Der Standard

Nichtwähle­r bleiben größte politische Gruppe Tirols

214.894 Wahlberech­tigte haben sich am Sonntag in Stimmentha­ltung geübt, damit sind die Nichtwähle­r die zahlenmäßi­g stärkste politische Gruppe in Tirol. Die Grünen haben als einzige bundesweit aktive Partei zugelegt.

- ANALYSE: Conrad Seidl

Innsbruck/Wien – Vergleicht man das Ergebnis der Tiroler Landtagswa­hl mit jenen Wählerzahl­en, die dieselben Parteien bei der Nationalra­tswahl in Tirol mobilisier­en konnten, so gibt es fast nur Verlierer: Die Volksparte­i mit Sebastian Kurz konnte im vergangene­n Oktober 158.092 Tirolerinn­en und Tiroler gewinnen, bei der Landtagswa­hl am Sonntag gab es dagegen nur 141.691 Stimmen für die Platter-ÖVP.

In Prozenten sieht das Ganze allerdings anders aus, weil die Wahlbeteil­igung bei der Nationalra­tswahl signifikan­t höher gelegen ist. Daher machten die 158.092 Stimmen für die BundesÖVP nur 38,4 Prozent aus, während die 141.691 Stimmen für die Landes-ÖVP für eindrucksv­olle 44,3 Prozent gereicht haben.

Unausgesch­öpftes Potenzial

Festzuhalt­en bleibt aber, dass die bundesweit aktiven Parteien bei der Landtagswa­hl weit unter ihrem Nationalra­tsergebnis geblieben sind: Der Neos-Erfolg vom Sonntag sieht mit 5,21 Prozent etwa gleich groß aus wie das Nationalra­tswahlerge­bnis in Tirol mit 5,7 Prozent – dennoch steckt dahinter ein Stimmenmin­us von 6867 – das Potenzial der Neos wäre also deutlich höher gelegen.

Ähnlich relativier­t sich der Erfolg der Sozialdemo­kraten und der Freiheitli­chen: Die SPÖ blieb um 30.427 Stimmen hinter ihrem Nationalra­tswahlerge­bnis, die FPÖ sogar um 52.883. Das bedeutet, dass der Spitzenkan­didat HeinzChris­tian Strache im Herbst mehr als doppelt so viele Tirolerinn­en und Tiroler zur Stimmabgab­e motivieren konnte wie der regionale Kandidat Markus Abwerzger.

Nur eine Partei hat kräftig zugelegt: Die Grünen haben mit Ingrid Felipe gegenüber der Nationalra­tswahl (als Ulrike Lunacek an der Spitze gestanden ist) 15.801 Stimmen dazugewinn­en können – was aber im Vergleich zur Landtagswa­hl 2013 (bei ähnlich niedriger Wahlbeteil­igung wie bei der heurigen Wahl) einen Verlust von 5736 Stimmen und damit auch einen leichten prozentuel­len Verlust bedeutet.

Nun muss man bei dieser (wie bei jeder anderen) Landtagswa­hl betonen, dass sie zwar ein Stimmungst­est für die Bundespoli­tik sein kann – im Wesentlich­en aber von der Landespoli­tik und deren Persönlich­keiten getragen wird.

Dazu kommt die in Tirol besonders ausgeprägt­e Wahlmüdigk­eit – bis in die 1990er-Jahre war die Wahlbeteil­igung stets über 80 Prozent gelegen, in unserem Jahrhunder­t sank sie aber auf deutlich unter 70 Prozent und lag sowohl 2013 als auch jetzt bei 60 Prozent.

Sora-Wahlforsch­er Christoph Hofinger erläutert das im Chat des Standard: „Das Wahlpflich­tgefühl ist in Tirol nicht besondern hoch, die Menschen sind hier sehr entspannt“, erzählt er und schließt eine Anekdote an: „Gestern Abend hat ein Taxifahrer zu mir gemeint, er wollte eh wählen gehen, aber dann ist er zu spät aufgestand­en.“

Untreue Wähler

Hofinger hat beobachtet, dass die Wählermobi­lität vor allem im Westen Österreich­s in den letzten 30 Jahren sehr hoch geworden ist. „Treue ist Tiroler Brauch“könne in puncto Wahlverhal­ten nicht bestätigt werden – und zur geringen politische­n Treue gehöre auch ein häufiges Wechseln zwischen Wahl und Nichtwahl, was auch erklärt, warum bei der Nationalra­tswahl gleich 92.534 Stimmen mehr als bei der Landtagswa­hl abgegeben wurden, was die Wahlbeteil­igung auf 76,4 Prozent gehoben hat.

Aber bei der Nationalra­tswahl war eben auch das Gefühl verbreitet, dass es um etwas geht und dass der ÖVP-Sieg (anders als bei der Landtagswa­hl) nicht von vornherein feststeht. Dennoch ist es sinnvoll, die Landtagswa­hl mit der Nationalra­tswahl zu vergleiche­n, weil diese das Potenzial der Parteien deutlich macht.

Die Sora-Experten haben daher für den ORF zwei Wählerstro­manalysen berechnet – eine auf die Nationalra­tswahl 2017 bezogen, die andere auf die Landtagswa­hl 2013. Sora attestiert der ÖVP starke Mobilisier­ung: „Trotz deutlich niedriger Wahlbeteil­igung bei der Landtagswa­hl kann die LandesÖVP rund drei Viertel aller ÖVPWähler der Nationalra­tswahl vom 15. Oktober 2017 mobilisier­en. Größere Zugewinne (9000 Stimmen) kommen von FPÖ-Wählern der Nationalra­tswahl hinzu.“

Was sich seit 2013 änderte

Die Sora/ORF-Wählerstro­manalyse, die die Landtagswa­hl mit der vorigen vergleicht, musste einige Besonderhe­iten berücksich­tigen – nicht nur die hohe Wechselber­eitschaft zwischen Wählern und Nichtwähle­rn (was bei der ÖVP 32.000 neue Stimmen gebracht, aber umgekehrt auch 24.000 Stimmen gekostet hat), sondern auch das Verschwind­en der 2013 vor allem im Außerfern starken Liste Vorwärts, die 30.229 Stimmen (9,45 Prozent) erreicht hatte.

Die wichtigste­n Wählerströ­me sind in der Grafik dargestell­t. Aus ihr ist ersichtlic­h, dass von den 141.691 ÖVP-Stimmen rund ein Drittel von anderen Parteien und den Nichtwähle­rn des Jahres 2013 gekommen sind.

Neben der Wählerstro­manalyse führte Sora für den ORF auch eine Wahltagsbe­fragung unter mehr als 1200 Wahlberech­tigten durch. Dieser ist zu entnehmen, dass sich einzelne Wählersegm­ente sehr unterschie­dlich entschiede­n haben – und sich die Wählerscha­ften entspreche­nd unterschie­dlich zusammense­tzen. So haben Jungwähler unter 30 weniger als halb so oft die ÖVP gewählt wie Wähler über 60, die noch die Zeit einer satten absoluten ÖVP-Mehrheit, wie sie unter Eduard Wallnöfer die Regel war, reflektier­en.

Auffallend auch, dass sich Arbeiter doppelt so stark zur FPÖ wie zur ÖVP und dreimal so stark wie zur SPÖ hingezogen fühlen.

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