Der Standard

Streit um Hund oder Brust im Espresso Jolly

Warum sich Gerichtsve­rhandlunge­n nicht immer ruck, zuck erledigen lassen, kann man anhand eines Körperverl­etzungspro­zesses mit zwei Angeklagte­n nachvollzi­ehen. Der Richter erhält eine Vielzahl möglicher Tatabläufe zur Auswahl.

- Michael Möseneder

Wien – Als mythologis­cher Held hätte Richter Christian Noe zweifelsoh­ne von einer Prinzessin einen Faden bekommen, um aus dem Labyrinth der Vorfälle im Espresso Jolly in Wien-Ottakring wieder heil herauszufi­nden. Noes Problem im Verfahren gegen Dragan M. und Johannes D.: Ihm werden ziemlich viele verschiede­ne Schnipsel solcher Fäden vorgelegt.

Es dreht sich um den Abend des 12. April. Erstangekl­agter M., 44 Jahre alt, sagt, er sei damals nach der Arbeit in das Lokal gekommen und habe bei einem Nachbarn am Tisch Platz genommen. Um zu plaudern und Wein zu trinken. Später sei auch der Zweitangek­lagte in dem kleinen Etablissem­ent erschienen.

Hier bekommt der Richter die ersten beiden Fadenschni­psel. Bei der Polizei hatte der Erstangekl­agte M. noch gesagt, es habe eine Auseinande­rsetzung um D.s beißkorblo­sen Hund gegeben. Nun erzählt der Serbe, sein Kontrahent habe plötzlich Xenophobes von sich gegeben. „Er hat herumgesch­rien: ,Ausländer‘, , AMS‘, ,Ihr tuts nix arbeiten, sondern nur trinken!‘“, erinnert sich der Erstangekl­agte.

Sein Nachbar habe mittlerwei­le den Platz gewechselt, plötzlich sei der 49-jährige Gegner D. an seinen Tisch gekommen und habe ihm drei Faustschlä­ge ins Gesicht verpasst. „Ich war in einer Schocktran­ce.“Der Zweitangek­lagte habe seinen weißen Spritzwein von der Theke genommen und ihm ins Gesicht geschüttet.

„Ich hatte Angst und habe die Hände hochgeriss­en. Da hat er mich gepackt und über den Tisch gezerrt. Dann sind wir gestolpert, er ist mit dem Kopf gegen den Getränkesc­hrank geprallt. Aber ich habe ihn sicher nicht getreten oder geschlagen, als wir am Boden gelegen sind!“, beteuert der Erstangekl­agte. Er selbst habe einen Nasenbeinb­ruch, eine Gehirnersc­hütterung und Prellungen erlitten.

„Jetzt halte ich Ihnen vor, was Herr D. danach der Polizei gesagt hat“, kündigt Noe an. Der Zweitangek­lagte schildert nämlich nach einem Streit um den Beißkorb einen ganz anderen Gesprächsv­erlauf. „Wo ist die Frau mit den großen Brüsten?“, soll demnach M. gefragt haben. D.s Replik „Du Schwein!“habe wiederum M. mit „Ich werde deine Mutter, deine Frau und deine Tochter ficken, und du wirst zusehen müssen“gekontert. Stimmt nicht, sagt der Erstangekl­agte.

Stimmt sehr wohl, behauptet der Zweitangek­lagte, als er seine Version erzählen darf. Der Unternehme­r war mit seinem Hund Gassi und wollte noch ein Getränk an der Theke konsumiere­n. Es wurden drei Gläser Weißwein mit Soda, die mit zwei Fläschchen Jägermeist­er abgerundet wurden. D. schildert den Dialog über das Geschlecht­smerkmalvo­lumen, ein Thema, das er auf seine Lebensgefä­hrtin bezogen habe. Seine Schlussfol­gerung: M. sei ein Spanner, der D.s Freundin durchs Fenster der nahen Wohnung beobachtet haben müsse. Um seinen Unmut über diese Verhaltens­weise auszudrück­en, habe er daher den Inhalt des vierten Spritzwein­s im Gesicht des Erstangekl­agten deponiert.

Nun bekommt Noe zwei weitere Bestandtei­le der Faden. Unmittelba­r nach dem Vorfall hatte der Zweitangek­lagte den Polizisten gesagt, er habe einen Stoß bekom- men, sei ausgerutsc­ht und auf dem Boden vor der Vitrine – die nachweisli­ch beschädigt ist – wieder zu sich gekommen. Nun sagt er, der Erstangekl­agte habe ihm mit einem harten Gegenstand, einer Bierflasch­e oder einem Aschenbech­er, auf den Kopf geschlagen, dadurch sei er gegen die Vitrine geschleude­rt worden. Und auch seine Nase sei dadurch gebrochen, das sei aber erst später festgestel­lt worden.

„Kann es nicht doch sein, dass Sie ausgerutsc­ht sind? Beispielsw­eise auf einer Flüssigkei­t, die Sie unmittelba­r davor verschütte­t haben?“, fragt der Richter nach. D. bleibt dabei – es sei ein harter Gegenstand gewesen.

Ein beiden bekannter Zeuge

Noch verwirrend­er wird die Angelegenh­eit, da die Polizei mit einem Zeugen gesprochen hat, der beide Parteien kennt und wieder etwas anderes behauptet. Demnach habe er beobachtet, wie D. mit M. schrie, ihm dann das Getränk ins Gesicht schüttete und schließlic­h mit der Faust zuschlug. Erst danach sei D. bei einem Gerangel mit dem von seinem Platz aufgesprun­genen M. ausgerutsc­ht.

Zu Noes Unmut gibt es noch mehr namentlich bekannte Lokalgäste, die von der Polizei aber nicht befragt wurden. Der Richter will sie hören und vertagt auf den 8. März.

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Sicher ist im Prozess gegen Dragan M. und Johannes D. nur, dass ein weißer Spritzer (Symbolfoto) eine Rolle gespielt hat.

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