Der Standard

Pflichtbei­träge an Gewerkscha­ften spalten USA

In den USA tobt ähnlich wie in Österreich ein Streit über Pflichtbei­träge von Arbeitnehm­ern. Die Gewerkscha­ften könnten nun durch ein Urteil des Obersten Gerichtsho­fes entschiede­n geschwächt werden.

- András Szigetvari

Wien – Die schwarz-blauen Koalitionä­re haben die Pflichtmit­gliedschaf­t in Arbeiter- und Wirtschaft­skammer vorerst nicht angetastet. Die Diskussion über Für und Wider des Kammerzwan­ges ist aber damit nicht zu Ende.

Eine Debatte unter ähnlichen Vorzeichen tobt derzeit in den USA: Auch dort wird darüber gestritten, ob Millionen von Arbeitnehm­ern weiter verpflicht­et werden können, für ihre Interessen­svertretun­g zu zahlen, und zwar selbst dann, wenn sie das gar nicht möchten.

Wie in Österreich, wo die Arbeiterka­mmer Denkfabrik und Kaderschmi­ede der Sozialdemo­kratie ist, ihre Schwächung also politische Folgen hätte, tobt auch in den USA ein parteipoli­tischer Streit um Pflichtbei­träge. Entzündet hat er sich an einer Beschwerde eines öffentlich Bedienstet­en aus Illinois namens Mark Janus.

Janus arbeitet für eine staatliche Familienbe­ratungsste­lle. Er ist nicht Mitglied einer Gewerkscha­ft. Sein Arbeitsver­trag schreibt ihm allerdings vor, dass er jeden Monat Beiträge an eine Gewerkscha­ft bezahlen muss. In seinem Fall waren das 45 Dollar pro Monat an die American Federation of State, County and Municipal Employees. In 22 der 50 US-Bundesstaa­ten, darunter Kalifornie­n, New York und Illinois, sind öffentlich Bedienstet­e dazu verpflicht­et, an Gewerkscha­ften Beiträge abzuführen, und zwar selbst dann, wenn die Betroffene­n gar keiner Gewerkscha­ft angehören. Die Idee dahinter: Die Interessen­svertretun­gen verhandeln die Gehälter der öffentlich Bedienstet­en. Die Beitragspf­licht soll sicherstel­len, dass all jene Arbeitnehm­er etwas an die Gewerkscha­ft zahlen, die von deren Lohnabschl­üssen profitiere­n, aber nicht Mitglied sind. Landesweit gilt diese Pflicht für fünf Millionen Lehrer, Feuerwehrl­eute und Polizisten und andere öffentlich Bedienstet­e.

Mark Janus hat dagegen Beschwerde eingebrach­t – der Fall wird seit Montag vom Obersten Gerichtsho­f der USA in Washington verhandelt. Das Argument der Anwälte von Janus lautet: Die Gewerkscha­ften üben eine primär politische Interessen­svertretun­g aus. Die Verpflicht­ung sie zu unterstütz­en, sei daher eine Einschränk­ung des Rechtes auf freie Meinungsäu­ßerung. Schließlic­h kann auch niemand dazu gezwungen werden, eine Lobbygrupp­e zu unterstütz­en.

Die Chancen stehen gut, dass die Zahlungsve­rpflichtun­g fallen wird. 2016 hat der Oberste Gerichtsho­f einen ähnlichen Fall gehört, damals hatten kalifornis­che Lehrer eine Beschwerde mit ähnlichen Argumenten eingebrach­t. Der liberale Höchstrich­ter Antonin Scalia war damals gerade verstorben und die übrigen acht Richter waren unentschie­den in der Sache – sie stimmten 4:4 ab. Inzwischen wurde Scalias Posten nachbesetz­t. US-Präsident Donald Trump hat den konservati­ven Juristen Neil Gorsuch ans Höchstge- richt berufen. Damit stehen die Chancen gut, dass die Entscheidu­ng 5:4 zugunsten der Gegner der Pflichtbei­träge ausgeht.

Die Trump-Regierung argumentie­rt, dass die Abschaffun­g der Pflichtbei­träge den Arbeitnehm­ern mehr Freiraum bringen werde. US-Präsident Barack Obama hatte dagegen 2016 für die Beibehaltu­ng des Systems plädiert.

Bastion der Demokraten

Die US-Gewerkscha­ften gelten als große politische Bastion der Demokraten und gehören zu ihren wichtigste­n Financiers. Selbst in Rust-Belt-Staaten, also in jenen Gegenden, die sich von der liberalen Elite in Washington vernachläs­sigt fühlen, sind die Gewerkscha­ften gegenüber den Demokra- ten ausgesproc­hen loyal. Über die vergangene­n Jahrzehnte hat die gewerkscha­ftliche Durchdring­ung stark abgenommen. Laut Zahlen des US-Arbeitsmin­isteriums sind nur noch 6,5 Prozent der Privatange­stellten in einer Gewerkscha­ft organisier­t. Bei öffentlich­en Bedienstet­en sind es 34 Prozent. Die öffentlich­en Gewerkscha­ften bieten also den stärksten Rückhalt für die Demokraten.

Republikan­ische Wahlhilfe

Was geschieht, wenn die Pflichtbei­träge abgeschaff­t werden, haben Ökonomen und Politologe­n unter Leitung von James Feigenbaum von der Boston University untersucht. Die Ergebnisse ihrer soeben veröffentl­ichten Arbeit geistern derzeit durch die US-Medien, weil sie eine plausible Erklärung dafür bieten, weshalb die Republikan­er so interessie­rt an einer Abschaffun­g der Pflichtbei­träge sind.

Die US-Bundesstaa­ten durften schon bisher Gesetze erlassen, die ermögliche­n, dass Arbeitnehm­er von der Beitragspf­licht entbunden werden. Viele Staaten wie Texas oder Virginia haben dieses Recht genützt. Ökonom Feigenbaum und seine Kollegen haben sich nun angesehen, wie sich das auf Wahlergebn­isse niedergesc­hlagen hat. Ergebnis ihrer Studie in Wahlbezirk­en zwischen 1980 und 2016: Dort, wo Arbeitnehm­er frei wählen konnten, nahm die Bedeutung von Gewerkscha­ften ab. Die Zahl der Mitglieder ging zurück.

Bei Präsidents­chaftswahl­en ging der Wählerante­il eines demokratis­chen Kandidaten im Schnitt um 3,5 Prozentpun­kte in Bezirken zurück, wo die Beitragspf­licht abgeschaff­t wurde, so die Studie.

Laut New York Times unterstütz­en Industriel­le und Großspende­r der Republikan­er die Beschwerde von Mark Janus beim Höchstgeri­cht. Die Entscheidu­ng in dem Fall dürfte bis zum Sommer erfolgen. Geben die Höchstrich­ter Janus recht, wären damit fünf Millionen öffentlich Bedienstet­e den Zwangs-Obolus los.

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Gewerkscha­fter demonstrie­ren Stärke bei einem Aufmarsch in New York.

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