Der Standard

Aufregung um EU-Topbeamten

Junckers Kabinettsc­hef Selmayr nutzte Insiderwis­sen

- Thomas Mayer aus Brüssel

Die Ernennung des Kabinettsc­hefs von EU-Präsident Jean-Claude Juncker, Martin Selmayr, zum Generalsek­retär der EU-Kommission schlägt hohe Wellen. Der 47-jährige Deutsche ist vor einer Woche durch einstimmig­en Beschluss der Kommissare bestätigt worden. Er soll ab 1. März den Dienst als höchster Beamter der EU-Zentralbeh­örde antreten. Nun werden in der Behörde wie auch im EU-Parlament Stimmen lauter, bei dieser Personalie könnte politisch geschoben, Selmayr gegenüber anderen Kandidaten bevorzugt worden sein.

Einzelne Kommissare fühlen sich überrumpel­t. Die Grünen fordern eine Prüfung im Haushaltsk­ontrollaus­schuss: Die Stelle sei in einer „Nachtund-Nebel-Aktion“besetzt worden. Ein Generalsek­retär hat Durchgriff auf alle Abteilunge­n der Kommission, an ihm führt auch für die politische Führung kein Weg vorbei.

Formal wäre die Kür des Juristen Selmayr kein Problem, obwohl er erst 2004 in die Kommission eingetrete­n ist. Das Regelwerk sieht in dringenden Fällen vor, dass der Präsident „im Interesse der Behörde“einen Kandidaten ohne Vorverfahr­en vorschlage­n kann. So einfach lief es aber nicht. Denn bis vor einer Woche war ein Rücktritt des bisherigen Generalsek­retärs Alexander Italianer, drei Jahre vor Erreichen des Pensionsal­ters, offiziell kein Thema. Am Dienstag bestätigte ein Kommission­ssprecher, dass selbst der fürs Personal zuständige Kommissar Günter Oettinger erst am Tag vor der Nachfolgee­ntscheidun­g zugunsten Selmayrs vom Rücktritts­wunsch Italianers erfahren habe.

Das wirft Fragen auf, wieso Selmayr sich ab 31. Jänner einem Bewerbungs­verfahren stellte, wie es für die Topjobs in der Kommission Bedingung ist. Kurz davor war die Stellvertr­eterin Italianers mit einem anderen Posten betraut worden; Selmayr bewarb sich um ihre Stelle, bestand alle Prüfungen, das letzte Hearing mit Oettinger war vier Tage vor der entscheide­nden Kommission­ssitzung. Kurz vor Beginn reichte Italianer bei Juncker seinen Rücktritt ein. Selmayr wurde „binnen Minuten“, wie Libération schrieb, zuerst als Vize-, dann als Generalsek­retär nominiert. Die Kommissare waren überrascht. Selmayr dürfte als Insider viel früher als sie gewusst haben, dass der Generalsek­retärspost­en frei werden wird, was er selbst in Le Soir nun bestätigte: Juncker habe ihn bereits vor Weihnachte­n und – dringliche­r – erneut Anfang Jänner über die Jobperspek­tiven in Kenntnis gesetzt.

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Foto: AFP / John Thys Martin Selmayr, höchster Beamter der EU-Kommission.

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