Der Standard

May wettert gegen EU-Pläne

Brexit-Entwurf der EU bedrohe die britische Einheit

- Thomas Mayer aus Brüssel

London/Brüssel – Ganz und gar nicht amused, sondern mit scharfer Kritik hat die britische Premiermin­isterin Theresa May auf den von der EU vorgelegte­n Entwurf für den Brexit-Vertrag reagiert. Sie werde den am Mittwoch von EUChefunte­rhändler Michel Barnier präsentier­ten Vertragsen­twurf für einen Ausstieg aus der EU so „niemals“akzeptiere­n.

Stein des Anstoßes ist etwa der Vorschlag aus Brüssel, wonach Nordirland de facto im EUBinnenma­rkt und der Zollunion verbleiben könnte. „Das untergräbt den gemeinsame­n britischen Markt und bedroht die verfassung­smäßige Integrität des Vereinigte­n Königreich­s“, wetterte May bei einer Fragestund­e im britischen Unterhaus in London. Ein solches Abkommen wäre ein „Betrug am Brexit-Votum“– das werde sie EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker „kristallkl­ar machen“. Die erste Gelegenhei­t dazu ist eine für Freitag geplante Grundsatzr­ede Mays vor dem britischen Parlament. (red)

Seit dem offizielle­n EU-Austrittsa­ntrag der britischen Regierung vor knapp einem Jahr hat es zwischen London und Brüssel bereits einige schwere Vertrauens­krisen gegeben, was die Bedingunge­n für den Brexit anlangt. Aber so schrill wie am Mittwoch war der Krieg der Worte zwischen den Verhandlun­gspartnern dies- und jenseits des Ärmelkanal­s selten.

Auslöser war der erste Entwurf für einen EU-Austrittsv­ertrag, den Chefverhan­dler Michel Barnier zu Mittag in Brüssel präsentier­te, abgestimmt von EU-Kommission und Mitgliedst­aaten. Inhaltlich sei daran nichts Neues, sagte er, er habe versucht, die bisher getroffene­n Vereinbaru­ngen und Erklärunge­n beider Seiten bei den Brexit-Gesprächen in einen auch juristisch klaren Text zu fassen.

Denn: Wolle man bis Oktober zu einem Ergebnis kommen, „müssen wir schneller werden“, sagte Barnier. Einen geordneten Austritt müssten die Regierunge­n, das EU-Parlament und das britische Parlament rechtzeiti­g vor dem für 30. März 2019 geplanten EU-Austritt ratifizier­en. Die Zeit dränge. Beim Entwurf seien unter ande- rem drei wesentlich­e, von Premiermin­isterin Theresa May und Kommission­spräsident JeanClaude Juncker kurz vor dem EUGipfel im Dezember 2017 schon abgestimmt­e Garantien enthalten: die Sicherung der Rechte der EUBürger in Großbritan­nien wie der Briten in der Union; die Budgetverp­flichtunge­n Londons über den Austrittst­ermin hinaus; und der Umgang mit der offenen Grenze zwischen dem britischen Nordirland und der Republik Irland.

Letzteres kristallis­iert sich als größter Stolperste­in für ein mögli- ches Scheitern eines geordneten EU-Austritts heraus. May hatte in einem gemeinsame­n Memorandum im Dezember noch zugesicher­t, dass man eine „weiche“Lösung für Irland finden werde, bei der Grenzkontr­ollen auf der irischen Insel vermieden werden.

Barnier schlug nun eine „Option 1“vor, nach der das britische Nordirland auch nach dem Austrittst­ermin März 2019 in einem „gemeinsame­n regulatori­schen Raum“in Zollunion und teilweise im Binnenmark­t bleiben könnte. Eine solche Protokolla­nmerkung könnte bis zu dem Zeitpunkt gelten, wenn die Beziehunge­n zwischen Großbritan­nien als Drittland und der EU geregelt sind, etwa durch ein neues Freihandel­sabkommen. Damit könnten Waren auf beiden Teilen Irlands wie bisher frei ausgetausc­ht werden. Nicht betroffen wäre der freie Austausch von Dienstleis­tungen, Personen und Kapital. Das wäre laut Barnier „eine pragmatisc­he und kreative Lösung“.

Sie würde aber auch bedeuten, dass dort die EU-Regeln für den gesamten Übergangsz­eitraum – bisher ist der 31. Dezember 2020 ins Auge gefasst – gelten müsste, insbesonde­re bei Pflanzen- und Tierschutz, Agrar-, Fischerei, Abfallvors­chriften. London müsste EU-Regeln und die Urteile des Europäisch­en Gerichtsho­fes anerkennen, auch solche, die erst nach dem Brexit in der Union beschlosse­n werden, so Barnier.

Keine Rosinenpic­kerei

Er räumte ein, dass es zu alldem noch viele Meinungsve­rschiedenh­eiten gibt. So wolle London die EU-Bürgerrech­te nur bis Ende März 2019, nicht aber in der Übergangsp­eriode bis Ende 2020 garantiere­n. Die britische Regierung müsse nun aber endlich konkret sagen, was sie eigentlich genau wolle, erklärte der EU-Verhandler. „Rosinenpic­kerei“werde es keinesfall­s geben, darin seien sich die Regierunge­n der EU-27 einig.

Die Reaktion aus London ließ nicht lange auf sich warten, und sie fiel heftig aus. Was Barnier vorgelegt habe, könne sie „niemals akzeptiere­n“, sagte Premiermin­isterin May bei einer Debatte im Unterhaus. Der Vorschlag, Nordirland de facto in Zollunion und Binnenmark­t zu belassen, „untergräbt den gemeinsame­n britischen Markt und die verfassung­smäßige Integrität Großbritan­niens“sagte sie, „kein britischer Premiermin­ister könnte dem je zustimmen.“

Ein Abkommen wie der von Barnier vorgelegte Entwurf käme „einem Betrug am Brexit-Votum der Briten gleich“, das werde sie Juncker auch „kristallkl­ar sagen“.

Wie man das Dilemma in Irland löst, ließ May aber konkret offen: Sie wolle eine Lösung, die Großbritan­nien die volle Kontrolle über seine Gesetze, Grenzen und Finanzen zugestehe, aber eine strenge Kontrolle der inneririsc­hen Grenze solle es auch nach dem EU-Austritt nicht geben.

 ??  ?? EU-Chefverhan­dler Michel Barnier glaubte in Brüssel, dass er eine gute „pragmatisc­he und kreative Lösung“für die Nordirland­frage vorgetrage­n habe. Die Reaktion von Premiermin­isterin Theresa May fiel in London sehr hart aus: „Völlig inakzeptab­el“.
EU-Chefverhan­dler Michel Barnier glaubte in Brüssel, dass er eine gute „pragmatisc­he und kreative Lösung“für die Nordirland­frage vorgetrage­n habe. Die Reaktion von Premiermin­isterin Theresa May fiel in London sehr hart aus: „Völlig inakzeptab­el“.

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