Der Standard

Jeder zweite Arbeitslos­e armutsgefä­hrdet

Arbeitslos­igkeit und Armutsgefä­hrdung gehen häufig ineinander. In der EU zeigen sich dabei deutliche Unterschie­de: In Deutschlan­d sind Arbeitslos­e am stärksten betroffen, in Finnland am wenigsten.

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Brüssel – Als Teufelskre­is wird die Verbindung von Arbeitslos­igkeit und Armut oft bezeichnet. Am Montag veröffentl­ichte die europäisch­e Statistikb­ehörde Eurostat neue Zahlen zu diesem Thema: Rund jeder zweite Arbeitslos­e in der EU sei armutsgefä­hrdet. Fünfmal so viele wie im Vergleich zur erwerbstät­igen Bevölkerun­g, wo es rund jeder zehnte ist. Der Anteil der Arbeitslos­en, die von Armut bedroht sind, sei in den letzten Jahren in der EU gestiegen, von 41,5 Prozent 2006 auf 48,7 Prozent 2016. Am stärksten von der Armutsgefa­hr betroffen sind mit deutlichem Abstand Beschäftig­ungslose in Deutschlan­d.

Auch der Unterschie­d beim Armutsrisi­ko zwischen Arbeitslos­en und Erwerbstät­igen ist dort EUweit am höchsten (70,8 Prozent bei Erwerbslos­en, 9,5 Prozent bei Erwerbstät­igen). Das geringste Armutsrisi­ko besteht in Finnland und Zypern, Österreich liegt knapp unter dem EU-Schnitt.

„Es ist wichtig zu wissen, welche Definition­en bei der Statistik genau gemeint sind“, sagt Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung. Eurostat definiert als armutsgefä­hrdet jene Personen, welche monatlich weniger als 60 Prozent des Nettomedia­neinkommen­s zur Verfügung haben. Das Medianeink­ommen ist jener Wert, der in der Mitte der Verteilung liegt (50 Prozent haben mehr, 50 Prozent weniger). So seien die Einkommen von Personen unter der Armutsgefä­hrdungssch­welle gewachsen, allerdings verhältnis­mäßig weniger als von jenen Personen, deren Einkommen darüber liegt, sagt Brenke.

Mehr Geflüchtet­e

Als Arbeitslos­e werden von Eurostat jene erfasst, die sich selbst als solche bezeichnen. In Deutschlan­d habe dies den Effekt, dass die wachsende Zahl an jobsuchend­en Studenten stärker ins Gewicht falle, meint Brenke. Ebenso habe die Flüchtling­skrise zu einem Anstieg der Zahlen geführt. Nicht zuletzt fallen auch viele Hartz-IV-Empfänger unter die Armutsgefä­hrdungsgre­nze. Hartz IV, auch Arbeitslos­engeld II genannt, wird nach dem meist einjährige­n Arbeitslos­engeld I ausbezahlt, für Alleinerzi­ehende liegt der Regelsatz 2018 bei 423 Euro.

Auf der anderen Seite der Skala liegt das nordische Experiment­ierland Finnland. Dort waren laut Eurostat 2016 37,3 Prozent aller Erwerbslos­en von Armut bedroht. Das Land startete Anfang 2017 mit dem Pilotproje­kt des bedingungs­losen Grundeinko­mmens. 2000 Personen bekamen statt der Arbeitslos­enunterstü­tzung monatlich 560 Euro.

In Österreich sind laut Eurostat 47,3 Prozent der Arbeitslos­en armutsgefä­hrdet, im Mittel haben sie weniger als 950 Euro pro Mo- nat zur Verfügung. Überdurchs­chnittlich davon betroffen seien laut der Einkommens­erhebung EU-SILC Frauen, Alleinerzi­ehende und Langzeitar­beitslose. Dass Arbeit nicht immer vor Armut schützt, zeigen die Zahlen zur Klasse der sogenannte­n Working Poor: 313.000 Personen gelten in Österreich trotz Erwerbstät­igkeit als armutsgefä­hrdet. (jp)

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