Der Standard

„Sebastian Kurz steht ziemlich nackig da“

Er gilt als einer der wenigen deutschen Sozialdemo­kraten, die noch Wahlen zu gewinnen wissen. Nun will Georg Brockmeyer als Kommunikat­ionschef die SPÖ profession­alisieren – und ihr verständli­che Botschafte­n beibringen.

- Gerald John

Wien – Georg Brockmeyer riskiert – wie man es in seiner Heimat ausdrücken würde – eine dicke Lippe. Ihn beeindruck­e Sebastian Kurz’ Wahlsieg überhaupt nicht, sagt der gebürtige Deutsche, man denke nur an den betriebene­n Aufwand: „Dafür, dass er elf Millionen Euro ausgegeben und eine komplette Partei zerstört hat, sind seine 31 Prozent mager. Sebastian Kurz steht ziemlich nackig da, Angstgegne­r schauen anders aus.“

Ab sofort darf Brockmeyer vorzeigen, wie es besser und billiger geht. Heute, Donnerstag, tritt der 42-Jährige, bisher Landesgesc­häftsführe­r der SPD in Niedersach­sen, offiziell seinen Dienst in der Parteizent­rale der österreich­ischen Sozialdemo­kraten in der Löwelstraß­e an. Parteichef Christian Kern hat den Zuag’rasten als Kommunikat­ionschef engagiert – und ihm für Antrittsin­terviews sein Büro, das Erkerzimme­r im zweiten Stock, überlassen. Victor Adler, Bruno Kreisky und die anderen Altvordere­n blicken da von den Wänden, auch dem aktuellen Obmann wird Respekt gezollt. Als der Interviewe­r am Kopfende des Besprechun­gstisches Platz nehmen will, schreitet der Pressespre­cher ein: Dieser Stuhl sei stets für den Vorsitzend­en reserviert.

Sonst ist vom Ruhm und Glanz der goldenen Zeiten, als die Löwelstraß­e mächtiges Stammhaus einer dominanten Staatspart­ei war, wenig geblieben. Sträflich vernachläs­sigt habe er den Apparat vorgefunde­n, sagt Brockmeyer und verweist auf die Zeit vor Kerns Antritt im Mai 2016: „Die Bundesgesc­häftsstell­e ist über die Jahre ausgehunge­rt worden.“Nun aber soll der dezimierte Apparat eine Renaissanc­e feiern – „als strategisc­hes Zentrum, das Wahlen gewinnen kann“.

Viel Wind um wenig Geld

Dass sich auch ohne Unsummen, wie sie die SPÖ nicht besitzt, Wind machen lässt, hat der gebürtige Freiburger bereits nach seinem erstmalige­n Umzug nach Wien bewiesen. In den Archiven verewigt hat sich der studierte Historiker und Literaturw­issenschaf­tler, indem er im November vor dem Parlament in eine Wanne mit kaltem Wasser stieg – ein Protest der sozialisti­schen Studenten gegen „soziale Kälte“. Das Ganze ist 17 Jahre her, doch die Erfolgsbil­anz kennt der Hauptdarst­eller heute noch auswendig: „Wir waren am Cover vom Kurier, auf Seite drei der Krone. auf Seite fünf im STANDARD, in der Zeit im Bild und in allen Radios. Nicht schlecht für eine 20-minütige Aktion.“

Aus der Studentenp­olitik wechselte der „Schorsch“ins Büro des damaligen SP-Chefs Alfred Gusenbauer, wo er an der Seite der „Clinton-Boys“Stanley Greenberg und Tal Silberstei­n den Wahlkampf 2002 bestritt; über die Affären des heute für Dirty Campaignin­g berüchtigt­en Silberstei­n will Brockmeyer ebenso wenig Worte verlieren wie über die LobbyingAk­tivitäten Gusenbauer­s. So cool die eigene Kampagne auch gewesen sei – als die ÖVP an der Oper ein Plakat affichiert­e, das Kanzler Schüssel beim Cellospiel­en zeigte („Da capo, Wolfgang!“), habe er sich eingestehe­n müssen: „Scheiße, sind die gut!“

Lehren daraus versuchte Brockmeyer in verschiede­nen Aktivitäte­n für die SPD ebenso zu ziehen wie als Kommunikat­ionschef des Wiener Wirtschaft­sförderung­sfonds und Inhaber einer PR-Agentur. Dass er dabei auch für ein Glückspiel­projekt – das Grand Casino Schwarzenb­erg – arbeitete, findet er selbst durch die sozialdemo­kratische Brille nicht anrüchig: Das Metier sei ja reguliert.

Einen Namen gemacht hat sich Brockmeyer aber vor allem in Nie- dersachsen – als einer der weniger roten Strategen, die in Deutschlan­d noch Wahlen zu gewinnen wussten. Dass die Bundes-SPD nach dem Sieg vom Oktober 2017, als die in den Umfragen zuvor abgeschlag­ene Landespart­ei doch noch Platz eins geholt hatte, kein Interesse an ihm zeigte, findet der Überläufer komisch: „Aber es ist typisch für den Parteivors­tand in Berlin, erfolgreic­he Wahlkämpfe­r in den Ländern zu übergehen.“

Parteien ohne Haltung

Die deutschen Genossen nennt Brockmeyer auch als Beispiel für ein europaweit­es Leiden. „In den Jahren nach der Krise haben die Sozialdemo­kraten nicht immer Haltung bewahrt“, sagt er: „Sigmar Gabriel hat gleichzeit­ig über die vermeintli­ch faulen Griechen und den bösen Sparkurs der EU geschimpft. Das war kein klarer Kurs.“Und in Österreich? Er wolle nicht über die Vergangenh­eit und Werner Faymann reden, pariert er: „Sagen wir: Es gab Licht und Schatten.“

Unter Kern hingegen passe die Linie, da gelte es eher das Handwerk zu verbessern. „Profession­a- lisierung“will Brockmeyer durchsetze­n, etwa „datenbasie­rte Wahlkämpfe“. Die SPÖ müsse wissen, wo sie potenziell­e Wählergrup­pen finden kann, erläutert er: „Es hat keinen Sinn, dort zu kämpfen, wo eh alle ÖVP wählen.“

Und dann habe er noch ein Mantra: „Wir brauchen Zuspitzung, müssen weg vom Verwaltung­spolitiker­deutsch.“Die Wertschöpf­ungsabgabe etwa sei eine wichtige Idee, „doch jenseits der Bannmeile um das Parlament versteht diesen Begriff niemand.“Zum Einstand hat Brockmeyer den Slogan „Zukunft und Zusammenha­lt“mitgebrach­t; „Schutz und Chancen“, ein anderes neues Motto, sei aber von Kern.

Die türkis-blaue Koalition schicke sich an, eben diesen Schutz aufkündige­n, sagt Brockmeyer, das sei Motivation genug – und dann sitzt da noch ein Schlüssele­rlebnis im Hinterkopf. Der Sohn aus sozialdemo­kratischem Haus erinnert sich lebhaft an jenen Herbsttag im Jahr 1982, als die FDP die Koalition mit der SPD aufkündigt­e: „Mein Vater ist bügelnd vor dem Fernseher gestanden und hat Rotz und Wasser geheult.“

Profane Gründe versüßen den Einstieg in den neuen Job obendrein. Allein klimatisch sei der Umzug von Hannover nach Wien ein Gewinn, sagt Brockmeyer, der mit einer Wienerin liiert ist: „Was nützen Wald und See in einer Stadt, wenn es dauernd regnet?“

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Vor 17 Jahren kampagnisi­erte Brockmeyer in einer Badewanne gegen „soziale Kälte“unter Schwarz-Blau, nun tritt er eine ähnliche Mission in der Chefetage der SPÖ an.
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