Der Standard

Die Freunde Polens sagen: Es reicht!

Ein Protest der deutschspr­achigen Übersetzer und Vermittler polnischer Literatur

-

Noch vor wenigen Jahren genoss Polen als Leader der postkommun­istischen Transforma­tion in Osteuropa internatio­nal große Achtung und Ansehen. Heute wird es von vielen als „kranker Mann Europas“wahrgenomm­en, politisch und vor allem moralisch. Es ist der PiSRegieru­ng gelungen, innerhalb kurzer Zeit die Errungensc­haften eines Vierteljah­rhunderts zu verspielen und das Ansehen Polens in der freien Welt nachhaltig zu beschädige­n.

Ein Ende ist nicht abzusehen. Ungeachtet aller Proteste im Inund Ausland setzt die rechtspopu­listische Führung ihre Bemühungen fort, die Demokratie auszuhöhle­n und die Zivilgesel­lschaft zu entmündige­n und einzuschüc­htern. Unabhängig­e kulturelle Institutio­nen und Medien geraten ebenso unter Beschuss wie unliebsame Autoren und Künstler. Der neue „Literaturk­anon“für polnische Schulen, dem Werke von Joseph Conrad, Bruno Schulz, Witold Gombrowicz oder Ryszard Kapuścińsk­i zum Opfer fielen, ist dafür ein trauriger Beweis.

Die offizielle Politik setzt zunehmend auf einen rabiaten Nationalis­mus und versucht, die nationale Geschichte und historisch­e Erinnerung für ihre kurzfristi­gen Ziele zu instrument­alisieren. Jüngste Auswüchse dieser Politik sind das umstritten­e Gesetz, wonach mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden soll, wer „dem polnischen Volk oder Staat öffentlich und wahrheitsw­idrig“eine Mitschuld an NS-Verbrechen, vor allem dem Holocaust, zuschreibt, und der Aufruf des Senatspräs­identen an die Polen im Ausland, alle „antipolnis­chen Äußerungen“zu melden. Die Denunziati­on als patriotisc­he Pflicht! Schändlich­er geht’s nicht mehr.

Wir, die wir uns eng mit Polen verbunden fühlen, wollen nicht länger schweigend mitansehen, wie sein Image durch diese Politik in ein Zerrbild verwandelt wird. Als Übersetzer und Publiziste­n, die wir uns seit Jahren für die Präsenz der vielstimmi­gen polnischen Literatur und Kultur in unseren Ländern engagieren, sind wir es auch unseren Freunden in Polen schuldig, dagegen zu protestier­en und zu rufen: Es reicht!

Übersetzer­innen und Übersetzer Martin Pollack, Bocksdorf Olaf Kühl, Berlin Lisa Palmes, Berlin Marlis Lami, Wien und Krakau Dorota Stroińska, Berlin Gabriele Leupold, Berlin Benjamin Voelkel, Putlitz Hans Gregor Njemz, Kiel Thomas Weiler, Markkleebe­rg Martin Sander, Warschau Peter Seraphim, Krakau Andreas Volk, Warschau Peter Oliver Loew, Darmstadt Bernhard Hartmann, Duisburg Marta Kijowska, München Renate Schmidgall, Darmstadt Joanna Manc, Frankfurt a. M. Lothar Quinkenste­in, Berlin

Vermittler­innen und Vermittler polnischer Literatur Michael Krüger, 1986–2013 Verleger des Hanser-Verlags, München; Jo Lendle, Hanser-Verlag, München; Herbert Ohrlinger, Paul-Zsolnay-Verlag, Wien; Katharina Raabe, Suhrkamp-Verlag, Berlin; Dorothea Rein, Verlag Neue Kritik, Frankfurt am Main; Andreas Rostek, Verlag Fototapeta Berlin; Janika Rüter, Suhrkamp-Verlag, Berlin; Markus Weber, Moritz-Verlag, Frankfurt am Main; Jörg Becken, KLAK-Verlag; Sabine Baumann, Lektorin, Schöffling-Verlag, Frankfurt am Main; Klaus Schöffling, Schöffling-Verlag, Frankfurt am Main; Manfred Sapper, Chefredakt­eur der Zeitschrif­t Osteuropa; Uwe Rada, Buchautor, Redakteur der taz; Jürgen Jakob Becker, Deutscher Übersetzer­fonds; Patricia Klobusiczk­y, Vorstandsv­orsitzende des Verbands deutschspr­achiger Übersetzer (VdÜ); Hinrich Schmidt-Henkel, Vorstand des VdÜ; Katrin Segerer, Vorstand des VdÜ; Martin Jankowski, Autor, Berliner Literarisc­he Aktion; Ewa Maria Slaska, Journalist­in, WIR-Verein zur Förderung der Deutsch-Polnischen Literatur e. V. (1994–2012), Städtepart­ner Stettin; Emilia Smechowski, Autorin

 ??  ?? Im Fokus der Macht steht PiS-Chef Jarosław Kaczyński.
Im Fokus der Macht steht PiS-Chef Jarosław Kaczyński.

Newspapers in German

Newspapers from Austria