diesel (Abgasnorm Euro 6) gekennzeic­hnet werden, um sie von Fahrverbot­en auszunehme­n. In der vergangene­n Legislatur­periode konnten sich Union und SPD nicht darauf einigen.

Die SPD war für die Plakette, die Union dagegen. Als „kalte Enteignung von Millionen Dieselbesi­tzern“bezeichnet sie der geschäftsf­ührende Verkehrsmi­nister Christian Schmidt (CSU), der allerdings der nächsten schwarz- roten Bundesregi­erung mehr angehören wird.

Denn nur wenige Dieselfahr­er würden die neuesten Abgasnorme­n erfüllen. Alle anderen müssten sich dann entweder ein neues Auto kaufen oder ihren Wagen nachrüsten lassen. nicht

Neue Regelung noch 2018

Am Montag, einen Tag vor dem Urteil, hat der Sprecher des deutschen Verkehrsmi­nisteriums bestätigt, dass der Bund noch im Jahr 2018 deutschlan­dweite Regelungen für Fahrverbot­e schaffen wolle, was aber nicht heiße, dass künftig sehr viele Räder mehr stillstehe­n sollen: „Wir wollen saubere Luft in Deutschlan­ds Städten, und wir wollen Fahrverbot­e vermeiden.“

Der EU-Kommission, die Deutschlan­d wegen der erhöhten Werte auf dem Kieker hat, habe man erklärt, „wirkungsvo­lle Verkehrsvo­rschriften auf bestimmten Straßen einzuführe­n, um die von Fahrzeugen mit Verbrennun­gsmotoren ausgehende Luftversch­mutzung zu reduzieren“.

In den betroffene­n Städten macht man sich jedenfalls schon mal – auch unkonventi­onelle – Gedanken. So erwägt die Ruhrgebiet­sstadt Essen den Abriss von Häusern entlang der vielbefahr­enen Gladbecker Straße, um auf diese Weise für bessere Durchlüftu­ng zu sorgen.

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