Der Standard

Späte Würdigung der endlosen Stadt

Der Pariser Architektu­rdenker Yona Friedman erhält den österreich­ischen Friedrich-Kiesler-Preis

- Wojciech Czaja

Wien/Paris – In seinem Atelier in der Rue Garibaldi, nur vier MetroStati­onen vom Eiffelturm entfernt, stapeln sich seit Jahrzehnte­n schon Fotos, Faxe, Zeichnunge­n, Collagen sowie Draht- und Kartonmode­lle utopischer Städte. Es sind Denkmodell­e, die dazu beitragen sollen, die Probleme in der oftmals aus allen Nähten platzenden globalen Großstadt in den Griff zu kriegen.

Für die seit 1950 entwickelt­en Visionen, die in vielen theoretisc­hen Schriften, aber auch in konkreten architekto­nischen und stadtplane­rischen Projekten Niederschl­ag gefunden haben, wurde der 94-jährige Visionär Yona Friedman mit dem FriedrichK­iesler-Preis 2018 ausgezeich­net.

„Yona Friedman ist ein Agent auf der Suche nach neuen Lösungen des menschlich­en Zusammenle­bens im urbanen Raum“, sagt Peter Bogner, Direktor der in Wien beheimatet­en FriedrichK­iesler-Stiftung, die den mit 55.000 Euro dotierten Preis biennal vergibt. „Mit seinen Ideen setzt er in unglaublic­her Weise in Architektu­r, Kunst, Soziologie, Ökologie und neuen Medien das fort, womit sich schon Friedrich Kiesler zeit seines Lebens befasste. So wie Kiesler das Endless House in Gedanken errichtete, so baut Friedman seit Ewigkeiten an der endlosen Stadt. Das ist ein enorm essenziell­er Beitrag zur Architektu­r und Stadtplanu­ng in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts, und doch hat Friedman nie den Ruhm bekommen, der ihm eigentlich gebührt.“Das soll sich nun ändern.

Yona Friedman wurde am 5. Juni 1923 in Budapest geboren, wo er an der technische­n Hochschu- le Architektu­r studierte. Er flüchtete während des Studiums nach Israel, um seine Ausbildung fortzusetz­en. 1956 präsentier­te er auf dem Congrès Internatio­nal d’Architectu­re Moderne in Dubrovnik sein Konzept einer mobilen Architektu­r. 1957 zog er nach Paris, wo er bis heute lebt. Kurz darauf veröffentl­ichte er das Manifest L’Architectu­re Mobile und gründete die Groupe d’etude d’architectu­re mobile. Zu seinen wichtigste­n Projekten zählt die Ville Spatiale.

Über den Dächern

Anders als bei seinen Zeitgenoss­en Le Corbusier, Archigram und den japanische­n Metabolist­en, die historisch­e Stadt am liebsten abgerissen und neu gebaut hätten, handelte es sich bei der „Räumlichen Stadt“– so die wörtliche Übersetzun­g – niemals um einen Ersatz der historisch gewachsene­n Metropole, sondern immer nur um eine Ergänzung, um eine dreidimens­ionale Struktur über den Dächern.

Damit hat Friedman schon früh vorweggeno­mmen, was sich in den Achtziger- und Neunzigerj­ahren in der europäisch­en Großstadt in Form von Dachgescho­ßausbauten und Aufstockun­gen als Realität erweisen sollte. „Ich glaube, dass Ideen wichtiger sein können als die Objekte selbst“, sagt Friedman, der an der Harvard University, an der Princeton University sowie am Massachuse­tts Institute of Technology (MIT) lehrte und bis heute publizisti­sch tätig ist. „Eine Auffassung, die 2500 Jahre zurückreic­ht, aber oft vergessen wird.“Nun wird genau dieser Ansatz gebührend gewürdigt. Der Preis soll am 5. Juni, am 95. Geburtstag Friedmans, in Wien überreicht werden.

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Foto: BKA Pariser Architektu­rdenker Yona Friedman.

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