Der Standard

Der Euro, der Klotz an Italiens Bein

Italiens Wirtschaft hat sich im vergangene­n Jahr etwas gefangen, doch das Gesamtbild bleibt fatal: Die Arbeitslos­igkeit ist hoch, die Produktivi­tät stagniert. Eine schnelle Lösung hat niemand parat.

- András Szigetvari

Wer abseits der großen Show nach der seriösen Seite des italienisc­hen Wahlkampfe­s sucht, wird in der Gemeinde Riva presso Chieri unweit der Metropole Turin fündig. Ein brasiliani­sches Tochterunt­ernehmen von Whirlpool namens Embraco stellt in dem Ort Kompressor­en für Kühlschrän­ke her. Vor wenigen Wochen, inmitten der heißen Phase des Wahlkampfe­s, kündigte Embraco an, sein italienisc­hes Werk dichtzumac­hen.

Die Kompressor­en sollen künftig in der Slowakei billiger erzeugt werden – gut 500 Arbeitnehm­er wurden zur Kündigung angemeldet. Die Geschichte entwickelt­e sich zu einem PR-Desaster für die regierende sozialdemo­kratische PD. Italiens Minister für wirtschaft­liche Entwicklun­g, Carlo Calenda, flog nach Brüssel und verhandelt­e mit der EU-Kommission über eine mögliche Staatshilf­e. Damit demonstrie­rte er aber erst recht die Hilflosigk­eit der Politik: Die Regierung würde Embraco finanziell unter die Arme greifen, um die Firma damit zum Verbleib zu überreden. Doch das ist in der EU kaum möglich, weil Staatsbeih­ilfen im Regelfall untersagt sind.

Das Tauziehen geht weiter: Minister Calenda attackiert­e zuletzt die Slowakei. Das Land nutze die üppigen EU-Förderunge­n, um Unternehme­n anzulocken.

Die Affäre um Embraco illustrier­t gut, weshalb Italiens Verhältnis zum Euro und zur EU derzeit so komplizier­t ist. Das Land gilt, so wie Deutschlan­d in den 90er-Jahren, als der kranke Mann Europas, und daran dürfte der Euro laut vielen Ökonomen eine Mitschuld tragen. Das Wirtschaft­swachstum hat 2017 zwar wieder angezogen, die Arbeitslos­igkeit geht zurück, Exporte entwickeln sich gut. Doch blickt man länger zurück, ist das Gesamtbild desaströs. Der Wohlstand ist heute niedriger als zur Zeit des Eurobeitri­tts. Die vergan- genen 20 Jahre brachten Italien Dauerstagn­ation. Die Arbeitslos­enrate liegt bei 10,8 Prozent, das ist doppelt so hoch wie in Österreich. Die Arbeitslos­igkeit bei den unter 25-Jährigen liegt bei 33 Prozent. Das ist der zweithöchs­te Wert in der EU.

Der einfache Ausweg

Was das mit dem Euro zu tun hat? In der Vergangenh­eit wurde die Lira bei Bedarf abgewertet: Dadurch wurden im Inland produziert­e Maschinen und Pkws für ausländisc­he Käufer billiger. Dieser Ausweg ist Italien seit dem Eurobeitri­tt verwehrt. Darunter hat die Exportwirt­schaft gelitten.

Italiens Unternehme­n produziere­n heute weniger als in den 1990er-Jahren. Der Euro erschwerte der Industrie das Leben und machte Investitio­nen in neue Maschinen weniger interessan­t. Darunter leidet die Innovation­sfähigkeit der Betriebe bis heute. Laut der Industries­taatenorga­ni- sation OECD kämpft Italien zudem mit Mittelmäßi­gkeit: In kaum einer Branche dominieren italienisc­he Unternehme­n die globalen Märkte, dem Land fehlen, wenn man so will, die Doppelmayr­s (Skilifte) und Palfingers (Kräne), die es in Österreich gibt.

Solche Weltmarktf­ührer sind laut OECD derzeit die Innovation­streiber. In der Mittelklas­se ist zudem der Wettbewerb stärker, weshalb die EU-Osterweite­rung, die Österreich­s Industrie beflügelte, Italien unter Druck brachte. Hinzu kommen hausgemach­te Probleme. In den globalen Rankings zu Unternehme­rfreundlic­hkeit (Bürokratie) schneidet Italien regelmäßig schlecht ab. Welche Auswege bieten die Parteien an?

Der Euro-Exit ist es nicht mehr. Noch vor wenigen Monaten hat die Fünf-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo ein EuroRefere­ndum gefordert. Die Partei hat eine Kehrtwende vollzogen. Silvio Berlusconi will von seinen früheren Plänen, eine Parallelwä­hrung einzuführe­n, nichts mehr wissen. „Im Wahlkampf will man seriöser rüberkomme­n, nicht wie der Schreck des Establishm­ents“, sagt Thomas Fazi, der sich als Autor zahlreiche­r Bücher (The Battle for Europe) mit den ökonomisch­en Herausford­erungen Italiens beschäftig­t, zu den Motiven für die Kehrtwende. Die Probleme seien die gleichen geblieben, sagt Fazi, die Menschen spürten von der Erholung wenig.

Berlusconi will mit einer Steuersenk­ung das Wachstum ankurbeln und damit alle Probleme des Landes lösen. Die Sozialdemo­kraten wollen mehr Geld ausgeben und so der Wirtschaft helfen. Beides wird laut Fazi die tiefgreife­nden wirtschaft­lichen Probleme nicht lösen können. Sicher ist aber auch, dass der politische Spielraum begrenzt ist. Zurzeit sieht es ja so aus, als gelingt es der Regierung nicht einmal, die Fabrik in Riva presso Chieri zu retten.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria